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HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THE UBRARY OF
DR. ALBERT SÜDEKUM
of ZcMendorf, Gcmmny
The Gift of
EDWARD A. FILENE
of Boston
1924
J- i]b:hv-r Virein für öffentliche ücsiindhejbüpflege
Die öffentliche ^- -
csundheitspflege
-^^ Wiesbadens
Von der Stadt WitryhvKXn dH-tht^^eriC
Festschrift
!M AUFTRAGE DES MACni-.lRATS
horausgecebc:; von
Dr. H. RAHLSON
^-vr ,^<. ::t;*- ■■-'•^vn Amts der Stadt WiestaJe.i
t«=>^<-x4-
WlL'SliADKN
Ve r 1 a g von J. F. B o r ß m i ^ n
1908
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V ^ 1'
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege
33. VERSAMMLUNG • WIESBADEN 1908
O
Die öffentliche ^
Gesundheitspflege
^^^ Wiesbadens
Von der Stadt Wiesbaden dargebotene
Festschrift
IM AUFTRAGE DES MAGISTRATS
herausg,egeben von
Dr. h!'RAH'lSON
Leiter des Statistischen Amts der Stadt Wiesbaden
-fi—^
WIESBADEN
Verlag von J. F. Bergmann
1908
HARVARD C0LL€6E LIBRUffV
FROM THE SUDEKUM LIBRARY
GIFT OF EDWARD A. FILENE
JULY 30, 1924
DRUCK von CARL RITTER, O. m. b. H.
WIESBADEN.
Inhalt.
Seite
A. Wissenschaftliche Anstalten.
1. Königliche Medizinal-Untersuchungsstelle 1
2. Chemisches Laboratorium Fresenius 3
3. Statistisches Amt der Stadt 5
B. Die Wasserversorgung, von Direktor Halbertsma und Oberingenieur
Spieser 6
C. Beseitigung der Abfallstoffe.
1. Die Kanalisation, von Oberingenieur Frensch 42
2. Die Müllbeseitigung.
I. Die Müllabfuhr, von Stadtbauinspektor Scheuermann . . 65
IL Kehrichtverbrennungsanstalt, von Stadtbauinspektor Berlit. 66
D. Anlage und Pflege der Strassen, von Stadtbauinspektor Scheuer-
mann 74
E. Bebauungsplan und Bauordnung, von Stadtvermessungsinspektor Born-
hofen 95
F. Badewesen.
1. Volksbadeanstalten, von Stadtbauinspektor Berlit 103
2. Heilbäder, von Oberingenieur Frensch 108
G. Einrichtungen für Fürsorgebedürftige, zusammengestellt von Sanitätsrat
Dr. Friedr. Cuntz.
1. Fürsorge für Kinder.
I. Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder 114
IL Für schulpflichtige Kinder 117
2. Fürsorge für Kranke.
I. Krankenanstalten 126
IL Fürsorge für Gebärende 140
III. Die Gesundheitskommission 141
IV. Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung 142
V. Sanitätswache 143
VI. Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische, Taubstumme und
Blinde 145
3. Fürsorge für Arme und Invalide 146
4. Fürsorge für Gefangene 148
IV Inhalt.
Seite
H. Verhütungs- und Desinfektionswesen.
1. Die städtische Schlacht- und Viehhof anläge, von Direktor Thon 149
2. Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs 152
3. Impfwesen 153
4. Überwachung der Prostitution 154
5. Bestattungswesen und Friedhöfe 154
6. öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt, von
Oberingenieur Frensch 157
7. Infektionsspital, von Stadtbauinspektor Grün 161
J. Bevölkerungsverhältnisse, von Dr. Rahiso n 163
K. Wohnungsverhältnisse, von Dr. Rahiso n 173
A. Wissenschaftliche Anstalten.
I. Königliche Medizinaluntersuchungsstelle.
Leiter: Professor Dr. med. G. Frank.
In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts war die preussische
Regierung in grösserer Ausdehnung als bisher die Fortschritte der
Bakterienkunde für die Erkennung und Bekämpfung der übertrag-
baren Krankheiten nutzbar zu machen bestrebt, und durch den Erlass
des Gesetzes betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die
Bildung von Gesundheitskommissionen vom 16, 9. 1899, sowie das
Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank-
heiten vom 30. 6. 1900 wurden die Aufgaben und die Initiative djes
Kreisarztes erheblich erweitert; durch § 37 der Dienstanweisung für
die Kreisärzte vom 23. 3. Ol wurde den Kreisärzten die Verpflichtung
auferlegt, einfache physikalische, chemische, mikroskopische und
bakteriologische Untersuchungen selbst auszuführen. Es stellte sich
jedoch bald heraus, dass die überwiegende Mehrzahl der Kreisärzte
nicht die Zeit fand, um sich diesen neuen Aufgaben in einwands-
freier Weise widmen zu können. Infolgedessen sah sich die Regierung
veranlasst, den Gedanken der Ausstattung aller Kreisärzte mit
bakteriologischen Geräten aufzugeben und statt dessen zur Bildung
grösserer Laboratorien zu schreiten.
So entstand zugleich mit 14 Schwesterstellen die bakteriologische
Untersuchungsstelle in Wiesbaden. Sie führt jetzt die Bezeichnung
Kgl. Medizinaluntersuchungsstelle, deren es jetzt im preussischen
Staate 7 gibt (bei den Regierungen in Breslau, Bromberg, Marien-
werder, Osnabrück, Sigmaringen, Trier und Wiesbaden). Sie ist
einem Kreisassistenzarzt unterstellt und hat einen gegen Taglohn
angestellten Diener.
Der Wirkungskreis erstreckt sich über den Regierungsbezirk
Wiesbaden.
1
2 Königliche Medizinaluntersuchungsstelle.
Zur Erleichterung der Untersuchungen hat der preussische
Staat eine Einrichtung getroflfen, derzufolge Gefässe zur Entnahme
und Einsendung von Untersuchungsmaterial nach besonderem Muster
durch den Herrn Minister in allen Apotheken des Landes nieder-
gelegt worden sind, von denen sie den beamteten und nicht beamteten
Ärzten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise
sind jetzt sämtliche Arzte in der Lage, bakteriologische Unter-
suchungen bei Aussatz, Cholera, Diphtherie, Genickstarre, Milzbrand,
Pest, Rotz, Rückfallfieber, Ruhr, Tripper, Tuberkulose und Typhus
ohne Kosten ausgeführt zu sehen. Welche Erleichterung dadurch
die Stellung der Diagnose und die Bekämpfung der übertragbaren
Krankheiten erfährt, liegt auf der Hand. Die Leiter der staatlichen
und sonstigen Untersuchungsanstalten sind angewiesen, die von ihnen
im Interesse der Seuchenbekämpfung verlangten bakteriologischen
Untersuchungen mit tunlichster Beschleunigung auszuführen und das
Ergebnis derselben in jedem Falle dem Einsender, bei positivem
Ausfall der Untersuchung aber auch dem beamteten Arzt mitzuteilen.
Im Jahre 1905 wurden 531 Untersuchungen ausgeführt, wovon
133 auf den Stadtkreis Wiesbaden entfielen; im Jahre 1906 waren
es 705 bezw. 195 und im Jahre 1907 745 bezw. 28^J.
(Nach Kirchner: „Die preussischen Medizinaluntersuchungsämter" in
„Medizinische Anstalten auf dem Gebiete der Volksgesundheitspflege in Preussen".
Jena 1907.)
Chemisches Laboratorium Fresenius.
2. Chemisches Laboratorium Fresenius.
Direktoren: Geh. Regierungsrat Prof. Dr. H. Fresenius,
Prof. Dr. W. Fresenius, Prof. Dr. E. Hintz.
Das chemische Laboratorium Fresenius zu Wiesbaden ist eine
vom Staat unterstützte Privatanstalt. Sie zerfällt in ein akademisches
Unterrichts- und ein Untersuchungslaboratorium. Von einer Abteilung
dieses letzteren wird die Nahrungsmittelkontrolle ausgeübt. Mit der
Anstalt sind verbunden eine von einem Spezialisten geleitete bakterio-
logische Abteilung und als selbständige Anstalt die unter Leitung
von H. Fresenius stehende agrikulturchemische Versuchsstation
der Landwirtschaftskammer für den Regierungsbezirk Wiesbaden.
Die Anstalt hat die Berechtigung zur praktischen Ausbildung von
Nahrungsmittelchemikem für die Hauptprtifung (gemäß § 16 der
Prüfungsvorschriffcen vom 22. Februar 1894).
Ausser den drei Direktoren, die gleichzeitig Inhaber der Anstalt,
sind am Laboratorium tätig 5 Abteilungsvorsteher und Dozenten,
25 Assistenten, darunter 3 geprüfte Nahrungsmittelchemiker, 4 Bureau-
beamte, 1 Hausmeister, 4 Diener.
Die Anstalt beschäftigt sich mit Analysen auf technischem
Gebiete, namentlich Schiedsanalysen von Erzen und Metallen, mit
Analysen von chemischen Produkten aller Art, mit Nahrungs-
mittelanalysen, mit der Erstattung von Gutachten verschiedener
Art, mit der Untersuchung von Mineralwassem, mit chemischen und
bakteriologischen Untersuchungen für das Wasserwerk der Stadt
Wiesbaden, mit der Ausführung von Weinanalysen für die Keller-
kontrolle im Regierungsbezirk Wiesbaden, mit Untersuchungen und
Erstattung von Gutachten für die Zoll- und Steuerbehörden, sowie
für die Gerichte. Die landwirtschaftliche Versuchsstation beschäftigt
sich vorwiegend mit Dünge- und Futtermittelkontrolle. Die Inhaber
des Laboratoriums Fresenius geben die „Zeitschrift für analytische
Chemie** heraus. Namentlich in dieser, aber auch in anderen Zeit-
schriften erscheinen die Veröffentlichungen der Leiter des Laboratoriums,
der Abteilungsvorsteher sowie der Assistenten der Anstalt.
Die für die Durchführung des Nahrungsmittelgesetzes
erforderlichen chemischen Untersuchungen sind dem Laboratorium
Fresenius von der Königlichen Polizei -Direktion in Wiesbaden
4 Chemisches Laboratorium Fresenius.
übertragen. In der Zeit vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 wurden
auf hygienischem Gebiet, ausschliesslich der viel zahlreicheren
anderen Analysen, etwa folgende Untersuchungen ausgeführt:
Im Auftrage von Behörden:
Wasserwerk der Stadt Wiesbaden:
Chemische Untersuchungen 198
Bakteriologische Untersuchungen 591
Städtisches Kanalbauamt, Wiesbaden:
Chemische und bakteriologische Untersuchungen von
Thermalwassem 40
Bach- und Kanalwasser:
a) chemisch 35
b) bakteriologisch 20
Königliche Polizei-Direktion, Wiesbaden:
Milchproben 160
(davon beanstandet 8)
Nahrungs- und Genussmittel verschiedener Art, Butter,
Gewürze, Fleisch und Fleischwaren, Fruchtsäfte etc. 157
Für Private:
Weinproben 267
Milchproben 12
(davon beanstandet 1)
Medizinische Untersuchungen 130
Ausführliche Analysen von Mineralquellen 10 — 12
Eine grössere Anzahl von Trinkwasseruntersuchungen.
Statistisches Amt der Stadt.
Statistisches Amt der Stadt.
Leiter: Dr. Rahlson.
Der Geschäftskreis des am 1. Januar 1907 provisorisch und am
1. April 1907 endgültig in Tätigkeit getretenen Statistischen Amts
der Stadt Wiesbaden umfasst ähnlich den anderen deutschen kommunal-
statistischen Ämtern das gesamte Gebiet der städtischen Verwaltung,
die Bevölkerungsentwicklung, Grundbesitzwechsel, Bau-
tätigkeit, Wohnungsmarkt, Thermalbäder u. a. m. Die Durch-
führung der Volks-, Berufs-, Gewerbe- und Viehzählungen liegt dem
Amte ob, ebenso die Beantwortung der bei der Stadtverwaltung ein-
gehenden Fragebogen. Zur Veröffentlichung seiner Arbeiten besitzt
das Amt vier Organe, nämlich:
1 . Statistische Monatsberichte (mit Stadtplan) folgenden Inhalts :
Bevölkerung, Krankenbewegung in den grösseren Anistalten,
Bestattungswesen, Städtische Desinfektionsanstalt,
Städtisches Badewesen, Feuerwehr und Sanitätswache,
Städtisches Leihhaus, Sparkassen, Arbeitsnachweis, Rechtsauskunftsstelle,
Arbeiterversicherung, Städtisches Armen-Arbeitshaus, Städtische Arbeiter-
schaft, Lebensmittelpreise, Lebensmittel- Verbrauch, Säuglingsmilch-
anstalt, Vieh- und Schlachthof, Verkehr, Stadt. Licht- und
Wasserwerke, Grundbesitz -Wechsel, Bautätigkeit, Witterungs-
verhältnisse.
2. Beiträge zur Wiesbadener Statistik.
3. Mitteilungen des Statistischen Amts der Stadt.
4. Statistischer Jahresbericht der Stadt Wiesbaden.
Schriftenaustausch mit 275 in- und ausländischen Behörden,
Ämtern, Vereinen und dergl. mehr.
Das ständige Bureaupersonal besteht aus einem Bureauvorsteher,
drei Hilfsarbeitern und zwei Hilfsarbeiterinnen.
B. Die Wasserversorgung.
Von Direktor Halbertsma und Oberingenieur Spieser.
I. Geschiehtliehe Entwickelang.
Wiesbaden erfreut sich bereits seit dem Jahre 1870 einer zentralen
Wasserversorgung mit Hausanschltissen. Vorher waren seine Ein-
wohner auf Pumpbrunnen und öffentliche Brunnen angewiesen. Von
den letzteren waren schon im Jahr 1821 14 Stück vorhanden. Sie
bezogen ihr Wasser mittels eiserner Leitungen aus einer gemeinschaft-
lichen, im Taunus unterhalb der Platte gelegenen Quellfassung, dem
Kisselborn. Wiesbaden hatte damals etwa 8000 Einwohner. Drei
weitere Bezugsquellen, die Hollerbom-, Holzbom- und Faulweidenbom-
Leitung waren bis zum Jahre 1859 mit dem Anwachsen der Stadt
hinzugekonunen. Sie speisten zusammen mit dem Kisselborn bis zur
Eröffnung der zentralen Wasserleitung 33 in der Stadt verteilte Lauf-
brunnen und lieferten im Sommer nicht mehr als 700 cbm täglich —
eine bescheidene Menge flir eine Stadt von 30000 Einwohnern^).
Für die allgemeine Versorgung suchte man das Wasser natur-
gemäß zuerst in Gegenden, von denen aus es der Stadt ohne künstliche
Hebung zugeleitet werden konnte, d. h. im Taunus. Dort war von
den benachbarten, genügend hoch liegenden Tälchen das zwischen
der „Fasanerie" und der „eisernen Hand" sich erstreckende das
wasserreichste. Daselbst wurde in den Jahren 1864 bis 1868 die
erste der zur Zeit noch benutzten Quellfassungen, die sogenannte
Sickergalerie Pfaffenborn angelegt. Sie lieferte im Jahr 1870
eine mittlere tägliche Sommerwassermenge von 2300 cbm. Obgleich
im Jahr 1873 durch eine zweite Sickergalerie im Adamstale weitere
400 Tages-Kubikmeter durchschnittlich erschlossen wurden, trat im
besonders trockenen Jahr 1874 Wassermangel ein und drängte zum
energischen Aufschluss neuer Bezugsquellen. Die Wassergewinnung
wurde alsdann auf das obere Nerotal ausgedehnt, woselbst die
1) Das sind nur 23 Liter oder etwa 2 Eimer pro Kopf.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 7
Sickergalerie Alter Weiher und drei kurze, flachliegende
Stollen — Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen — entstanden.
Gleichzeitig wurde der Münzbergstollen in Angriff genommen,
welcher nach seiner Vollendung im Jahre 1888 fast zwei Jahrzehnte
hindurch unter den Bezugsquellen sowohl wegen der grossartigen
Anlage als auch der Ergiebigkeit die erste Stelle einnahm und für
die späteren Tiefstollenbauten vorbildlich wurde ^).
Aber Wiesbadens Bevölkerung und der Wasserbedarf auf die
Bevölkerungseinheit nahmen rasch zu. Auch wuchs die Stadt an
den Bergabhängen hinauf. Schon im Jahr 1893 stand die Wasser-
frage wiederum im Vordergrund. Ihre endgültige Lösung konnte —
das erkannte man bereits — nicht im Taunus gefunden werden, doch
war dort vorläufig nicht allzuweit von Wiesbaden entfernt noch Wasser
bester Beschaffenheit in erheblicher Menge erschürfbar. Da zudem
die Verhältnisse für die Beschaffung grosser Mengen einwandsfreien
Grundwassers nicht besonders günstig lagen, blieb man zunächst im
Gebirge bei dem durch den Münzbergstollen so gut bewährten System
und begann im Jahre 1896 den Schläferskopfstollen tief unter
der vorerwähnten Sickergalerie Pfaffenborn vorzutreiben. Während
diese Arbeiten noch im Gang waren, nahm man femer im Jahr 1899
nördlich von Rambach den Kellerskopfs tollen in Angriff und
entschloss sich gleichzeitig zur Anlage einer Hochzone für die hoch-
gelegenen Stadtteile zwecks Verbesserung der dortigen Druck-
verhältnisse und zwecks Aufschlusses neuer Baugebiete, sowie zur
getrennten Versorgung, d. h. zur Anlage einer Nutzwasserleitung
mit einem Grundwasserwerk in der Nähe des Rheins bei
Schierstein. Man ging dabei von der Annahme aus, dass nach
Durchführung dieser auf Grund eines grosszügigen Entwurfs auf-
gestellten Pläne, wofür ein generelles Enteignungsrecht erworben
wurde, das vorzügliche Taunuswasser für lange Zeiten als Trinkwasser
ausreichen werde. Leider mussten im Schläferskopfstollen die Bau-
arbeiten am 1. Januar 1901 vorzeitig eingestellt und die Ausführung
der 1400 m langen Reststrecke verschoben werden, da Wasseimangel
eintrat und das bereits erschürfte Wasser benötigt wurde. Bald darauf,
im Sommer 1901, wurde noch ein vierter Tiefstollen, der Kreuz-
stollen begonnen. Unterdessen waren auch die Bauten der Nutz-
1) Die Wasserversorgung der Stadt Wiesbaden wurde im Jahr 1887 von
Direktor Winter eingehend beschrieben in der Festschrift zur sechzigsten
Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
8 Haiberts ma und Spieser, Wasserversorgung.
Wasserleitung so gefördert worden, dass letztere im Jahr 1901 in
Betrieb genommen werden konnte.
Trotz dieser Maßregeln und obgleich ausserdem im Jahr 1898
die aus dem Kalk des Taunusvorlandes entspringende Römerquelle ^)
mit einer Ergiebigkeit von etwa 1200 Tages-Kubikmetern für die
Trinkwasserversorgung nutzbar gemacht worden war, drohte immer
noch das Gespenst des Wassermangels, solange der Kreuz- und der
Kellerskopfstollen unvollendet waren. In dieser Bedrängnis wurde
im Jahr 1901 die Erbauung eines Ozonwerkes beschlossen, welchem
die Aufgabe zufiel, das in Schierstein für Nutzzwecke erbohrte Brunnen-
wasser, welches von chemischem Standpunkte aus einwandsfrei aber
anscheinend im Keimgehalt veränderlich war, durch Sterilisation flir
Genusszwecke brauchbar zu machen. Das Werk wurde im Sommer 1 902
dem Betrieb übergeben, versagte aber zunächst infolge des Eisen-
gehaltes des ihm zugeführten Brunnenwassers.
Ausgedehnte, in den Jahren 1902 und 1903 durchgeführte
geologische und hydrologische Untersuchungen hatten die Möglichkeit
ergeben, in Schierstein auch keimfreies und zu Trinkzwecken geeignetes
Grundwasser in ansehnlicher Menge zu entnehmen. Hierauf fussend
und in der Erkenntnis, dass es vor allen Dingen notwendig sei,
genügend Zeit für die Vorarbeiten und die Errichtung eines auf
mehrere Jahrzehnte ausreichenden Wasserwerkes zu gewinnen, baute
man in den Jahren 1903 bis 1907 die Schiersteiner Werke für eine
tägliche Leistungsfähigkeit von 4800 cbm Nutzwasser und 7200 cbm
Trinkwasser aus. In dieser Zeit beugte die Wasserwerksverwaltung
erheblichem Wassermangel dadurch vor, dass sie in dem im Bau
begriffenen KellerskopfstoUen die geschlossen auftretenden Quellen
ohne Störung der Bauarbeiten besonders fa«ste und in einer eisernen
Rohrleitung aus dem Stollen und zur Stadt führte. Auch war sie
genötigt, den Kreuzstollen im Jahr 1903 ebenfalls vorzeitig zu benutzen.
Erst im Jahr 1907 konnte derselbe vollendet werden, nachdem ein Jahr
zuvor der Kellerskopfstollen dem Betrieb übergeben worden war.
Dank der Vollendung der Schiersteiner Erweiterung können in
diesem Sommer auch im Schläferskopfstollen die Arbeiten wieder
aufgenommen werden. Bei ihrer Beendigung — voraussichtlich im
Jahr 1910 — wird die Stadt mit dem Vorort Bierstadt, den sie mit
Wasser versorgt, etwa 120000 Einwohner besitzen und in Jahren
1) Diese Quelle ist seit dem Jahr 1905 von der Trinkwasserversorgung
ausgeschaltet und wird seitdem für die Nutzwasserversorgung in Reserve gehalten.
'f
H alber tsma und Spießer, Wasserversorgung. 9*
geringer Quellenergiebigkeit täglich durchschnittlich über 14000 cbm
und dank den Stollen verschlussen im Sommer maximal über etwa
21 000 cbm Trinkwasser und 6000 cbm Nutzwasser verfügen. Hierdurch
werden pro Kopf und Tag im Mittel 167 1 und im Maximum 225 1
abgegeben werden können. Wiesbaden erscheint hiemach auf einige
Jahre hinaus genügend versorgt und kann unterdessen hoffentlich
die Suche nach neuen Bezugsquellen rechtzeitig mit dem Bau eines
neuen grossen Wasserwerkes abschliessen, für welches die Vorarbeiten
bereits eifrig betrieben worden sind.
II. Wassergewinnang.
a) Geologische und hydrologische Verhältnisse.
Wiesbaden liegt im südlichen Taunusvorland etwa 6 km vom
Kamm des Gebirges und ebensoweit vom Rheine entfernt, während
sich der Main an seiner Mündung der Stadt bis auf 10 km nähert..
Der Taunus streicht ebenso wie die ihn bildenden devonischen, steil
aufgerichteten Schichten von Südwesten nach Nordosten. Nach dem
Rhein hin taucht das Devon unter das Tertiär und dieses wieder
unter das Diluvium der Rheinebene unter. In der Richtung von
Südosten nach Nordwesten findet man an der Erdoberfäche im Devon
der Reihe nach Serizitgneisse, Phyllite, Quarzite mit Glimmersandsteinen
und Wisperschiefer. Ostlich der hohen Wurzel, einem Taunusgipfel
etwa 9 km westnordwestlich von Wiesbaden, tritt zwischen den
Quarziten eine Phyllitfalte zu Tag, so dass die Quarzite, welche den
Grad des Gebirges bilden, westlich dieses Gipfels in einem einzigen,
östlich desselben in zwei getrennten, parallelen Zügen auftreten. Von
den Devonschichten ist nur der Quarzit erheblich wasserdurchlässig
und wasserführend; er bildet für das einsickernde Meteorwasser
gleichsam einen Behälter, dessen Wände aus wenig durchlässigem
Schiefergestein bestehen. In der Tat ist die Grenze zwischen Quarzit
und Schiefer durch eine Kette von Quellen gekennzeichnet, die den
Behälterüberlauf bilden und überall dort austreten, wo der Rand der
Behälterwand eingesenkt ist. Auch sind diejenigen Taunustäler am
wasserreichsten, welche die Quarzit -Schichten durchbrechen. Leider
besitzen diese oben nur eine Breite von P/g bis 2 km und werden
nach unten schmäler.
Für die Bildung von Grundwasser und Quellen kommen aber
im Taunus nicht nur der Quarzit und überhaupt das geschlossene
Gestein, sondern auch die über dem Gestein lagernden Geschiebe der
10 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Täler in Betracht, allerdings infolge ihrer geringen Mächtigkeit nicht
in dem Maß wie die Quarzite.
Infolge des eben beschriebenen geologischen Aufbaues sowie der
.geringen Regenhöhe (in Wiesbaden knapp 600 mm, im Gebirge
vielleicht 700 mm jährlich) ist der Taunus in Wiesbadens Umgebung
wasserarm. Auch das Taunusvorland und die rechtsseitige Main- und
Rheinniederung ist in Wiesbadens Nähe für die reichliche Wasser-
versorgung einer Grossstadt nicht besonders geeignet. Wohl finden
sich im Tertiär des Taunusvorlandes wasserführende Sande und Kiese
sowie Kalkbänke, aber diesen Schichten fehlt zur Bildung grosser
Grundwassermengen die genügende Ausdehnung und infolge zahlreicher
Verwerfungen der notwendige Zusammenhang. Ausserdem ist das
Wasser des Tertiärs sehr hart. Bedauerlicherweise sind auch die
Diluvialschichten des Rheins in Wiesbadens Nähe nicht sehr ausgedehnt
und von verhältnismäßig geringer Mächtigkeit. Da endlich auch für
die Versorgung mit Talsperrenwasser die Verhältnisse ungünstig
liegen, hätte einzig und allein die Zufuhr von künstlich filtriertem
Rheinwasser besondere Schwierigkeiten nicht geboten. Zum Oberflächen-
wasser wird man aber für eine Weltkurstadt aus bekannten Gründen
nur ungern greifen, solange bessere Möglichkeiten genügenden und
einwandsfreien Wasserbezugs ohne übermäßigen Kostenaufwand
vorliegen. Kein Wunder, wenn unter diesen Verhältnissen Wiesbadens
Wasserwerk nicht nur über eine Gewinnungsanlage verfügt, sondern
seine Fangarme nach allen Seiten hin ausstreckt, kein Wunder, wenn
es sowohl Wasser aus dem Geschiebe der Taunustälchen und dem
Quarzitgestein als auch aus dem Tertiär des Taunusvorlandes und
dem Diluvium des Rheins bezieht.
b) Anlagen im Taunus.
Zwei Arten von Quellfassungen sind in Wiesbaden heimisch
geworden, die Sicker- oder Talgalerien und die Tiefstollen. Beide
sind im wesentlichen kilometerlange Kanäle aus Ziegelmauerwerk mit
offenen Stossfugen für den Wassereintritt. Die Sickergalerien —
die älteren Anlagen — , im offenen Einschnitt hergestellt und nur
selten begehbar, entwässern hauptsächlich das Geschiebe der Tälchen
und Nebentälchen und ihr Hauptkanal folgt deren Sohle mit 4 bis
14 m Überdeckung. Sie liegen ebenso wie die Tiefstollen am unteren
Ende gerade hoch genug, um ihr Wasser der Stadt mit natürlichem
Gefälle liefern zu können. Wo am Talabhang eine Quelle durch den
Hauptkanal unbeeinflusst geblieben war, wurde sie besonders gefasst
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. H
und diesem durch einen Seitenkanal zugeleitet. Von den vier Tälern,
welche sich in Wiesbaden fächerförmig vereinigen, besitzen die drei
westlichen in ihrem oberen Teil eine solche Sickergalerie (siehe
Lageplan Tafel 1). Am weitesten westlich liegt die Pfaffenborn-
galerie, in der Mitte die Sickergalerie Adamstal und östlich
dieser die Sickergalerie Alter Weiher sowie die drei Flachstollen:
Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen. Die Pfaffenborngalerie
besitzt einen Hauptkanal von 3100m Länge und 1900 m Seitenkanäle,
die Galerie Adamstal hat eine Ausdehnung von 1 530 m und die Galerie
Alter Weiher einschliesslich der vorerwähnten Flachstollen eine solche
von 2060 m. Ein Längsschnitt und mehrere Einzelheiten einer Strecke
der Galerie „Alter Weiher" mit Wiesen- und Wilhelmstollen sind
auf Tafel 2 dargestellt.
Die Ergiebigkeit der Sickergalerien schwankt infolge der seichten
Lage ausserordentlich nach Jahr und Jahreszeit. Auch erhält ihr
Wasser bei starken Regenfällen und raschem Schneeabgange eine
leichte Trübung, welche seine Verwendbarkeit zu Genusszwecken
zeitweilig beeinträchtigt.
Der Pfaffenborngalerie wurde durch den in den Jahren 1896 bis
1900 aufgefahrenen Schläferskopfstollen mehr als zwei Drittel ihres
Wassers entzogen.
Die Flachstollen bilden eine Zwischenstufe beim Übergang von
der Sickergalerie zum Tiefstollen. Man hat sie am oberen Ende einer
jeden Sickergalerie je in einer Länge bis zu 200 m in das Schiefer-
gestein vorgetrieben, nachdem die Erfahrung gelehrt hatte, dass das
gefasste Wasser um so reiner und in der Menge gleichmäßiger bleibt,
je tiefer es gefasst und je weniger die deckende Erdschicht durch
Aufgraben verletzt wird. An den drei Flachstollen sind die Verschlüsse
bemerkenswert, welche gestatten, bei Wasserüberschuss mehrere
1000 cbm Trinkwasser im Stollen und in den Gesteinsspalten zurück-
zuhalten und später nach Bedarf zu verwerten. Sie sind als Vorläufer
der später beschriebenen Tiefstollenverschlüsse zu betrachten.
Die Methode der Wassergewinnung durch Talgalerien musste
derjenigen mittels Tiefstollen weichen, als man dank den Forschungen
des Kgl. Baurats E. Winter und des verstorbenen Landesgeologen
Koch den geologischen Aufbau des Taunus im allgemeinen und den
Wasserreichtum, sowie die Beschaffenheit der Quarzite im besonderen
richtig erkannt hatte. Seither gewinnt man im Taunus Trinkwasser,
indem man durch Tiefstollen auf möglichst kurzem Weg die
12 Halbertsma und Spieser, WaÄserversorgung.
Quarzitzüge in möglichst grosser Tiefe zu erreichen und zu durch-
queren sucht.
So selbstverständlich heute dieses Prinzip angesichts der durck
die Wiesbadener Stollen gewonnenen Aufschlüsse erscheinen mag^
muss dennoch die Anlage des ersten der Tiefstollen, des zunächst
1980 m wasserarme Phyllite durchfahrenden Mtinzbergstollens-
als ein grosses und mutiges Unternehmen betrachtet werden, galt es doch
damals, die immerhin theoretischen Annahmen unter Aufwand grosser
Geldmittel zu erhärten. Dieser Stollen erreichte den südlichen Quarzitzüge
165 m unter der Erdoberfläche bei starkem Wasserandrang. Die
jenseitige Grenze des Zuges wurde bei 2650 m angetroflfen. Als 2909 m
aufgefahren waren, mussten leider die Vortriebsarbeiten infolge Ein-
spruchs einiger benachbarter Gemeinden des Aartals eingestellt werden,
bevor noch der nördliche Quarzitzug erreicht war (siehe auch Tafel 3).
Nur halben Wert würde der Stollen gehabt haben ohne den von
Winter in 1900 m Entfernung vom Mundloch angelegten Stollen-
verschluss, der ermöglicht, in den Spalten und Rissen des Quarzits
das Wasser bis zu etwa 170 m Höhe über Stollensohle beim Verschluss
zu stauen, auf diese Weise Trinkwasservorräte von mehr als einer
halben Million Kubikmeter zu sammeln und sie später nach Bedarf
zu verwerten. Die Quellwasserversorgungen im allgemeinen und die
Wiesbadener Sickergalerien — weniger die Tiefstollen — im besonderen
liefern im Frühjahr, wenn der Wasserbedarf gering ist, am meisten
und im Sommer und Spätjahr, wenn viel Wasser gebraucht wird, am
wenigsten Wasser. Demzufolge fliesst im Frühjahr viel Wasser unnütz,
in den Bach und im Spätsommer tritt leicht Wassermangel ein.
Durch die Stollenverschlüsse wurde in Wiesbaden dieser Übelstand
nicht nur vollkommen behoben, sondern es wurde sogar möglich,
überflüssiges Quellwasser eines günstigen Jahres für ein späteres
ungünstiges aufzuspeichern.
Der Verschluss bei 1900 m im MünzbergsloUen besteht im
wesentlichen aus einem 6 Meter langen wasserdichten, in undurch-
lässige Phyllitschichten eingesetzten Mauerwerkspfropfen, der von
mehreren mit Abschlussorganen ausgerüsteten Röhren durchbrochen
wird. Die später gebauten Stollenverschlüsse erhielten Türen, welche
die dahinter liegende Stollenstrecke zugänglich lassen (vgl. Tafel
4 und 5). Ausser dem Hauptverschluss bei 1900 m besitzt der
Münzbergstollen noch zwei weitere, näher am Stollenmund liegende
Verschlüsse, welche indessen nur von untergeordneter Bedeutung und
i
j
rtl^fl
I
Halbertsma und Spieser, WaÄserversorgung. 13
selten in Benutzung sind, da ihr Staubereich in den wenig porösen
Phylliten liegt.
Beim Münzbergstollen muss man zum Bedienen des Stollen-
verschlusses jedesmal 1900 m weit zu Fuss auf Betonplatten über
dem offen fliessenden Trinkwasser vordringen, während bei den später
gebauten Stollen zur Vermeidung einer Wasserverunreinigung und
zur Bequemlichkeit die Einrichtung getroffen wurde, dass man das
Verschlusswasser am Stollenmund aus einer gusseisemen Hochdruck-
rohrleitung mittels Schieber und Venturiwassermesser bequem abzapfen
kann. Auch besitzen die anderen Stollen auf der ganzen Länge ein
Oleis mit 60 mm Spur aus Stahlschienen auf Eisenbetonschwellen
und sind mittels Draisine bequem und rasch befahrbar (siehe
Tafel 6, 7 u. 8).
Im gebrechen Gebirge erhielten die Stollen eine Auskleidung
aus Ziegelstein -Mauerwerk. Das lichte Profil der ausgemauerten
Strecken ist bei sämtlichen Stollen elliptisch, beim Münzbergstollen
2,10 m hoch und 1,10 m breit, bei dem zuerst erbauten Teil des
Schläferskopfstollens 2,20 m hoch und 1,80 m breit und bei dem
Kreuz- und Kellerskopfstollen sowie der Verlängerung des Schläfers-
kopfstollens endlich 2,20 m hoch und 2,00 m breit. Die grössere
Breite ermöglichte bei den zuletzt genannten Stollen eine gleich-
zeitige Vornahme der Vortriebs- und Ausmauerungsarbeiten und
dadurch eine bedeutende Beschleunigung der Bauten.
Die Lüftung des Münzbergstollens erfolgt durch eine bis zum
Hauptverschluss vorgestreckte, 150 mm weite Leitung und durch
einen kleinen Zentrifugalventilator, gekuppelt mit einer durch das
Stollenwasser angetriebenen Turbine, für welche ein Gefälle von
2,50 m vorhanden ist. Der Kellerskopfstollen wird durch eine 200 mm
weite Leitung mittels Körtingscher Wasserstaubventilatoren belüftet,
welche ihr Druckwasser einer über dem Stollen und 400 m seitlich
der Stollenachse gelegenen Quelle entnehmen. Diese Quelle, das
sog. Schönwässerchen im Theistal, war durch die Stollenarbeiten
unbeeinflusst geblieben; sie wurde besonders gefasst und durch ein
bei 2313 m niedergebrachtes, 103 m tiefes Bohrloch dem Stollen zu-
geleitet. Auch der Kreuzstollen besitzt Wasserstaubventilatoren, die
ihr Aufschlagwasser dem dortigen Verschluss entnehmen. Ein
ähnliches ist für den Schläferskopfstollen geplant. Nötigenfalls soll
der Kreuzstollen mit Verschlusswasser des Schläferskopfstollens und
dieser mit Verschlusswasser des Kreuzstollens ventiliert werden
können.
14
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Weitere vergleichende Angaben über die vier Tiefstollen ent-
hält nachstehende Tabelle.
Münzberg-
stollen
Eellerskopf-
stollen
Kreuzstollen
Schläfers-
kopf-
stoUen
Länge in m
Höhe des elliptischen Pro-
fils inm
Breite des elliptischen Pro-
fils in m
Sohle am Stollenmund ü.
N. N inm
Stollengefälle . . ^»o
Anzahl der Verschlüsse .
Abstand der Verschlüsse
vom Stollenmund inm
Ungefähres Stauvermögen
der Verschlüsse
in cbm Wasser
Absperrbares Wasser in o/q
des Gesamtwassers . .
Grösster Stau in Meter-
Wassersäule ....
Durchschnittliche Stollen -
Überlagerung . in m
Grösste Überlagerung in m
Gesamtlänge der Phyllit-
strecken ... in m
Gesamtlänge der Quarzit-
strecken ... in m
Durchschnittl. tägliche Er-
giebigkeit im Beharrungs-
zustand ohne Stau in cbm
desgl. für 1 m Stollen in cbm
desgl. für 1 m Phyllitstrecke
in cbm
desgl. für 1 m Quarzit-
strecke .... in cbm
Art der Gesteinsbohrung .
Gesamtbaukosten . in M.
j, für 1 m St.
inM.
2909
2,10
1,10
206,91
1,0
3
190, 680 u.
1900
600000
92
170
125
246
2239
670
2900
1,00
0,38
3,05
I bis 1300 m
, von Hand,
Rest mit
I Druckluft
800000
' 274
4251
2,20
2,00
259,64
0,5 I
2 I
I
1086 u. 2844 !
400000
92
200
150
290
2681
1570
3300
0,78
0,19
1,78
bis 400 m
elektrisch,
Rest
hydraulisch
1700000
400
1490
2,20
2,00
250,64
0,5
1
778
300000
77
150
115
180
1000
490
900
0,60
0,20
jetzt 1848
später 3250
2,20
1,80 u. 2,00
249,64
0,3 u. 0,5
später 2
I noch unbest^
1,43 I ,
hydraulisch
später lOO
164
bisher 54S
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„ 2100
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. 0,45
. 1,43
460000
309
noch unbest.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 15
c) Anlagen im Taunusvorland und in der Rheinniederüng.
Am Südrand der Gemarkung Wiesbaden tritt im Salzbachtal die
Römerquelle zu Tage. Sie entspringt einer leicht nach Nordosten
ansteigenden Kalkfelsschicht des Taunusvorlandes auf -|- 95 m N. N.
Im Jahre 1897/98 wurde sie gefasst und mit einem Damp^umpwerk
ausgerüstet. Ihre Wassermenge betrug bis zum Jahre 19U2 etvv^a.
1300 und von da ab etwa 800 cbm täglich, nachdem ihr durch
Kanalbauten, bei deren Ausführung die wasserführenden Kalkbänke
angeschnitten wurden, ein Teil des Wassers entzogen worden war.
Das Römerquellenwasser besitzt 21 deutsche Härtegrade. Es wurde
bis zum Jahre 1905 behufs Verwendung zu Trinkzwecken durch eine
6800 m lange Leitung nach dem Hochbehälter an der Platterstrasse
gepumpt und dort mit weichem Taunuswasser gemischt. Von einer
weiteren Verwendung als Trinkwasser wurde alsdann mit Rücksicht
auf die in der Umgebung der Quelle immer weiter fortschreitende
Bebauung und die dadurch bedingte Gefahr einer Verunreinigung
für die Folge Abstand genommen, und die Quelle bildet seither nur
eine Reserve des Nutzwasserwerkes.
In den Jahren 1899 bis 1901 wurde zur Entlastung der Trink-
wasserwerke, denen nur beschränkte Mengen des vorzüglichen Taunus-
wassers zur Verfügung standen, eine Nutzwasserleitung angelegt.
Die hierfür nötigen Gewinnungs- und Förderanlagen wurden unter-
halb Schierstein in der Nähe des Rheins und etwa 5 km süd-
westlich Wiesbaden erbaut, nachdem durch Bohrungen dortselbst das
Vorhandensein ausreichend mächtiger Kies- und Sandschichten fest-
gestellt worden war, welche brauchbares Wasser führten. Es wurden
8 Rohrbrunnen angelegt und zwar 3 Stück (A^ — A3) in der Nähe
eines toten Rheinarms, 4 Stück (B^ — B^) 100 m mehr landeinwärts
und der achte (Ci) weitere 100 m landeinwärts. Der Abstand der
Brunnen unter sich betrug sowohl in der A- wie in der B-Reihe
etwa 100 m.
Das Maschinenhaus erhielt 207 qm lichte Grundfläche und wurde
zunächst mit einem Pumpmaschinensatz von 120 cbm stündlicher
Leistung ausgerüstet. Letzterer bestand aus einer im Keller auf-
gestellten doppeltwirkenden ZwiUingsplungerpumpe, mittels Riemen
provisorisch angetrieben durch eine im Erdgeschoss stehende Loko-
mobile. Bald darauf wurde ein Reserveaggregat von gleicher Leistung
und gleicher Art aufgestellt.
Im Juni 1901 wurde zum ersten Mal Schiersteiner Nutzwasser
der Stadt zugeführt. Die im Betrieb angestellten chemischen Unter-
16 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
suchungen ergaben zwar nicht für alle acht, aber doch bezüglich
der vier Brunnen B^ — B4 und des C- Brunnens eine durchaus für
Trinkzwecke geeignete WasserbeschaflFenheit. Dasselbe gilt im allge-
meinen von den bakteriologischen Untersuchungen. Nur ab und zu
wurde ein höherer Keimgehalt gefunden, ohne dass es zunächst
gelang, dessen Ursache zu ergründen. Unter diesen Verhältnissen
wurde — abgesehen von Notfällen — zunächst nicht gestattet, das
B- und C-Brunnenwasser ohne weiteres auch zu Trinkzwecken zu
verwenden. Neues Trinkwasser musste aber beschafft werden, und
so verfiel man auf den Ausweg, durch eine Sterilisations- Anlage
mittels Ozon das Schiersteiner Brunnenwasser für Trinkzwecke jeder-
zeit geeignet zu machen. Im November 1901 wurde der Firma
Siemens & Halske in Berlin das Ozonwerk als Versuchsanlage
mit 250 cbm stündlicher Leistung in Auftrag gegeben und war am
1. August 1902 betriebsfertig. Die Wirksamkeit des Verfahrens
wurde durch mehrmonatliche Dauerversuche erprobt, und der geplanten
Verwendung hätte nichts im Weg gestanden, wenn nicht ein unvorher-
gesehener Umstand störend aufgetreten wäre. Während nändich vor
der Auftragserteilung der Eisengehalt des Grundwassers nur gering
war, zeigte sich kurz nach der Betriebseröffiiung des Ozonwerks eine
Zunahme des Eisengehalts. Durch die Ozonisierung wurde das Eisen
vollständig ausgefällt und verlieh dem Wasser eine gelbe Färbung,
so dass es selbst für einige Zwecke der Nutzwasserversorgung nicht
verwendet werden konnte. Dieser Missstand war zwar beseitigt, als
vier Jahre später die bei Erweiterung der Schiersteiner Wasserwerke
ausgeführte Enteisenungs-Anlage in Betrieb gekommen war, unter-
dessen war aber das Ozonwerk überflüssig geworden. Durch jahre-
lange tägliche bakteriologische Untersuchungen war es nämlich
gelungen, nachzuweisen, dass einerseits das Grundwasser der
B-Brunnen von Hause aus steril ist und die Keimzahl nur dann
«twas zunimmt, wenn bei Überschwemmung des Brunnengeländes die
Brunnen abgepumpt werden und dass andererseits die zu anderen
Zeiten beobachteten höheren Keimzahlen auf zufällige Verunreini-
gungen bei der Probeentnahme oder auf sonstige Untersuchungs-
fehler zurückzuführen waren.
Zufolge dieser Erkenntnis wurde das Brunnengelände eingedeicht,
und zwar so, dass etwa 95 ^/q aller Hochwasser dem Gelände ferngehalten
werden. Wäre der Deich so hoch angelegt worden, dass er sämtliche
Hochwässer abgehalten hätte, würde er zu kostspielig geworden
sein. Tritt nun ausnahmsweise — nach der Statistik durchschnittlich
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Tafel 6.
Portal des Kellerskopfstollens.
Portal des Kreuzstollens.
Tafel 7.
Portal des Kreuz-Stollens.
Innere Ansichten.
"J
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 17
einmal im Jahr — ein Hochwasser, für dessen Zurückhaltung der
Deich zu niedrig ist, ein, so tritt der Wasserspiegel erfahrungs-
gemäß nach wenigen Tagen wieder unter die Deichkrone zurück und
das eingedeichte Brunnengelände kann alsdann im Zeitraum von etwa
fünf Tagen mittels eines besonderen Pumpwerks, bestehend aus einer
elektrisch angetriebenen Zentrifugalpumpe, wieder trocken gelegt
werden. Während einer solchen Überschwemmung und in den ersten
vierzehn Tagen, an denen das Brunnengelände wieder hochwasserfrei
ist, wird aus den B- Brunnen überhaupt nicht gepumpt und ent-
sprechend mehr Wasser den Vorräten hinter den Stollenverschlüssen
entnommen. Sodann wird das B-Brunnenwasser vorsichtshalber so
lange als Nutzwasser verwendet, als etwa die bakteriologischen
Untersuchungen kein günstiges Ergebnis liefern. Sollte einmal das
B-Brunnenwasser auch zu Zeiten einer Überschwemmung zu Trink-
zwecken benutzt werden müssen, so hätte das Ozonwerk in Tätigkeit
zu treten.
Auf eine Beschreibung des Ozonisierungs -Verfahrens und des
Schiersteiner Ozonwerkes kann an dieser Stelle mit Rücksicht auf
die darüber verbreitete Literatur verzichtet werden.
Wie bereits erwähnt, wurde in den Jahren 1903 — 1907 auf
Grund eingehender hydrologischer und geologischer Untersuchungen
das Schiersteiner Werk auf eine Leistungsfähigkeit von 7200 cbm
Trinkwasser und 4800 cbm Nutzwasser gebracht. Sein gegenwärtiger
Zustand soll nachfolgend beschrieben werden.
Das Grundwasser wird mittels Rohrbrunnen diluvialen Sauden
und Kiesen entnommen. Die 5 — 14 m mächtige wasserführende
Schicht ruht auf dem Tertiär und zwar im östlichen Teil des Entnahme-
Gebietes auf Ton, im Westen auf Kalkfels. Sie wird von einer
schwer durchlässigen Aluviumschicht von etwa 2,3 — 3,6 m Dicke
überlagert (vergl. Tafel 9). •
Die Trinkwassergewinnungsanlage (vergl. Tafel 10)
besteht aus den in einer Reihe zu zwei Gruppen angeordneten
30 Brunnen, Bg — B22 und Bg^ — B42. Vom offenen Rheinstrom liegt
die B- Brunnenreihe 500 m entfernt. Die 18 Brunnen der Gruppe
B5 — B22 sitzen in Abständen von 25 m. Von der einen zur anderen
Gruppe ist ein Zwischenraum von 78 m vorhanden. Bei der Gmppe
B31 — B42 ist der Brunnenabstand auf etwa 30 m erweitert. Jede
Gruppe besitzt eine gusseiserne Heberleitung. Diejenige der Gruppe
B5 — B22 ist 855 m lang, nach dem Beispiel der Tilburger Anlage
mit dem Scheitel wagerecht auf + 81,50 N. N. gelegt. Ihre Weite
2
18 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
wächst nach dem Maschinenhaus hin bis auf 450 mm. 1 m über
dem Scheitel befindet sich die 50 mm weite galvanisierte Leitung zur
Entlüftung des Hebers und der Brunnen ^). Die 350 mm weite und
428 m lange Heberleitung der anderen Gruppe war ursprünglich an
die 4 alten, jetzt verlassenen Brunnen B^ — B4 angeschlossen und
steigt in früher üblicher Weise nach dem Maschinenhaus an, woselbst
ihr Scheitel die Höhe + 83,50 N. N. erreicht. Beide Heber tauchen
in den im Maschinenhaus befindlichen Trinkwasser -Sammelbrunnen
ein. Übereinstimmend mit der grösseren Mächtigkeit der wasser-
führenden Kiesschichten und teilweise mit dem Unterschied in der
Höhenlage der beiden Heber ist bei den Brunnen B5 — B22 eine um
1,50 m tiefere Absenkung des Grundwassers als bei den Brunnen
B31 — B42 vorgesehen. Dementsprechend reicht die oberste Schlitz-
reihe der Brunnen-Filterrohre bei diesen beiden Brunnengruppen bis
zur Kote + 75,50 N. N. bezw. + 77,00 N. N. hinauf.
Die Brunnen wurden im allgemeinen mit 400 mm Weite gebohrt.
Konzentrisch zum Bohrrohr wurde das aus verzinntem Kupferblech
bestehende, 180 mm weite Filterrohr mit Schlitzlochung eingesetzt.
Es hängt an einem galvanisierten schmiedeisernen Rohr gleicher
Weite, welches in dem mit der Heber -Zweigleitung verbundenen,
gusseisernen Brunnenkopf endigt. Der hohlzylindrische Raum zwischen
Filter- und Bohrrohr wurde mit doppeltgesiebtem, im Korn der
Beschaffenheit der wasserführenden Schicht angepasstem und übrigens
sterilisiertem Kies ausgefüllt und das Bohrrohr bis über die Schlitze
des Filterrohres hochgezogen. Der Brunnenkopf, der mit Woltmann-
Wassermesser und Schieber ausgerüstete Heberanschluss, sowie der
Anschluss der Luftsaugeleitung sitzen in einem wasserdicht gemauerten
Schacht, woselbst auch die Proben für bakteriologische Unter-
suchungen durch die auf Tafel IIb veranschaulichte Einrichtung ent-
nommen werden können. Das Schachtinnere ist gegen den eigent-
lichen Brunnen wasserdicht abgeschlossen; auch wurde bei der
Brunnenkonstruktion auf Vermeidung jeder Verunreinigung des
Brunnenwassers durch Tagwasser sorgfältig Bedacht genommen. Im
übrigen wird auf Tafel 1 1 a verwiesen. Diese Bauart der Brunnen hat
sich bisher, d. h. in vier Betriebsjahren, in Schierstein vollständig
bewährt, insbesondere ist keine Versandung der Brunnen eingetreten.
Es sei noch bemerkt, dass durch besondere Ausbildung des Brunnen-
1) Vergleiche „Das Grundwasserwerk der Stadt Tilburg in Holland" von
Halbertsma im Journal f. Gasbel. u. Wasserv. 1903.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 19
kopfes und durch die Anordnung einer Luftsaugeleitung bei Betriebs-
pausen der Heber gefüllt bleibt, ohne dass ein Überhebem von den
einen Brunnen in die anderen stattfindet.
Bei niedrigstem Grundwasserstand beträgt die Ergiebigkeit der
30 Trinkwasserbrunnen etwa 7200 cbm täglich.
Die Brunnen Bg — B^g wurden im Jahr 1903/04, die übrigen
B-Brunnen im Jahre 1907 erbaut.
Der früher erwähnte C- Brunnen wurde wegen zu geringer
Ergiebigkeit aufgegeben.
Die im Jahr 1906 erstellte neue Nutzwassergewinnungs-
anlage besteht aus den 12 Brunnen D^ — Djg, welche in Abständen
von 25 m in einer Reihe parallel zum Rheinstrom und 100 m vom
Ufer entfernt auf einer Halbinsel, der Bauernau, angeordnet wurden.
Der Grundwasserträger liegt dort durchschnittlich auf + 71,00 N.N.,
die oberste Schlitzreihe der Brunnenfilterrohre auf + 76,50 N. N. und
das Gelände auf + 82,30 N.N. oder 1,16 m über dem Mittelwasser
des Rheins (-|- 81,14 N.N.). Die Bauart der neuen Nutzwasser-
brunnen ist diejenige der Trinkwasserbrunnen. Die Gesamtergiebigkeit
dürfte bei niedrigstem Grundwasserstand 5900 cbm täglich betragen.
Eine wagerechte, 790 m lange gusseiseme Heberleitung von 500 mm
grösstem Durchmesser mit der Scheitelkote + 81,50 N.N. verbindet
die Brunnenreihe mit dem Nutzwassersammelbrunnen, welcher dicht
am Maschinenhaus liegt. Sie kreuzt unter einem Damm mit Durch-
lass einen südlichen und mittels Damm und Düker (was nebenbei
bemerkt nur das Tilburger Heberleitungs- System gestattet) einen
nördlichen toten Rheinarm. Ebenso wie jeder Brunnen wird sie
durch eine besondere, 50 mm weite und 1 m über dem Heberscheitel
angeordnete galvanisierte Leitung entlüftet. Böschungen und Krone
des Heberleitungsdammes, welcher auch die Luftsaugeleitung und die
Brunnen umkleidet, ist zwischen Rheinstrom und Düker zum Schutz
gegen Wellenschlag und Eisgang bei Hochwasser mit Bruchsteinen
gepflastert. Der Düker wurde in einer 22 m langen und 2 m breiten
Spundwand zusammen mit zwei gemauerten Pfeilern für eine in
Höhe der Dammkrone liegende Brücke unter Wasserhaltung gegründet.
Er besteht aus verstärkten gusseisernen Röhren von 350 mm Weite
und liegt mit dem Scheitel 1,63 m unter dem niedr. Niedrigstwasser
(+ 79,60 N.N.) und 0,87 m unter der Sohle des Rheinarms.
Die 3 alten A-Brunnen können als Reserve an die Nutzwasser-
Heberleitung der D-Brunnen angeschlossen werden.
20 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Die Förderanlage (siehe Tafeln 12 — 16) besteht im wesent-
lichen aus 5 Vor- oder Brunnenpumpen mit etwa 18 m manometrischer
Förderhöhe, welche das Wasser den Sammelbrunnen entnehmen und
auf die Enteisenungsanlage drücken, den 5 Haupt- oder Behälter-
pumpen mit etwa 108 m manometrischer Förderhöhe, die das ent-
eisente Wasser aus den Reinwasserkellern saugen und nach den
Sammelbehältern bei Dotzheim fördern und aus der Dampfkessel-
Anlage. Von den 5 Maschinensätzen heben die beiden östlichsten
Nutzwasser, die übrigen Trinkwasser. Jede der 2 Hauptpumpen für
Nutzwasser leistet 120 cbm stündlich, was für die verlangte Gesamt-
leistung von 200 cbm reichlich ist. Jede der 3 Hauptpumpen für
Trinkwasser liefert 150 cbm stündlich, so dass bei der verlangten
Gesamtleistung von 300 cbm eine Maschine in Reserve verbleibt.
Eine Reserve für Nutzwasser erschien überflüssig, weil dieses nötigen-
falls durch Trinkwasser ersetzt werden kann.
Die Vorpumpmaschinen, welche für eine um 10 Prozent höhere
Leistung als die Hauptpumpen konstruiert wurden, sind stehende
„Compound-Dampfpumpen**. Oben liegen nebeneinander die beiden
Dampfzylinder, unten die beiden Zylinder der einfach wirkenden
Zwillings-Tauchkolbenpumpe. Die Hauptmaschinen dagegen sind
Compound-Maschinen Hegender Bauart und besitzen doppeltwirkende
Zwillings-Tauchkolbenpumpen, deren Kolbenstangen mit den Stangen
der Dampfkolben unmittelbar gekuppelt sind. Jede Hauptmaschine
ist mit einem Mischkondensator versehen, der gleichzeitig auch als
Kondensation der Vorpumpmaschinen und zur Entlüftung der Heber-
leitungen und Brunnen dient. Für den letzteren Zweck sind ausser-
dem als Reserve Dampfstrahlsauger vorhanden.
Den Dampf für die Maschinen und die Beheizung der Gebäude
liefern 3 Zweiflammrohr-Kessel mit je 81 qm Heizfläche, ausgerüstet
mit je einem Überhitzer von 58 qm Heizfläche. An den Kesseln
beträgt der Dampfüberdruck höchstens 10 kg/qcm, beim Eintritt in
die Maschinen etwa 9 kg/qcm. Die Heizgase der 3 Kessel werden
durch einen gemeinschaftlichen, 40 m hohen Schornstein abgeführt.
Zur Kesselspeisung dient Brunnenwasser von etwa 19 deutschen
Härtegraden nach entsprechender Enthärtung.
Die mit einem Laufkran von 2000 kg Tragkraft ausgerüstete
Maschinenhalle ist 30,1 m lang und 16,7 m breit. Im Erdgeschoss
befinden sich die Hauptpumpmaschinen, in einem besonderen wasser-
dichten Schacht die Vorpumpmaschinen. Erdgeschossflur liegt auf
+ 87,70 N. N., Vorpumpenschachtflur der Nutzwasserseite auf
Wasi*r*frkf
der Sladt Wiesbaden
Wa55Er\)7Erk 5ch
LängenproFil durch die Hr
Tafel 9.
Ersfein 1
i 4 g ;| f
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 21
+ 83,00 N. N. und der Trinkwasserseite auf + 82,00 N. N., die
Sohle der Baugrube unter dem Trinkwasservorpumpenschacht auf
-f- 79,75 N. N. Der innerhalb des Maschinenhauses angeordnete
Trinkwasser-Sammelbrunnen besitzt 4,15 m 1. W. und eine lichte
Sohlenhöhe von + 75,00 N. N. ; er wurde aus gusseisemen Tübbings
zusammengesetzt und vor Herstellung der an ihn anschliessenden
Maschinenhausfundamente mittels Druckluft abgesenkt. In der Nähe
des Maschinenhauses steht das Grundwasser durchschnittlich auf
-f 82,50 N. N.
Zwischen Maschinen- und Kesselhaus liegen die Räume des
sx)gen. Zwischenbaues, und zwar im Keller die beiden durch einen
Gang getrennten Reinwasserbehälter für Trink- und Nutzwasser von
320 bezw. 200 cbm Inhalt, im Erdgeschoss ein Aufenthaltsraum für
die Kesselwärter, je ein Zimmer für die Direktion und den Maschinen-
meister sowie ein Magazin, im Obergeschoss endlich ein Laboratorium,
ein Aufenthalts- und Speiseraum für die Arbeiter, eine Arbeiter-
badeanstalt, bestehend aus einem Wannen- und einem Brausebad mit
kaltem und warmem Wasser, sowie 2 Aborte.
Neben den 3 Kesseln ist im Kesselhaus, welches 16,5 m lang
und 14,5 m breit ist, fürsorglich noch Raum für einen vierten Kessel
vorgesehen.
Unweit des Kesselhauses steht für sich allein das Kohlenhaus,
das in Länge und Breite mit den Abmessungen des Kesselhauses
übereinstimmt und etwa 1000 Tonnen Kohlen fassen kann. Es ist
durch eine Feldbahn für Pferdebetrieb einerseits mit dem Rheinufer
und andererseits mit dem Kesselhaus verbunden. Die Kohlen-
bahn benutzt zwischen Rhein und Kesselhaus den Nutzwasserheber-
damm und die Dükerbrücke. Sie ermöglicht den Schiffsbezug der
Brennstoffe und gestattet, arbeitstäglich 100 t Kohlen auszuladen.
Gegenüber dem Bahnbezug stellen sich die Brennstoffkosten im
Kesselhaus beim Schifisbezug um etwa 1,30 M. für die t niedriger.
Wie bereits erwähnt, ist das Schiersteiner Brunnenwasser eisen-
haltig. Nach den im Jahr 1907/08 vorgenommenen Untersuchungen
schwankt beispielsweise der Eisengehalt im Mischwasser der Trink-
wasserbrunnen B — Big von 0,40 bis 1,72 mg FegOg im Liter, im
Mischwasser der Trinkwasserbrunnen Bgj — B42 von 0,11 bis 0,34 mg
und in denjenigen der Nutzwasserbrunnen D^ — D12 von 7,57 bis
11,14 mg, der Mangangehalt von 0,36 bis 0,89 mg Mn im Liter,
bezw. 0,10 bis 1,28 mg bezw. 1,83 bis 2,63 mg. Daher wurden
gleichzeitig mit der Vermehrung der Brunnen und der Erweiterung
22 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
der Pumpwerke Enteisenungsanlagen und zwar getrennt für Nutz-
und Trinkwasser erbaut. Deren System anlangend entschied man
sich für Koksriesler und Schnellsandfilter, nachdem zuvor an einer
Versuchsenteisenungsanlage die Brauchbarkeit dieses Verfahrens für
die Schiersteiner Wässer erprobt worden war.
Die Ries 1er wurden in einem gemeinschaftlichen Gebäude
von 22,64 m innerer Länge und 8,03 m Breite untergebracht und
bestehen aus 3 Kokskammem für Trinkwasser und 2 für Nutzwasser.
(Siehe Tafel 12, 15 und 16). Jede Kokskammer hat eine lichte
Grundfläche von 20 qm, auf einen qm kommen stündlich 5 cbm
Wasser, auf jede Kanamer stündlich 100 cbm Wasser im Normal-
betrieb. Die Koksschicht ist 3 m hoch und mit verzinkten Well-
blechen abgedeckt, deren Berge und Täler in regelmäßigen Abständen
gelocht sind. Über den Blechen erfolgt die gleichmäßige Wasser-
verteilung nach einem neuen System der Verwaltung mittels einer
Reihe besonders hierfür konstruierter Brausen. Das Wasser wird
hierbei bis zur Zerstäubung fein verteilt und sowohl im 1,40 m
hohen freien Fall, wie beim Tröpfeln durch die Koksschicht durch-
lüftet. Unter jeder Kokskammer sammelt sich das Wasser in einem
Keller von 55 cbm Inhalt, lässt dort und in der Koksschicht den
grössten Teil des Eisens als Niederschlag zurück und läuft sodann
über einen Überfall auf die Filter oder, wenn gewünscht, zum Ozon-
werk. Zwecks Spülung der Koksschicht kann das Aufschlagwasser
jeder Kammer verdreifacht werden. Auch können die Keller durch
weite Kanalanschlüsse unter kräftiger Spülwirkung vom abgelagerten
Eisenschlamm befreit werden. Das Eisenschlamm haltige Spülwasser
darf übrigens nicht unmittelbar in die toten Rheinarme geleitet
werden, da diese Fischlaichgebiet sind. Vielmehr war man genötigt,
vor der Ausmündung des Spülkanals einen Klärweiher anzulegen, in
dem die Abwässer zunächst ihren Schlamm absetzen können.
Die Sohlen und Wände der Filter sind aus Stampfbeton, und
deren Überwölbung aus eisenarmiertem Beton, ruhend auf eisernen
I- Längsträgern und gusseisernen Säulen, hergestellt und mit Erde
überdeckt. Sie enthalten 6 Kammern von je 200 qm lichter Fläche,
4 für Trinkwasser und 2 für Nutzwasser (vergl. Tafel 17). Die
Trink- und Nutzwasserfilter sind durch den Spülkanal der Riesel-
anlage vollständig von einander getrennt.
Das gerieselte Wasser strömt oben auf die Filter und wird
dort auf einer konstanten Wasserhöhe von 1 m über dem Filterbett
gehalten. Das Filterbett ist 0,90 m hoch und besteht bei den
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 23
Trinkwasser -Filtern aus einer oberen 0,40 m starken groben
Sandschicht von ^/g bis 2 mm, einer 0,20 m starken groben Sand-
schicht von l bis 2 mm, einer 0,10 m starken feinen Kiesschicht von
2 bis 4 mm, einer 0,10 m starken groben Kiesschicht von 4 bis 20 mm
und einer 0,10 m starken sehr groben Kiesschicht von 20 bis 40 mm
Korngrösse. Sämthche Sande und Kiese sind aus dem Rhein
gebaggert und auf dem Bau doppelt gesiebt und mit Wasser aus
der Trinkwasserleitung gewaschen, bevor sie in die Filter gebracht
wurden. Das Filterbett ruht auf einer 0,20 m hohen Drainanlage
aus hartgebrannten Ziegelsteinen, welche in einen Hauptdrainkanal
aus Stampfbeton von 0,50 m lichter Weite und 0,70 m lichter Höhe
mündet, der, in der Längsachse des Filters liegend, das vom Eisen
befreite Wasser dem Filter-Abfluss-Regulator zuführt.
Die Nu tzwasser- Filter sind ebenso konstruiert, nur mit
dem Unterschiede, dass für die obere Filterschicht auch das etwas
gröbere Korn der zweiten Schicht genommen und demzufolge
die beiden oberen Schichten zu einer 0,60 m starken Schicht von
1 bis 2 mm Korngrösse, behufs Erzielung einer grösseren Durch-
lassfähigkeit bezw. Filtergeschwindigkeit vereinigt wurden.
Wenn für Nutz- und Trinkwasser je eine Kammer gereinigt
wird und die übrigen Kammern in Betrieb sind, liefert bei voller
Beaufschlagung (200 cbm Nutzwasser und 300 cbm Trinkwasser)
1 qm Nutzwasserfilter 1 cbm und 1 qm Trinkwasserfilter V2 cbm
stündlich. Die 4 Trinkwasserfilter wurden mit je einem Regulator,
System Götze, ausgerüstet. Alle Filter sind zum Füllen von unten
zur Wiederinbetriebsetzung an die Trinkwasserdruckleitung der Haupt-
pumpen angeschlossen und mit einem Überlaufe versehen. Etwas
über Erdgleiche sind die Türen der Filtereingänge angeordnet, an
die sich schräge Rampen zum Ein- und Ausfahren des Filtersandes
anschliessen. Eine Sandwäsche, System Körting, vervollständigt
die Filtereinrichtung.
Von den Filtern fliesst das Wasser für gewöhnlich in die
Reinwasserkeller und wird dort von den Hauptpumpen angesaugt.
Das Ozonwerk kann sowohl zwischen Riesler und Filter, als
auch zwischen Filter und Reinwasserkeller eingeschaltet werden.
In beiden Fällen arbeiten die Anlagen erfahrungsgemäß ohne Anstände.
Die Wirkung der Enteisenungsanlage ist eine ganz vorzügliche,
indem der Eisen- und Mangangehalt sowohl des Trinkwassers wie
des Nutzwassers gänzlich entfernt wird.
24 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
d) Leistungsfähigkeit der einzelnen Anlagen.
Soweit die Ergiebigkeit der einzelnen Gewinnungsanlagen nicht
bereits zahlenmäßig angegeben wurde, möge sie, sowie die Bedeutung-^
welche jeder Anlage für die städtische Wasserwirtschaft zukommt,
der nachstehenden Tabelle des monatlichen Wasserzulaufs und
-Verbrauchs entnommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
das Jahr 1907/08 in Bezug auf die Wasserlieferung der Taunusquellen
ein günstiges und daher die Benutzung von Schiersteiner Trinkwasser
nur in geringem Umfange erforderlich war. Ferner ist zu beachten,
dass der Stau hinter den Verschlüssen des Münzberg- und Kellerskopf-
stollens in diesem Jahre sehr hoch gehalten werden konnte, wodurch,
die Ergiebigkeit genannter Stollen aussergewöhnlich niedriger ausfiel.
Endlich sei wiederholt, dass am Ende des Jahres 1907/08 die Sicker-
galerien Adamstal und Alter Weiher von der Trinkwasserversorgung*
ausgeschaltet und zur Nutz- bezw. Bahnwasserversorgung heran-
gezogen wurden.
III. Wasseruntersuchnng nnd WasserbesehaflTenheit.
Das Wasser der einzelnen Tjinkw asser-Gewinnungsanlagen
wird laufend bakteriologisch untersucht und zwar um so häufiger
oder seltener, je grösser bezw. kleiner die immerhin denkbare Gefahr
einer Verunreinigung mit Rücksicht auf Nachbarschaft, Überlagerung,
Filtrierfähigkeit der wasserführenden Schichten usw. erscheint. Der
zeitliche Abstand von einer Untersuchung zur nächsten beträgt
für das Mischwasser der Schiersteiner Trinkwasser-
Brunnen^) Bß — Bgg und dasjenige der Trink-
wasser-Brunnen B31 — B42 1 Woche,
für die einzelnen Brunnen . . 26 Wochen,
für die flachliegende Sickergalerie Pfaffenborn . . 2 „
für das von der Nachbargemeinde Sonnenberg
bezogene Wasser, welches Flachstollen ent-
stammt 4 „
für den Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen sowie
für die vorderste 400 m lange und verhältnis-
mäßig flach liegende Strecke des Schläferskopf-
stollens 6 n
1) Der Wissenschaft halber wird das Wasser der Nutzwasser-Brunnen-
anlage alle ^ Wochen einmal bakteriologisch untersucht.
[res 1907I0S.
W(M8erver8o rgung.
Zu Seite 24.
til 1907
, 1908
; Vorrat
cbm 2216
, 4010
cbm 1794
!
Manometerstan
i
Unge-
fährer
.
es
Oesamt-
der Stollenverschlüsse in Atm.
Unbenutztes Wasser
Wasser-
am Monatsersten
ver-
;.er
Ver-
yer-
brauch
n
brauch
brauch
Kellers-
kopf
3hläfers-
kopf
1
Schläfers-
kopf
Pfaffen-
born
Adams-
tal
Alter
Weiher
der
Hoch-
zone
I
11
QQ
0,0 -400 m
70
55000
308790
12,6
8,0
11,2
2600
1100
450
11950
34000
50
77000
888550
11,7
8,0
15,3
—
—
—
1540
2940
12630
47000
70
83780
394950
10,8
8,1
12,0
—
—
—
720
—
6070
50000
50
76080
385460
9,5
7,7
8,8
—
—
—
480
—
3750
52000
70
90090
401850
9,9
6,5
7,0
—
—
—
• 440
--
160
46000
70
78910
394380
8,5
5,0
6,3
—
—
5860
1070
610
1240
31000
.60
63980
379700
8,0
4,0
5,0
--
—
8950
370
4060
4720
28000
190
57220
349330
6,9
2,8
9,6
—
—
680
470
2620
3760
26000
^90
53670
330070
6,6
2,5
11,0
—
—
3600
4130
8730
16690
24000
130
54840
327580
8,2
2,4
9,6
1800
3230
3160
12600
22000
.90
49510
311710
8,5
2,3
8,3
—
—
1800
8140
5440
12650
20000
20
56580
353470
10,6
6,8
9,5
—
—
4780
20220
16090
14050
35000
Stand am
i60
796660
4325840
11,7
8,9 i 12,5
. 1. April 1908
30070
44710
44200
100270
415000
\^
—
0,9
1,3
gestiegen
219250
cbm
1
100 o/o
0,9
gefj
ülen
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
25
für das Wasser der Tiefstollen und zwar getrennt
nach dem Wasser der Verschlüsse und dem
übrigen Wasser 12 Wochen^
und für das Wasser der Hochbehälter endlich . . 1 Jahr.
Falls ausnahmsweise ozonisiert wird, finden tägliche bakterio-
logische Untersuchungen sowohl des Brunnenwassers als auch des
ozonisierten Wassers statt. Vor und nach der Inbetriebnahme neuer
Trinkwasser- Anlagen wird vorsichtshalber häufiger untersucht; bei-
spielsweise wurde beim Wasser der Brunnen B^ — B^g die Keimzahl
einige Jahre hindurch täglich festgestellt.
Keim zahl
Datum der
Probe-Entnahme
Sicker-
galerie
Pfaffen-
bom
Berg-
stollen
Münzbergstollen
vor 1 hinter
dem Verschluss
Bemerkungen
6. IV. 1906 . . .
20. IV. 1906 . . .
4. V. 1906 . . .
18. V. 1906 . . .
1. VI. 1906 . . .
16. VL 1906 . . .
13. VII. 1906 . . .
27. VII. 1906 . . .
10. VIIL 1906 . . .
24. VIIL 1906 . . .
7. IX. 1906 . . .
21. IX. 1906 . . .
5. X. 1906 . . .
19. X. 1906 . . .
16. XL 1906 . . .
30. XL 1906 . . .
14. XII. 1906 . . .
29. XII. 1906 . . .
IL L 1907 .. .
26. I. 1907 . . .
8. IL 1907 . . .
9
58
7
8
40
9
26
3
3
1
4
1
fehlerh.
Untersuch.
7
3
1
3
1
19
1
1
11
10
9
2
13
14
9
5
3
4
2
1
3
1
5
Tags zuvor heftiger
Regen.
Vom 24. V.— 1. VL
Regen.
Übertrag der
Summen .
205
68
14
10
26
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
im der
Entnahm
Keim zahl
Dati
Probe-]
Sicker-
e galerie
Pfaffen-
bom
Berg-
Stollen
Mttnzbergstollen
vor 1 hinter
dem Verschluss
Bemerkungen
Übertrag
der
Summen
205
68
14
10
22. II.
1907 .
104
—
—
— •
Am 19. u. 20. Regen
u. Schneeschmelze.
8. III.
1907 .
42
16
—
—
Vom 7.— 10. Regen.
22. III.
1907 .
21
—
—
—
5. IV.
1907 .
7
—
1
19. IV.
1907 .
1
13
—
—
3. V.
1907 .
150
—
—
—
Vom 29. IV.-3. V.
bedeutende Regen-
17. V.
1907 .
9
_
fälle.
1. VI.
1907 .
3
5
—
—
14. VI.
1907 .
11
—
—
28. VI.
1907 .
49
—
2
2
12. VII.
1907 .
2
8
—
—
26. VII.
1907 .
1
—
—
9. VIII.
1907 .
2
.._
—
—
23. VIII.
1907 .
1
7
—
—
6. IX.
1907 .
8
—
—
20. IX.
1907 .
2
—
2
4. X.
1907 .
5
31
—
—
18. X.
1907 .
1
—
—
—
31. X.
1907 .
5
—
—
—
15. XL
1907 .
3
88
—
—
Am 12. u. 13. Regen.
29. XI.
1907 .
20
—
—
—
13. XIT.
1907 .
15
—
1
28. XII.
1907 .
11
13
—
—
24. I.
1908 .
2
—
—
—
7. II.
1908 .
16
25
—
21. II.
1908 .
23
—
—
—
6. III.
1908 .
— •
—
2
1
20. III.
1908 .
17
12
—
—
Gesamt-Summen
der Keimzahlen
736
286
21
14
Gesamt-Anzahl d
er
UntersuchungeB
47
17
9
9
Durchschnittlich(
3
Keimzahl einei
r
Untersuchung
16
17
2
1-2
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 27
Zur Charakterisierung des Wassers der Sickergalerien, Flach-
stollen und Tiefstollen in bakteriologischer Hinsicht seien in vor-
stehender Tabelle die Keimzahlen zusammengestellt, welche in den
zwei Betriebsjahren 1906/07 und 1907/08 für die Sickergalerie
PfaflFenborn, den Bergflachstollen, die vor dem Hauptverschluss
liegende Strecke des Münzbergstollens und die dahinter liegende
Strecke gefunden wurden. Zuvor möge noch erwähnt werden, dass
alle bakteriologischen und chemischen Untersuchungen durch das
Laboratorium Fresenius ausgeführt worden sind, welches für
gewöhnlich über die Keimzahl nach 14 Tagen Brutzeit^), bei
auffallenden Ergebnissen indessen vorläufig auch über die nach
3 bis 5 Tagen gefundene Keimzahl berichtet, sowie dass jedes Unter-
suchungsresultat das Mittel der Keimzahlen von 4 Kulturen darstellt.
Obgleich höhere Keimzahlen häufig bei der Empfindlichkeit der
Untersuchungsmethode zufälligen Verunreinigungen z. B. gelegentlich
der Probeentnahme, zuzuschreiben sind, erkennt man aus vorstehender
Tabelle doch, dass die Keimzahl im Wasser der Sickergalerien etwas
schwankt und von den meteorologischen Niederschlägen abhängig ist,
dass diese Schwankungen bei den Flachstollen kleiner sind und bei
den Tiefstollen ganz fehlen, die Keimzahl also mit der Tiefe der
Gewinnungsanlage zurückgeht.
Man ist geneigt, beim Gebirgsquellwasser, d. h. bei dem in
Spalten, Rissen oder Klüften des Gesteins zirkulierenden Wasser eine
Infektionsgefahr viel eher anzunehmen als beim Wasser der Sande
und Kiese von Flussniederungen. Ein solches Misstrauen ist vielleicht
dem aus Kalk entspringenden Wasser gegenüber berechtigt, wäre
aber dem Wiesbadener Tiefstollenwasser gegenüber gänzlich verfehlt.
Die Keimfreiheit des letzteren erklärt sich daraus, dass alle wasser-
führenden Klüfte des Gebirgs mit gut filtrierendem Material ausgefüllt
sind. Die Kluftfüllungen setzen sich aus Verwitterungsprodukten
des betreffenden Gesteins zusammen. Bei den Phylliten besteht dieses
Produkt hauptsächlich aus Ton und zu einem geringeren Teil aus
Quarzsand; die Füllung ist gut filtrierend und wenig durchlässig.
Die Quarzite, welche den Stollen weitaus das meiste Wasser liefern.
^) Dahingegen äusserte sich Proskauer auf der diesjährigen Jahres-Vers.
des D. Ver. von Gas- und Wasserfachmännern dahin, dass behufs eines richtigen
Vergleichs die Keimzahlen, ebenso wie bei den Sandfiltern für Oberflächenwasser,
allemal nach 2 x 24 Stunden gezählt werden sollten. Wäre hiernach auch in
Wiesbaden verfahren worden, so würden sich die Keimzahlen noch als viel
kleiner herausgestellt haben.
28 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
bestehen aus Quarz, verkittet durch ein quarziges Bindemittel. Ihr
Verwitterungsprodukt ist daher nur Sand, und die Füllung ihrer
Klüfte besitzt eine vorzügliche Filtrierfähigkeit verbunden mit grosser
Durchlässigkeit. Man könnte hier einwenden, die Kluftfüllung werde
durch das Quellwasser ausgespült und das natürliche Filter werde
dadurch zerstört, jedoch mit Unrecht. In dem feinen Sande der Klüfte
sind nämlich stets mehr oder weniger grosse Gesteinsbrocken eingebettet.
In der Nähe des Stollenhohlraumes läuft der Sand der Klüfte freilich
aus, nicht aber der Schotter, welcher wie der grobe Kies bei einem
künstlichen Filter den Filtersand zurückhält.
Übrigens liegen die Wiesbadener Tiefstollen unter unbebauten
und fast durchweg bewaldetem Gebiet. Dasselbe gilt ftlr die Sicker-
galerien und Flachstollen, soweit sie der Trinkwassergewinnung dienen^
und eine Verunreinigung ist daher auch bei ihnen ausgeschlossen.
Die beiden Sickergalerien Adamstal und Alter Weiher, deren
Nachbarschaft nicht ganz frei von Privatwiesen ist, liefern, wie bereits
erwähnt, seit dem März ds. Js. nur noch Nutzwasser.
Die vorzügliche bakteriologische Beschaffenheit des Schiersteiner
Trinkwassers möge der zeichnerischen Darstellung entnommen werden,
welche in Tafel 18 die Keimzahl des Mischwassers aus den Brunnen
B5— Bj6 für die Zeit vom 1. Oktober 1906 bis 30. Juni 1908 sowie
den Spiegelgang des Rheinstromes und des toten Rheines in der Nähe
der Brunnenanlagen wiedergibt. Ende März 1907 zeigte sich ein
kleines Anschwellen der Keimzahl als Folge eines das Brunnengelände
überschwemmenden Hochwassers, ebenso im Mai 1907. Der Deich
mit seinem Pumpwerk war damals im Bau begriffen und unfertig.
Bei den kurzen und geringen Hochwässern in der zweiten Hälfte des
Februar und Mitte März 1907 war er indessen bereits soweit aufgeführt,
dass er eine Überflutung des Brunnengeländes und damit ein Ansteigen
der Keimzahl verhindern konnte. Einigemale ergab sich an einzelnen
Tagen jeweils im Gegensatz zum Vortage und zu dem nachfolgenden
Tage eine höhere Keimzahl. Eine derartig rasche Änderung der
Grundwasser-Beschaffenheit ohne eine besondere äussere Veranlassung
erscheint aber ausgeschlossen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die
Keimzahl des Schiersteiner Brunnenwassers sich wohl zeitweise in
Folge einer Überschwemmung des Brunnen- Vorgeländes etwas heben
kann, dann aber beim Fallen des Oberwassers nach und nach wieder
zurückgeht. Dieses ist ja auch bei den dortigen schönen Kies- und
Sandschichten des Untergrundes nur begreiflich. Es ist aber unmöglich,
dass die Keimzahl vier Tage hintereinander sich abwechselnd plötzlich
Tafel 10.
:mm mSM
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 29
hebt und senkt. Die betreffenden Untersuchungen müssen daher als
fehlerhaft und ihre Ergebnisse als belanglos angesehen werden.
Bei neuen Gewinnungsanlagen vergeht gewöhnlich eine längere
Betriebszeit, bis die vom Bau herrührende höhere Keimzahl allmählich
verschwunden ist. So dauerte es beispielsweise bei den Tiefstollen
mehrere Monate, bis nach und nach die sterile Wasserbeschaffenheit
erreicht war.
Einmal im Jahre wird das Wasser jeden Stollens, halbjährlich
das Mischwasser der Brunnen B5 — B221 dasjenige der Brunnen
B31 — B42 und das der Brunnen D^ — D^g vollständig chemisch
untersucht. Daneben finden abgekürzte chemische Untersuchungen
des Mischwassers der Trinkwasserbrunnen in vierwöchentlichen
Zwischenräumen und der einzelnen Trinkwasserbrunnen einmal im
Jahre statt, wobei Eisen, Chlor, Permanganat -Verbrauch, Salpeter-
säure, Salpetrige Säure, Ammoniak und Mangan quantitativ bestimmt
werden.
Zur Kennzeichnung der chemischen Beschaffenheit des Wassers
aus den verschiedenen Gewinnungsanlagen wird auf nachstehende
Tabelle verwiesen, welche vollständige Analysen einer Wasserprobe
Trinkwasser:
1. aus der von dem Verschluss und im PhyUit liegenden Strecke des
Münzbergstollens,
2. aus der hinter dem Verschluss und hauptsächlich im Quarzit liegenden
Strecke desselben Stollens,
3. aus dem Misch wasser der Brunnen B5 — Bie in Schierstein,
4. « « fl r^ V B3I— B42 „ y,
Nutzwasser:
5. aus dem Mischwasser der Brunnen Di — D12 in Schierstein,
6. aus der Römerquelle *
enthält.
Im Wasser der Schiersteiner Trinkwasser -Brunnen fällt der
-etwas hohe Chlor- und ein geringer Ammoniak-Gehalt auf. Das
Yorhandensein dieser beiden StoflFe rührt von Mineralwasser her,
welches ebenso wie an vielen Stellen des Rheingaues und überhaupt
der Rheinebene auch in Schierstein in der Nähe der Brunnenanlagen
aus dem Tertiär empordringt und sich mit dem übrigen Grundwasser
mischt ^).
1) Der Chlorgehalt der Brunnen B5— Bie ist am grössten und entspricht
ungefähr einem Kochsalz-Gehalt von 0,20 gr pro Liter. Das Wasser des Wies-
badener Kochbrunnens enthält dagegen 6,83 gr, das Kgl. Selterswasser 2,33 gr,
das Kgl. Fachingerwasser 0,68 gr Kochsalz pro Liter.
30
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Das den Phylliten entstammende Stollenwasser stimmt in seiner
chemischen Zusammensetzung fast vollständig mit dem Wasser der
Sickergalerien überein, soweit diese über dem Phyllit liegen, was mit
wenigen Ausnahmen zutrifiFt.
Bezeichnung der
Wasserprobe :
Münzbergstollen
vor I hinter
dem Verschluss
Mischwasser der
Schiersteiner
Trinkwasser-
brunnen
Bö— BieBji— B42
Nutz-
wasser
brunnen
I)l-Di2
Nutz-
wasser
der
Römer-
quelle
Datum der Entnahme:
10.IV.07 10.IV.07
19.VI.08 22.V.08 19.VI.08
23.XL05
Abdampfrückstand, getrock-
net bei 1800 C
Eisen, berechnet als Eisen-
oxyd (FeaOs)
Mangan, berechnet als Man-
ganoxydoxydul (Mn3 04) .
Kalk (CaO)
Magnesia (MgO) ....
Natron (Na«0)
Kieselsäure (Si02) . . . .
Kohlensäure in Monokarbo-
naten (CO»)
Schwefelsäure (SO3) . . .
Chlor (Cl)
Salpetersäure (N2O5) . . .
Salpetrige Säure (Ng Os) . .
Ammoniak (NH3) . . . .
Kaliumpermanganatverbrauch
(K Mn O4) nach Schulze
entsprechend Sauerstoff (0)
Gesamte Härte in deutschen
Graden
Vorübergehende Härte in
deutschen Graden . . .
Bleibende Härte in deutschen
Graden
Milligramm im Liter Wasser
479,0 ' 484,0
118,6
51,6
573,2
biifaerBicbtntersBcht
1,32
j> »»
»»
0,63
32,2
8,2
138,6
10,0
6,5
30,9
10,0
2,8
101,8
8,0
11,6
33,6
33,6
7,9
120,3
7,1
4,3
58,0
8,0
6,8
102,9
2,5
2,5
0,5
war nicht
rorbaBden
>j ,»
„
1,0
2,22
2,73
7,63
0,56
0,69
1,93
4,61
1,72
18,16
4,28
1,01
15,34
0,33
0,71
2,82
0,06
0,14
141,3
36,8
50,8
18,4
137,8
36,2
47,6
0,6
0,4
4,91
1,24
12,53
1,99
160,5
41,7
26,4
18,8
155,4
46,3
19,0
6,6
446,6
bishernicht
untersucht
147,3
35,4
39,3
15,4
138,3
26,4
37,1
15,1
war flicht rorhanden
Q O war nicht
' Torhander»
11,42
2,89
19,24 : 21,84
17,58
1,66
19,81
2,03
1,64
0,41
19,65
17,63
2.02
IT. Hochbehälter^ Zuleitungen^ Bohrnetze und
Hausanschlussleitungen.
Als im Jahre 1869 der Hochbehälter, welcher die Tages-
schwankungen in der Wasserabgabe auszugleichen hatte, für das im
darauffolgenden Jahre zu eröffnende Wasserwerk errichtet werden
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 31
sollte, befanden sich die tiefstgelegenen bebauten Strassen etwa 107 m
und die höchstgelegenen etwa 165 m ü. N. N. Damit zur Bekämpfung
von Bränden selbst in den höchstgelegenen Stadtteilen noch ein
Überdruck von 25 m in Strassenhöhe verfügbar sein sollte, legte man
den Hochbehälter mit dem Überlauf auf -|- 191,50 N. N. Im übrigen
wurde der Behälter an der Platterstrasse auf dem Bergrücken
zwischen Adams- und Nerotal erbaut, da diese Lage gestattete, den
Zusammenfluss des im Gehrner Tal (PfaflFenborn), Adamstal und
Nerotal erschürften oder zu erschürfenden Wassers mit den geringsten
Kosten zu bewirken (siehe Lageplan Tafel 1).
Er erhielt einen Nutzinhalt von 3100 cbm bei 4,60 m Wasser-
höhe. Im Jahre 1882 wurde mit der von Jahr zu Jahr steigenden
Wasserabgabe ein zweiter Sammelbehälter erforderlich. Diesen legte
man neben den ersten auf gleiche Höhe, gab ihm ebenfalls zwei
Kammern, aber 4200 cbm Fassungsraum. Im Gegensatz zum ersten
wurde er sowie alle späteren Hochbehälter zwecks Verbilligung und
zur Verkürzung der Bauzeit aus Stampfbeton hergestellt. Seine
Ausführung ist von Herrn Wasserwerks - Direktor E. Winter im
Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1883, Seite 567
eingehend beschrieben.
Bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts genügten die beiden
Behälter an der Platterstrasse. Erst als die Nutzwasserleitung mit
dem Schiersteiner Grundwasserwerk und dann infolge des Wachstums
der Stadt an den Bergabhängen hinauf eine zweite höher gelegene
Druckzone geplant wurde, musste man an den Bau neuer Hoch-
behälter denken. So entstand im Jahre 1901 der vierkammerige
Niederzonen-Behälter bei Dotzheim für 10400 cbm, zur
einen Hälfte für Nutzwasser, zur andern für Trinkwasser bestimmt,
letzteres, weil die beiden alten Trinkwasserbehälter allmählich zu
klein zu werden drohten. Der neue Behälter wurde mit den alten
ungefähr auf gleiche Höhe gelegt. Die Überlauf- Kote wurde zu
+ 191,64 N. N., der grösste Wasserstand zu 4,80 m gewählt. Tafel 19
veranschaulicht diesen Behälter.
Für die alle hochgelegenen Stadtteile umfassende Hochzonen-
versorgung errichtete man im Jahre 1902 einen Sammelbehälter von
4400 cbm Inhalt auf dem Neroberg mit 4,80 m Wasserstand und
mit dem Überlauf auf -|- 244,64 N. N. Ebenso wie der Dotzheimer
Behälter erhielt er 4 Kammern, um die Einführung von Nutzwasser
auch in der Hochzone zu ermöglichen.
32 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Bislang besitzt die Hochzone freilich immer noch eine einheitliche
Versorgung und es ist zu hoffen, dass auch fernerhin die kostspielige
Nutz Wasserleitung dank den neuen Trinkwasser -Bezugsquellen in
dieser Zone entbehrt werden kann.
Als am Ende des vorigen Jahrhunderts der eingangs erwähnte
grossztigige generelle Entwurf für die Erweiterung der Wasserwerke
durch eine Hochzonen- Versorgung, eine Nutzwasserleitung mit einem
Grundwasserwerke bei Schierstein und mehrere neue Tiefstollen auf-
gestellt wurde, hat man ausser dem Behälter „Neroberg" noch zwei
weitere Behälter für die Hochzone, den einen im Osten der
Stadt nördlich von Bierstadt ^), den andern im Westen nördlich
von Dotzheim im Walddistrikt „Kohlheck" sowie für die Tiefzone
einen weiteren Behälter im Südosten der Stadt südlich von Bierstadt
im Distrikt „Remise"*) vorgesehen. Die 3 neuen Stollen wurden
so hoch angelegt, dass ihr Wasser den Hochzonenbehältern mit
natürlichem Gefälle zufliessen kann. Der Hochbehälter Neroberg
sollte durch ein an der Platterstrasse errichtetes Pumpwerk, der
Hochzonenbehälter Bierstadt durch den Kellerskopfstollen und der
Behälter Kohlheck durch die Schläferskopf- und Kreuzstollen gespeist
werden. Der Kohlheckbehälter sollte in den Tiefzonenbehälter
Dotzheim, der Nerobergbehälter in die Behälter Platterstrasse und
der Behälter Bierstadt in den Behälter Remise gegebenenfalls über-
laufen. Diesen Plänen entsprechend [wurden die Fall- oder Abzapf-
Rohrleitungen der 3 neuen Stollen (Zuleitungen genannt) ausgeführt.
Da der Bau der Behälter Bierstadt, Kohlheck und Remise indessen
noch auf eine längere Reihe von Jahren verschoben werden kann,
fliesst einstweilen das Kellerskopfstollenwasser durch eine besondere
Zuleitung in den Behälter Neroberg, und das Wasser von den
Schläferskopf- und Kreuzstollen durch die vorgesehenen und bereits
verlegten Rohrleitungen direkt in den Trinkwasserbehälter Dotzheim.
Das für die Tiefzone etwa aus dem Kellerskopfstollen benötigte
Wasser läuft vom Nerobergbehälter in die Platterstrassenbehälter
über, kann aber auch aus dem Rohrnetz der Hochzone in die Tief-
Äonenbehälter abgezapft werden. Der letztere Umstand ist zur Zeit
besonders beim Behälter Dotzheim von Wert, weil es dadurch möglich
wird, dort das harte Schiersteiner Trinkwasser mit dem weichen
Taunuswasser zu mischen.
1) Die für den Bau dieser Behälter erforderlichen Gelände sind bereits im
Besitz der Stadt.
. t
h
. ^
Tafel IIb,
-Ü-
ÜT«;itÄ£. Ät<??r4-.
f -«r ^.^^i^^ütm,*
/
Erläuterung.
Soll eine Probe entnommen werden, so wird die leere 5 - Liter - Flasche mittels
der Gummischläuche mit dem Hahn ,,B'' und dem sterilisierten Entnahme - (ilasapparat
verbunden.
Alle Hähne sind vorläufig geschlossen. Nun wird der zuvor mittels Lötlampe
sterilisierte Hahn „A" rasch geöffnet, der Entnahme-Apparat in den Brunnenkopf ein-
geschoben und mittels (lummi-Stopfen mit dem Hahn luftdicht verbunden. Wird nun
der Hahn „B" geöffnet, so entsteht in der Wasserflasche dasselbe Vacuum wie im Brunnen-
kopf und das Wasser durchfliesst - wenn nun auch die beiden horizontal angeordneten
Glashähnchen geöffnet sind — den Apparat.
Wasserwerke
T Stadt WKsbadcik.
Wi
asserwei
Schnlll durch Mascl
Ma
mil BerBll V; .'.
Beitier TonfliMri
l SchiErsfEm.
inEn-und KessBlhaus.
Tafel 13.
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Erk[|rung
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JHjH erawrund T«n
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Wasserwerk bei Schierstein.
Tafel 14.
Gesamt-Ansicht.
A Enteisenung, B Filter, C Kesselhaus, Ü Maschinenhaus, E Kohlenschuppen, F Ozonwerk.
Maschinen- und Kesselhaus
Tafel 15.
Maschinenraum.
I!^.#iiüp
1 'i'H^^^^^"^'''^''-' :V^\i ■ l
arTa
J-v-
^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H^^^^^^HBI^^^^^^^^^^^^^^
y
Enteisenungs- Anlage.
(Rieselung.)
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 33
Der Vollständigkeit halber sind noch zwei Sammelbehälter von
mehr untergeordneter Bedeutung zu erwähnen: der Bergstollen-
behälter an der Platterstrasse und der Bahn-Nutzwasser-
behälter an der Erbenheimer Landstrasse. Ersterer wurde im
Jahre 1 889 mit 200 cbm Inhalt erbaut. Sein höchster Wasserspiegel
liegt auf + 259,28 N. N. Er wird vom Bergstollen gespeist und
versorgt ein kleines besonders hochgelegenes Gebiet an der Platter-
strasse. Soweit das Bergstollen wasser dort nicht gebraucht wird,
fliesst es von genanntem Behälter zum MünzbergstoUenmund über
und von da ab mit dem Stollenwasser vereinigt zu den Tiefzonen-
behältern Platterstrasse.
Der Bahnwasserbehälter wurde erst am 1. April 1908
in Betrieb genommen. Seit der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes
im November 1906 haben alle Wiesbaden berührenden Eisenbahnzüge
hier Maschinenwechsel. Die Eisenbahnverwaltung benötigt infolge-
dessen am hiesigen Bahnhofe ganz bedeutende Mengen von Lokomotiv-
kessel-Speisewasser und zwar zur Zeit durchschnittlich bereits rund
700 cbm täglich. Bis zum 1. April d. Js. erhielt sie dieses Wasser-
quantum aus der allgemeinen städtischen, mit Schiersteiner Grund-
wasser gespeisten Nutzwasserleitung. Dieses Wasser ist jedoch wegen
seiner Härte für die Zwecke der Bahn wenig geeignet und diese
plante daher die Errichtung eines eigenen Wasserwerks für die
Entnahme von Rheinwasser. Der Stadt war es indessen möglich,
der Bahn weiches Nutzwasser zu einem solchen Preise anzubieten,
dass diese den Plan eines eigenen Werkes vorläufig fallen liess und
mit der Stadt einen Vertrag abschloss, wonach diese die Lieferung
des Bahnwassers in geeigneter Beschaffenheit auf die Dauer von
mindestens 10 Jahren übernahm. Der Wasserpreis wurde mit ab-
nehmender Härte steigend vereinbart.
Das Bahnwasserwerk verdankt im übrigen folgenden Umständen
seine Entstehung:
Wie bereits erwähnt, ist das Wasser der Sickergalerien
„Adamstal" und „Alter Weiher" nach heftigen Regenfällen und
Schneeschmelze zeitweilig für Trinkzwecke infolge beträchtlicher
Vermehrung der Keimzahl ungeeignet, und so lange diese Anlagen
der Trinkwasserversorgung dienten, musste das Jahr über ein grosser
Teil ihres Wassers — 40 bis 50 ^/^ — unnütz in den Bach fliessen,
obgleich es für Nutzzwecke stets brauchbar gewesen wäre. Da das
Sickergalerienwasser ausserdem sehr weich und für die Dampfkessel-
Speisung infolgedessen vorzüglich geeignet ist, lag es nahe, diese
3
34 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
beiden Sickergalerien für ein Bahn -Nutz Wasserwerk zu verwenden.
Die Ausführung des Planes wurde noch dadurch begünstigt, dass
vom Behälter Platterstrasse bis zum Bahnbehälter und von da fast
bis zum Bahnhofe eine sonst überflüssige Leitung — die ehemalige
Druckleitung des Pumpwerkes „Römerquelle" — , ebenso wie der
genannte Behälter selbst, für den vorliegenden Zweck verfügbar waren.
Der Bahnbehälter fasst 330 cbm bei 1,50 m Wasserstand und
sein Überlauf liegt nur 165,40 m ü. N.N. — wiederum ein günstiger
Umstand, da das Rohmetz der Bahn für hohen Druck nicht geeignet ist.
Auch das Wasser der Sickergalerie „Pfaffenbom** kann, falls
es als Trinkwasser zeitweilig nicht brauchbar ist, dem Bahn-Nutz-
wasser zugeführt werden. Soweit letzteres — beispielsweise im Früh-
jahr — im Überschuss vorhanden ist, tritt es selbsttätig in das
allgemeine Nutzwasser-Rohrnetz über und dementsprechend braucht
dann weniger Wasser von Schierstein gepumpt zu werden. Umge-
kehrt kann Wasser aus dem Nutzwasser-Rohmetz dem Bahnwasser
zugesetzt werden, wenn es an letzterem mangelt.
Zur Übersicht diene noch folgende Zusammenstellung:
Es werden gespeist
die Trinkwasserbehälter Platterstrasse durch den unteren Teil
der Sickergalerie „Pfaffenborn", den Münzbergstollen mit
dem Überlauf des Bergstollenbehälters, den Wiesen- und
Wilhelmstollen sowie den Überlauf des Nerobergbehälters;
der Nutzwasserbehälter Dotzheim durch das Nutzwasserpumpwerk
Schierstein ;
der Trinkwasserbehälter Dotzheim durch das Trinkwasser-
pumpwerk Schierstein, den Kreuz- und Schläferskopfstollen,
sowie den oberen Teil der Sickergalerie „Pfaffenbom";
der Nerobergbehälter durch den Kellerskopfstollen;
der Bergstollenbehälter durch den Bergstollen;
der Bahnwasserbehälter durch die Sickergalerie „Adamstal"
und „Alter Weiher".
Ausserdem können nötigenfalls gespeist werden:
die Trinkwasserbehälter Platterstrasse durch den Kreuz- und
Schläferskopfstollen sowie aus dem Hochzonennetz;
der Nutzwasserbehälter Dotzheim durch Trinkwasser von Schier-
stein ^) und den Kreuz- und Schläferskopfstollen sowie aus
dem Hochzonennetz;
1) Die umgekehrte Speisung des Trinkwasserbehälters Dotzheim durch Nutz-
wasser von Schierstein ist durch geeignete Vorkehrungen unmöglich gemacht worden.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 35
der Trinkwasserbehälter Dotzheim aus dem Hochzonennetz;
der Nerobergbehälter durch das Reservepumpwerk Platter-
strasse ;
der Bahnwasserbehälter aus dem allgemeinen Nutzwasser-
Rohrnetz, durch Trinkwasser der Sickergalerie „Pfaffenborn",
des Kreuz- und Schläferskopfstollens sowie des Wiesen- und
Wilhelmstollens;
das Trinkwasser-Rohrnetz der Niederzone unmittelbar
aus der Trinkwasser -Druckleitung der Pumpwerke Schier-
stein sowie aus dem Rohrnetz der Hochzone;
das Trinkwasser-Rohrnetz der Hochzone unmittelbar aus
dem Kellerskopfstollen und der Druckleitung des Pumpwerks
Platterstrasse und
das Nutzwasser-Rohrnetz endlich unmittelbar aus der Nutz-
wasser-Druckleitung des Schiersteiner Pumpwerks sowie aus
demjenigen des Pumpwerks Römerquelle und aus der Zuleitung
des Bahnwassers.
Die Betriebssicherheit der Wasserwerke ist unter diesen Ver-
hältnissen eine ausserordentlich grosse.
Ganz ausgeschlossen ist die Möglichkeit eines Übertrittes von
Nutzwasser zum Trinkwasser.
Es würde hier zu weit fuhren, Länge, Durchmesser, Längen-
profil usw. der verschiedenen Zu- und Druckleitungen zu beschreiben
und wird diesbezüglich auf Tafel 1 verwiesen. Es sei nur noch
erwähnt, dass alle Druckleitungen und fast alle Gravitationsleitungen
aus Gusseisen hergestellt wurden. Alle Hochpunkte besitzen Ent-
lüftungen und zwar fast ausschhesslich selbsttätige. An den Tief-
punkten zweigen Entleerungs- und Spülleitungen ab. Streckenweise
sind die Leitungen durch Schieber absperrbar. Für den Betriebsdruck
von — 5 Atm. werden die gewöhnlichen Röhren nach deutschen
Normalien aber mit Bleirille in der Muffe, für Drücke von 5 — 10 Atm.
Röhren mit verstärkten Wandungen und Muffen nach Wiesbadener
Mitteldruck-Normalien und für Drücke von 10 — 15 Atm. endlich
verstärkte Röhren nach Wiesbadener Hochdruck-Normalien verwendet.
Nach der gleichen Regel werden die Leitungen der Rohrnetze
ausgeführt. Letztere sind infolge dieser, wenn auch teueren so doch
besonders kräftigen Bauart sehr widerstandsfähig; undichte Muffen
36
Haibert sma und Spieser, Wasserversorgung.
und Rohrbrüche sind selten und der Wasserverlust durch Undichtig-
keit gering, was vor einigen Jahren durch ausgedehnte Dichtigkeits-
proben nachgewiesen wurde. Der lichte Durchmesser der Strassen-
leitungen schwankt zwischen 80 und 450 mm ^).
Ein Bild der Entwicklung der Rohrnetze gibt folgende Tabelle :
Gesamtlänge and jährliche Zunahme der Rohrnetze in Metern.
Trink
wasser
;
Nutzwasser
Insgesamt
Datum
Tiefzone
1 Hochzone
Tiefzone
Länge .
1
Zunahme
1 Länge
1
Zunahme
Länge
Zunahme
Länge Zunahme
1. Aprü 1904
73974
2 287
1 10 226
4 966
24461 4 507
108 661 11760
1. , 1905
76 425
2 451
12 095
1869
27 971 3 510
116 491 7 830
1. „ 1906
78 617
2192
18 734
1
6 639
82 948 4 977
130 299
13 808
1. , 1907
82148
3 531
21441
2 707
40 088! 7 140
143 677
13 378
1. , 1908
88 929
6 781
[i 22 374
1,
933
50 235
! 10147
1
161 538
17 861
Nutzwasser-Rohrleitungen werden in der Regel nur in den neu
auszubauenden Strassen verlegt.
An das Trinkwasser-Rohrnetz waren am 1. April 1908 1028
und an das Nutzwasser -Rohrnetz 419, zusammen 1447 öffentliche
Feuerhähne angeschlossen.
Die Hausanschltisse werden von der Venvaltung vom
Strassenhauptrohr bis zum Wassermesser in den kleinen Weiten
— ^IJ' = 19 nmi und 1" = 26 mm 1. W. — aus geschwefelten Blei-
röhren, darüber hinaus — von ^jj' = 29 mm — aus asphaltierten,
geschweissten Stahlröhren (u. a. Mannesmann - Röhren) und von
60 mm 1. W. an auch aus asphaltierten, gusseisernen Röhren her-
gestellt.
1) An den Strassen - Kreuzungen und -Gabelungen sind Teilkugeln mit
Schiebern jeweils in einem gemauerten Schachte zugänglich angeordnet; jeder
Strang ist dort absperrbar.
Was&erweHie
der Stadt Wiesbaden
T TTi:ii33XiJ iii .s: ' ;
(|^uvt<itiA> *V^ <^^*^*^tA»»*^. .Cf* ^ ^ C?»
cn
I /fffif^rwerA HB Beton ' We.j>g'of/r/e
rS."^ ßrai/n^/as/rfe
Tafel 16.
«^u«K«Ä««^ e-©.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
37
Die Hausleitungen hinter dem Wassermesser werden von
den Hausbesitzern nach freier Wahl entweder aus geschwefelten
Bleiröhren oder aus galvanisierten, gezogenen, schmiedeeisernen Röhren
hergestellt. In der Regel wird aus Billigkeits- und sonstigen Rück-
sichten das letztgenannte Material gewählt. Durch wiederholte Ver-
suche ist nachgewiesen, dass den Schmiedeeisen- und Stahlröhren
gegenüber das Leitungswasser schwach aggressiv ist, die Bleiröhren
dagegen dadurch nicht angegriffen werden.
Hiermit übereinstimmend ist die Erfahrung, dass, für soweit
Klagen der Konsumenten über die Beschaffenheit des Wassers bei
der Verwaltung einlaufen, diese sich in der Regel auf gelbliche
Färbung und Trübung des am Morgen zuerst abgezapften Wassers
beschränken, und diese Fehler fast immer nur auf die schmiedeeisernen
Hausleitungen zurückzuführen sind. Lässt man aber, wie in solchen
Fällen immer von der Verwaltung empfohlen wird, regelmäßig
morgens das über Nacht in der Hausleitung gestandene Wasser
zuerst ablaufen, und vermeidet man sorgfältig, damit die Wasser-
gefässe zu füllen, so stellt sich das weiter im Laufe des Tages
abgezapfte Wasser als vollständig klar heraus, während sonst die
Wasserflaschen gleich morgens beschmutzt werden und darin auch
das später abgezapfte klare Wasser schlecht aussieht und zu weiteren
unberechtigten Klagen Veranlassung gibt.
Von dem Bestand an Hausanschlüssen am 1. April 1908
entfielen :
Für
Trinkwasser
Für
Nutzwasser
Zusammen
Auf die allgemeine städt. Verwaltung
„ „ städt. Zweigverwaltungen . .
„ Vereine
y, Private
102
64
108
4795
24
2
6
685
126
66
114
5480
Zusammen . .
5069
717
5786
Mit Wassermessern waren versehen . . 5773 Hausanschlüsse,
eingeschätzt . 5 „
abgestellt . . 8 „
Alle bebauten Grundstücke sind innerhalb des Stadtberings an
die städtische Wasserleitung angeschlossen.
38
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Im Jahre 1907/08 waren in den angeschlossenen Grundstücken
angeschlossen :
An die
An die
Mehr gegen
Trinkwasser-
Nutzwasser-
Zusammen
leitung
leitung
1906/07
Überflurhydranten . . .
1
5
6
6
Zapfhähne
43700
—
43700
2044
Wasserklosetts ....
24029
8178
32207
2037
Pissoirhähne
813
241
1054
95
Gartenhähne
2045
816
2861
128
Springbrunnen ....
116
39
151
4
Badehähne
8995
—
8995
652
Feuerhähne
394
218
612
44
Aufzüge
46
42
88
—
Strahlpumpen
5
3
8
3
Laufbrunnen
2
—
2
2
Andere Wasserkünste . .
5
3
8
—
Aus sanitären Gründen ist die Anordnung von Zapfhähnen bei
der Nutzwasserleitung verboten; Nutzwasser wird daher für Bade-
zwecke nicht abgegeben — vom Augusta Viktoria-
Schwimmbade abgesehen — und dient hauptsächlich nur für
Klosett- und Kanalspülung, Strassen- und Gartenbesprengung, Feuer-
löschung und gewerbliche Zwecke.
V. Der Wasserverbrauch.
Wie sich die Wasserabgabe mit der Zeit entwickelt hat, zeigt
die in Tafel 20 wiedergegebene zeichnerische Darstellung des Trink-
wasserverbrauchs, des Nutzwasserverbrauchs, der Einwohnerzahl, des
Verbrauchs auf die Zeit- und Bevölkerungs-Einheit sowie der Ergiebig-
keit der verschiedenen Gruppen der Gewinnungsanlagen. Auch ist
dort ersichtlich, auf welche Steigerung der Wasserabgabe und auf
welche weitere Entwickelung der Werke in den nächsten Jahrzehnten
sich die Wasserwerks- Verwaltung einzurichten gedenkt. Die Ein-
wohnerzahl stieg in den letzten beiden Jahrzehnten von einer Volks-
zählung zur anderen, also jeweils in 5 Jahren, gleichmäßig um 16^/o
und der Wasserverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung und Tag
ebenfalls von 5 zu 5 Jahren um 10 Liter. Eine gleiche Zunahme
wird einstweilen auch für die Zukunft vorausgesetzt.
Die Abhängigkeit des monatlichen Wasserverbrauchs von der
Jahreszeit kann für das Jahr 1907/08 der oben unter Abschnitt II d
gegebenen Tabelle entnommen werden.
Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
39
Es betrug im Jahre 1907/08
beim Trinkwasser
die geringste Monatsabgabe 89,2 Proz., die grösste
„ „ Wochenabgabe 85,9 „ y, n
„ „ Tagesabgabe 66,3 ^ ^
beim Nutzwasser
die geringste Monatsabgabe 74,5 Proz., die grösste
„ „ Wochenabgabe 69,9 „ j, v
„ y, Tagesabgabe 47,3 „
beim Gesamtverbrauch
die geringste Monatsabgabe 86,5 Proz., die grösste
„ „ Wochenabgabe 83,0 „ „ „
r, „ Tagesabgabe 64,5
der durchschnittlichen.
In demselben Jahre wurden abgegeben
107,3 Proz.,
114,3 „
131,9 ,
135,8 Proz.,
160,5 ,
192,0 ,
111,7 Proz.,
119,3 ,
135,7 ,
Insgesamt
Trinkwasser
Nutzwasser
Proz. der
Proz. der
Proz. der
cbm
Gesamt-
summe
cbm
Gesamt-
summe
cbm
Gesamt-
summe
Gegen Bezahlung
nach Messern
3191950
2652463
5894871)
nach Schätzung
12888
12888
zusammen .
3204838
74,1
2665851
75,5
589487
67,7
oder in Prozenten der ganzen
bezahlten Abgabe
100
88,2
16,8
Unentgeltlich
a) nach Messern (hauptsäch-
lich für öffentliche Zwecke)
287656
6,6
b) ungemessen (Selbstver-
brauch u. Spülung, Minder-
868829
24,5
257 173
82,8
angabe der Wassermesser,
'
Verlust durch Undichtig-
keit und Überlauf) ....
838346
19,8
oder in Prozenten der ganzen
unbezahlten Abgabe ....
100
77,0
23,0
Gesamtsumme .
4325840
100
8529180
100
796 66Ö
100
J) Einschliesslich Augusta Viktoria-Schwimmbad.
40 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung.
Von der bezahlten Abgabe entfielen
auf die städtischen Zweigverwaltungen .... 345417 cbm
r r Vereine, Staats- und öffentliche Ver-
waltungen (ausser Staatsbahn in Wies-
baden) 67497 ^
r r Staatsbahn 303 777 ^
r „ Gemeinde Bierstadt 16973 „
^ ^ „ Schierstein 22 „
^ aussergewöhnliche Zwecke 16887 „
- die Privatleute in Wiesbaden 2454265 „
zusammen . 3204838 cbm.
Es möge gestattet sein, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die
Zuflüsse von den einzelnen Gewinnungsanlagen teils durch periodische
Messungen mittels Messkammern mit senkrechten Wänden, teils durch
Woltmannmesser und endlich auch durch geaichte Überfalle ermittelt
werden, welche mit ScÜreibpegel ausgerüstet sind, dass ferner die
Wasserförderung der Pumpwerke durch Hubzähler festgestellt wird.
Mit der Zeit sollen überall Wassermesser mit Zählwerk oder Über-
fälle mit Schreibpegel eingeführt werden. Die letztere Art der Messung
hat sich hier sehr gut bewährt. Die neueste derartige Messvorrichtung
besitzt der Kreuzstollen. Dieselbe ist insofern bemerkenswert, als sie
einen von Herrn Oberingenieur Spieser konstruierten Überfall
besitzt, bei welchem die Stauhöhen den Durchflussmengen pro-
portional sind.
VI. Finanzielles.
Bis zum 31. März 1908 belief sich
das gesamte Anlagekapital der Wasserwerke . . 12198644,41 M.,
die Tilgung und Abschreibung 2838335,87 „
und beträgt der jetzige Buchwert mithin . . . 9360308^54 M.
Der Wasserpreis betrug bis zum 31. März 1904 gleichmäßig
für Nutz- und Trinkwasser 25 Pfg., seither 30 Pfg. für 1 cbm. Zu
einem ermäßigten Preise wird Trinkwasser aushilfsweise abgegeben
an die Gemeinden Dotzheim und Schierstein und zwar als vertragliche
Gegenleistung für die Erlaubnis zur Durchlegung von Rohrleitungen,
Nutzwasser an das Augusta Viktoria - Schwimmbad und die Bahn.
Bei letzterer nimmt der Preis stufenweise mit der Menge und der
Härte des Nutzwassers ab.
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Tafel 17.
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Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 41
Obgleich die Selbstkosten für das Nutzwasser um ein geringes
niedriger sind als für das Trinkwasser, wurde von einer Ermäßigung
des Nutzwasserpreises aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege
abgesehen, um möglichst einer Verwendung des Nutzwassers zu
Genusszwecken vorzubeugen.
Die komplizierte Beschaffenheit der Wiesbadener Wassei-werke,
welche durch die ungünstigen hydrologischen Verhältnisse der Um-
gebung bedingt wird, hat selbstverständlich auf die Wirtschaftlichkeit
der Werke einen ungünstigen Einfluss ausgeübt, und es ist z. Zt.
der Wasserwerks- Verwaltung nicht möglich, an die städtische Haupt-
verwaltung nennenswerte Überschüsse abzuführen und dabei das
Wasser für öffentliche Zwecke unentgeltlich zu liefern. Indessen:
wohl liefert manch andere Stadt ihren Einwohnern billigeres Wasser
als Wiesbaden, aber kein besseres.
0. Beseitigung der Abfallstoffe.
I. Die Kanalisation.
Von Oberingenieur Frensch.
!• Anlage der Kanalisation.
Zur Aufiiahme des Abwassers von Wiesbaden dienten von
altersher fünf, am südlichen Abhang der benachbarten, sehr wald-
reichen Taunusberge entspringende Gebirgsbäche, die die Stadt als
offene Wasserläufe durchfliessen und nach ihrer Vereinigung ihr
Wasser dem Rhein zuführen.
Sämtliche Bäche (der Rambach, Dambach, Schwarzbach, Kessel-
bach und Wellritzbach) flössen nach ihrer Vereinigung — etwa von dem
jetzigen Bismarckplatz ab — unter dem Namen Salzbach durch das in
südlicher Richtung verlaufende Salzbachtal. Dieses bildet für die
Abflussmengen den einzigen Ausgang aus dem rings von Hügeln um-
gebenen Talkessel, in dem Wiesbaden liegt. Der Salzbach hat also die
gesamten, nicht unbedeutenden Mengen des aus dem sehr beträcht-
lichen Einzugsgebiet zusammenströmenden Niederschlagswassers auf-
zunehmen, um sie bei Biebrich dem Rhein zuzuführen.
Das einer grossen Anzahl heisser Mineralquellen entspringende
Wasser floss ehemals oberirdisch den Bächen zu. Schon frühzeitig
mag sich das Bedürfnis herausgestellt haben, den offenen Abfluss
-der heissen Quellen besser zu regeln, was zur Anlage von Kanälen
geführt hat. So war bereits im Jahre 1809 — also vor nunmehr
100 Jahren — als Wiesbaden etwa 4000 Einwohner zählte, ein
Kanalnetz entstanden, wie es aus dem nebenstehend abgebildeten
Kärtchen ersichtlich ist.
Dieses Kanalnetz, das auch zur Aufnahme des Schmutzwassers
dienen musste, entsprach jedoch weder in technischer noch in gesund-
heitlicher Beziehung den Anforderungen, die an eine solche Anlage
gestellt werden müssen.
Frensch, Die Kanalisation.
43
DIE ENTWÄSSERUNG VON WIESBADEN
IM JAHRE 1809.
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Marsstab
44 Frensch, Die Kanalisation.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde es dann erforderlich,
die immer mehr aufblühende Stadt in reichlicherer Weise, als bis
dahin geschehen, mit Trinkwasser zu versorgen. Mit dem zunehmenden
Verbrauch an -Reinwasser steigerte sich naturgemäß auch die Menge
des abzuleitenden Schmutzwassers, was zur Folge hatte, dass mehr
und mehr auf eine zweckmäßigere Wasseräbleitung Bedacht genommen
werden musste. Man baute daher die vorhandenen Kanäle besser
aus, legte auch in den neu entstandenen Strassen neue Kanäle an,
die in Bezug auf Material und Ausführungsweise wohl bedeutend
besser als die alten Anlagen, immerhin aber nur den damaligen
augenblicklichen Erfordernissen Rechnung trugen. Den Kanälen wurde
das gesamte Regen-, Brauch- und Gewerbewasser, sowie überschüssiges
und benutztes Thermalwasser zugeleitet, ausserdem aber auch das
Abwasser aus Überlaufleitungen von zahlreichen Abortgruben, an
welche die Aborte mit Wasserspülung angeschlossen waren. Mit
der zunehmenden Ausdehnung der Stadt, deren Einwohnerzahl um
die Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bereits auf
44000 angewachsen war, steigerte sich natürlich auch ständig die
Menge des abzuleitenden Schmutzwassers. Das gesamte Abwasser
wurde nach wie vor den Bächen zugeleitet, die innerhalb der Stadt
überwölbt worden waren und nun gewissermaßen als Sammelkanäle
dienten. Da sämtliche Bäche ihr Wasser dem Salzbach zuführten,
so hatte dieser schliesslich auch alles Schmutzwasser aufzunehmen,
wodurch eine sehr starke Verunreinigung des Bachwassers entstand.
Der Salzbach musste ausserhalb der Stadt, auf seinem unteren Lauf,
den er in einem offenen Bachbett zurücklegte, die Stauanlagen von
sieben Mühlen durchfliessen und gebrauchte daher bis zum Rhein
das 4 bis 5 fache derjenigen Zeit, die bei freiem und ungehindertem
Durchfluss erforderlich gewesen wäre. Infolge der geringen Ge-
schwindigkeit — und beeinflusst durch die höhere Temperatur des in
dem Abwasser enthaltenen Thermalwassers — gingen die vom Wasser
mitgeführten Stoffe unterwegs in Fäulnis über. Wenn auch in der
Stadt derartige, mit den Entwässerungsanlagen zusammenhängende
Übelstände nicht ohne weiteres wahrgenommen werden konnten, so
wurden doch die Zustände im Salzbachtal mit der Zeit ganz unhalt-
bare. Die Stadtverwaltung sah sich daher nach mehrjährigen Ver-
handlungen mit der Staatsbehörde gezwungen, für Abhilfe Sorge zu
tragen und zwecks Reinhaltung des Bachwassers die Herstellung
besonderer Sammelkanäle zur Ableitung des Schmutzwassers, sowie
den Bau einer Reinigungsanlage in die Wege zu leiten.
Frensch, Die Kanalisation. 45
Daraufhin wurde im Jahre 1886 der Entwurf für die Anlage
einer einheitlichen Schwemmkanalisation nebst Abwasser-Reinigungs-
anlage aufgestellt und alsbald nach dessen Genehmigung durch die
Königl. Regierung mit der Ausführung begonnen. Damals zählte
Wiesbaden etwa 56000 Einwohner. Dem Kanalisationsprojekt wurde
als Entwässerungsgebiet für die Schmutzwasserkanäle eine zukünftige
bebaute Fläche von rund 1100 Hektar mit einer zukünftigen Be-
völkerungsziffer von 150000 Einwohnern zugrunde gelegt.
Die Berechnung der Kanalisation erfolgte auf Grund folgender
Annahme :
1. Die grösste Niederschlagshöhe wurde mit 35 mm pro Stunde
angenommen, entsprechend einer Niederschlagsmenge von 97 Liter
pro Hektar und Sekunde.
2. Infolge Versickerung und Verdunstung eines Teiles des Wassers
bleiben von den gesamten Niederschlagsmengen durch die Kanäle
abzuleiten :
a) aus Waldgebieten . . . . . . 13 Prozent,
b) aus Feldgebieten . 27 „
c) aus villenartig bebauten Gebieten .37 .,
d) aus weitläufig bebauten Gebieten .55 „
e) aus dicht bebauten Gebieten ... 75 „
3. Die Verzögerung im Abfluss gelangte zum Ausdruck durch die
Anwendung des Verzögerungs-Koeffizienten:
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wobei F die Fläche des zu entwässernden Gebietes in Hektar
bedeutet.
4. Die grösste abzuleitende Schmutzwassermenge war mit 0,0015617
Liter pro Sekunde und Kopf der Bevölkerungsziffer berechnet,
woraus sich die Schmutzwassermenge der zu entwässernden
Flächen in Sekundenliter pro Hektar mit:
0,15 für villenartig bebaute Gebiete,
0,40 für weitläufig bebaute Gebiete,
0,65 für dicht bebaute Gebiete
ergab.
5. Zur Ermittelung der Kanalquerschnitte fand die Formel
Anwendung :
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46 Frensch, Die Kanalisation.
Hierbei bedeutet:
M die abzuleitende Wassermenge;
F die vom Wasser eingenommene Querschnittsfläche;
F
R den hydraulischen Radius y?-, wobei
U der vom Wasser benetzte Umfang ist;
J das Gefälle im Verhältnis zur Länge der betreffenden
Kanalstrecke ;
} = 0,00000884 ) ß^uhigkeits-Koeffizienten.
Diese Grundlagen waren im allgemeinen für die Weiter-
entwickelung der Kanalisation maßgebend.
Im Laufe der Jahre zeigten die Beobachtungen des Wasser-
standes in den Kanälen, sowie die Aufzeichnungen der inzwischen
an mehreren Stellen über das ganze Stadtgebiet verteilt angeordneten
selbstaufzeichnenden Regenmesser, dass die dem Entwurf zugrunde i
gelegte grösste Regenhöhe von 35 mm pro Stunde in Wirklichkeit \
oftmals überschritten wird. Deshalb wurde im Jahre 1895 diese ]
Annahme auf 42 mm pro Stunde erhöht. Um aber auch weiter- s
gehenden Anforderungen bei [den oft mit grosser Heftigkeit nieder- \
gehenden Gewitterregen gerecht werden zu können, wird seit dem |
Jahre 1901 den Berechnungen der Kanäle eine Niederschlagshöhe \
von 50 mm pro Stunde zu Grunde gelegt, was einer Niederschlags-
menge von rund 140 Liter pro Hektar und Sekunde entspricht. Zur
Ermittelung der Abflussmengen sind der Einheitlichkeit halber die ]
vorgenannten Prozentsätze für die verschiedenen Bebauungsarten
beibehalten worden.
Die ausserordentlich rasche bauliche Entwickelung Wiesbadens
während des letzten Jahrzehntes Hess es notwendig erscheinen, das
für die Schmutzwasserkanalisation im Entwurf vom Jahre 1886 vor- ^
gesehene Entwässerungsgebiet entsprechend der zu erwartenden |
späteren Ausdehnung der Stadt zu erweitern. Die Erweiterung wurde
so bemessen, dass nunmehr im allgemeinen die Wasserscheiden und
Waldbestände die Grenzen des Entwässerungsgebietes bilden. Das
neue Gebiet umfasst auch diejenigen Gemarkungsteile der benachbarten
selbständigen Gemeinden, die ihrer Lage nach die Entwässerungs-
vorflut nach dem Salzbach haben und zur städtischen Bebauung
geeignet sind. Es ist deshalb Vorsorge getroffen worden, das auf ■
diese Flächen auffallende Niederschlagswasser sowohl, als auch das •;
sich ergebende Schmutzwasser in die Wiesbadener Kanalisation auf- \
Fr ein seh, Die Kanalisation. 47"
zunehmen. Das für die Schmutzwasserkanalisation in Betracht zu
ziehende und für die spätere Behauung sich eignende Gebiet ver-
grössert sich dadurch gegenüber den Annahmen des Entwurfs vom
Jahre 1886, von rund 1100 ha auf nunmehr rund 2400 ha mit einer
zukünftigen Bevölkerungszahl von rund 150000 Einwohnern auf
rund 350000 Einwohner. Zu diesem Gebiet kommen noch die auch
künftig unbebaut bleibenden Wald-, Feld-, Wiesen- usw. Flächen,
die das Einzugsgebiet der Bäche bilden. Diese Teile mit eingerechnet
umfasst das Gesamtentwässerungsgebiet von Wiesbaden, dessen Vorflut
der Salzbach bildet — wobei das Einzugsgebiet des Wäschbaches
nicht berücksichtigt ist — einen Flächenraum von rund 6600 ha
und erstreckt sich bis zu dem Gebirgskamm des Taunus mit den
bekannten Höhenpunkten „Kellerskopf", „Jagdschloss Platte**, „Hohe
Wurzel" usw. (Tafel 21^ Wiesbaden und Umgebung, Einzugsgebiete.)-
Die Festsetzung der Bebauungsgrenzen des Entwässerungs-
gebietes ist von wesentlichem Einfluss auf die Grössenbemessung der
Sammelkanäle, weil bei heftigen Regengüssen von bebauten Flächen
bedeutend mehr Wasser zum Abfluss gelangt und dieses die Vorflut-
kanäle viel schneller erreicht, als dies bei unbebauten Gebieten der
Fall ist. Auf letzteren wird ein grosser Teil des Niederschlags-
wassers durch Versickerung, Verdunstung, Tümpelbildung usw.
zurückbehalten, und die vorhandenen Abflussrinnsale mit rauhen
Sohlen und Wandungen bedingen, dass der abfliessende Rest des
Wassers längere Zeit braucht, bis er den als Vorflut dienenden
Wasserlauf erreicht.
Die Erweiterung des Entwässerungsgebietes machte durch-
greifende Veränderung der vorhandenen Vorflutanlagen für die Kanali-
sation erforderlich, die infolge der zwischenzeitlich bereits erfolgten
Ausdehnung des bebauten Stadtgebietes nicht mehr imstande waren,,
bei heftigen Regengüssen die zum Abfluss kommenden Wassermassen
in unschädlicher Weise abzuleiten.
Die Ausführung des Um- bezw. Neubaues der Kanalanlagen
wurde veranlasst und beschleunigt durch die Herstellung des neuen
Hauptbahnhofes und der zugehörigen Gleisanlagen. Das ehemalige
Bahngelände, zwischen Ringstrasse und Rheinstrasse, wurde für die
Bebauung und für die Anlage neuer Strassen frei. Die dort vor-
handenen Vorflutkanäle, deren Führungslinien den früheren Zufahrts-
wegen entsprachen, mussten daher den neuen Strassenzügen angepasst
und infolgedessen umgebaut werden. Mit der Herstellung der neuei>
48 Frensch, Die Kanalisation.
Gleisanlagen war eine völlige Umgestaltung des Salzbachtales ver-
bunden, die Veränderungen des Salzbachlaufes erforderlich machten.
Als Ersatz für die bisherigen mussten neue Vorflutanlagen
geschaffen werden, deren Grössenverhältnisse der Erweiterung des
Bebauungsgebietes anzupassen waren.
Schon im Jahre 1897 war der untere Salzbachlauf in Biebricher
Gemarkung zwischen dem Rhein und der Kläranlage auf dem Gelände
•der ehemaligen Spelzmühle reguliert und mittelst Bruchstein-Ausrollung
befestigt worden. Nachdem die kreuzenden Bahnanlagen im oberen
Teile dieser Strecke fertiggestellt waren, konnte auch hier die Tiefer-
legung der Bachsohle und die Vergrösserung des Grabenquerschnittes
fortgesetzt werden.
Zur Ableitung des in der Reinigungsanlage von den mitgefühlten
.Schmutzstoffen befreiten Abwassers nach dem Rhein, welchem Zweck
früher der offene, ehemalige Mühlgraben diente, wurde der Haupt-
kanal nach dem Rhein, eine unterirdische Leitung aus gusseisernen
Röhren von 1000 mm Durchmesser, hergestellt und im Jahre 1907
in Betrieb genommen. ^
Unter den neuen Gleisanlagen, etwa 1600 m südlich des neuen
Bahnhofs - Empfangsgebäudes beginnend, bis zum Kaiserplatz wurde
anstelle des früher offenen Bachlaufes der Salzbachkanal in den
Jahren 1900 bis 1903 von der Eisenbahnverwaltung im Einvernehmen
mit dem städtischen Kanalbauamt und nach dessen Entwürfen —
eingegliedert in das städtische Kanalsystem — zur Ausführung
gebracht. Die Weiterführung des Bachkanals im Zuge der neuen
Kaiserstrasse und durch die Wilhelmstrasse erfolgte in den Jahren
1905 bis 1907. Im Frühjahr 1907 erfolgte der Anschluss des
bestehenbleibenden alten Doppelkanals in den Anlagen „am warmen
Damm" nächst der Museumstrasse mit dem neuen Salzbachkanal.
Mit diesem Zeitpunkt konnte der bisherige, seitKch der neuen Strecke
hinziehende alte Salzbachkanal ausser Betrieb _gesetzt werden.
Fast gleichzeitig mit dem Bachkanal gelangten von der Abwasser-
reinigungsanlage ab bis in die Wilhelmstrasse zu beiden Seiten des
Bachkanals neue Sammelkanäle der Schmutzwasserkanalisation als
Ersatz für den ebenfalls unzureichenden alten Hauptsammelkanal zur
Herstellung. Davon ist der auf der Westseite befindliche Haupt-
sammelkanal durch die Wilhelmstrasse, sowie später in der Richtung
nach Sonnenberg fortgesetzt worden und so bemessen, dass sein
Fassungsvermögen genügt, um auch aus dem ganzen Sonnenberger
und Rambacher Entwässerungsgebiet, sowie einem grossen Teil des
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Frensch, Die Kanalisation. 49
Bierstädter Entwässerungsgebiets das gesamte Niederschlagswasser
bis zu dem neuen Bachkanal in der Wilhelmstrasse zu führen und
auf diese Weise von dem die Kuranlagen durchziehenden offenen
Raöibachlauf fernzuhalten.
Auch die bisherige Abwasserreinigungsanlage genügte den an
sie zu stellenden Anforderungen nicht mehr. Der Entwurf für eine
neue Anlage ist bereits aufgestellt und soweit gefordert worden, dass
nach erfolgter endgültiger Genehmigung durch die Königliche Staats-
regierung die demnächstige Inangriffnahme der Ausführungsarbeiten
bevorsteht.
Die Kanalisation von Wiesbaden ist nach dem Schwemmsystem
und zwar dem Misch verfahren angelegt ; trotzdem besteht das Kanal-
netz aus Schmutzwasser- und Bachwasserkanälen, die zu gewöhnlichen
Zeiten ihr Wasser vollständig getrennt von einander ableiten.
Das gesamte, in den Haushaltungen, Gewerbebetrieben usw.
erzeugte Schmutzwasser, einschliesslich der Abgänge aus den Spül
aborten, sowie alles auf Dach-, Hof- und dergleichen Flächen ent-
fallende Niederschlagswasser gelangt durch die Hausentwässerungs-
leitungen, mit denen jedes bebaute Grundstück versehen ist, in
die Schmutzwasserkanäle. Das auf die Strassenflächen treffende
Regen- pp. Wasser wird durch die Strassensinkkasten und deren
Anschlussleitungen ebenfalls den Schmutzwasserkanälen zugeführt.
Die einzelnen, zur Aufnahme des Abwassers dienenden Strassenkanäle
vereinigen sich an den Strassenkreuzungen und senden ihr Wasser
weiter nach den Sammelkanälen. Die Sammelkanäle verlaufen jeweils
in dem am tiefsten gelegenen Strassenzug eines jeden der 22 Ent-
wässerungsgebiete, in die das gesamte künftige Bebauungsgebiet der
Stadt zerlegt ist. (Tafel 22, Entwässerungsgebiete und Sammelkanäle
der Stadt Wiesbaden von 1897.)
Die verschiedenen Sammelkanäle münden in den Hauptsammel-
kanal, der sich im Salzbachtal hinzieht und das Schmutzwasser nach
der ebenfalls im Salzbachtale, nahe bei der Gemarkungsgrenze auf
Biebricher Gebiet befindlichen Abwasser-Reinigungsanlage leitet. Hier
wird das Abwasser durch Rechen- und Sandfang -Anlagen, die es
mit geringerer Geschwindigkeit durchfliesst, von den mitgeführten
Sink-, Schwimm- und Schwebestoffen befreit und dann unterirdisch
durch den Hauptkanal dem etwa 3 km entfernten Rhein oberhalb
Biebrich zugeführt.
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Frensch, Die Kanalisation.
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Frensch, Die Kanalisation. 51
Dort endet diese Rohrleitung aber nicht etwa unmittelbar am
Rheinufer, sondern sie ist noch 100 m weit quer unter der Rhein-
sohle bis in den stärksten Stromstrich weitergeführt, wodurch erreicht
wird, dass bei der Ausmündung das aus der Rheinsohle aufsteigende,
von allen grobsinnlich wahrnehmbaren Verunreinigungen befreite
Schmutzwasser sich mit dem Rheinwasser sofort innig vermischt und
infolge des ausserordentlich grossen Verdünnungsverhältnisses zu
keinerlei ünzuträglichkeiten Veranlassung geben kann. (Abb. S. 50.)
Die Bachwasserkanäle dienen zu Trockenwetterzeiten nur für
die Ableitung des der Stadt von ausserhalb zufliessenden Bachwassers
und dürfen keine seitlichen Anschlüsse von Hausentwässerungsanlagen
oder von Strassensinkkasten erhalten. Solche Bachkanäle bestehen
für den Rambach und den Schwarzbach innerhalb des bebauten Stadt-
gebietes, während die verhältnismäßig geringe Wassermenge des
Dambaches von der Schmutzwasserkanalisation mit aufgenommen wird.
Das Niederwasser des Wellritz- und des Kesselbaches wird beim
Eintritt dieser Bäche in die Stadt durch gusseiserne Rohrleitungen
aufgenonmien und entweder nach einem, auf einem Höhepunkt be-
legenen unterirdischen Sammelbehälter geleitet, um von dort aus zur
Kanalspülung Verwendung zu finden, oder, sofern hierfür kein Bedarf
vorliegt, dem Bachkanal in der Wilhelmstrasse unmittelbar zugeführt.
Das Flutwasser dieser beiden Bäche ergiesst sich in die Sanmiel-
kanäle der betreffendien Entwässerungsgebiete, die sich zum Faulbach-
kanal vereinigen, und fliesst, mit deren Abwasser vermischt, weiter
bis zum Regenauslass an der Ecke der Friedrich- und Wilhelmstrasse,
wo es dem Salzbachkanal in der Wilhelmstrasse zugeleitet wird.
Bei Eintritt heftiger Regengüsse werden die Bachkanäle zur
Entlastung der Schmutzwasserkanäle benutzt. Zu diesem Zwecke
sind an geeigneten Stellen in den Sammelkanälen der Schmutzwasser-
Kanalisation Regenauslassbauwerke mit anschliessenden Verbindungs-
kanälen nach den Bachkanälen angeordnet. Diese besitzen seitlich,
entlang dem durchgehenden Gerinne des Schmutzwasserkanals, ein
Überfallwehr, dessen Oberkante in seiner Höhenlage zur Kanalsohle
der Durchflusshöhe des fünffachen Trocken wetterabflusses entspricht.
Zur rechnungsmäßigen Ermittelung dieser Wassermenge wird das
oberhalb liegende Entwässerungsgebiet als in dem vorgesehenen
Umfange vollständig bebaut angenommen. Der obere Teil des weiter-
gehenden Kanalprofils ist mittelst Dammbalken abgesperrt, so dass
nach der Reinigungsanlage nur die Wassermenge gelangt, deren
Durchflusshöhe die Wehrkrone nicht übersteigt. Sobald durch Hinzu-
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Frensch, Die Kanalisation.
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Frensch, Die Kanalisation. 53
tritt von Regenwasser dieses Maß überschritten wird, ist das Kanal-
wasser genügend verdünnt, um ohne weiteres in die öffentlichen
Wasserläufe eingeleitet werden zu dürfen. Das Wasser stürzt dann
über die Wehrkrone in das anschliessende Gerinne des jeweiligen
Regenauslasses, der in den nächstgelegenen Bachkanal mündet,
vermischt sich hier mit dem Bachwasser und fliesst unmittelbar —
unter Umgehung der Reinigungsanlage — durch den Salzbach bei
Biebrich in den Rhein.
Die nebenstehende Abbildung lässt erkennen, in welcher Weise
das Abwasser durch die Hausleitungen in die Schmutzwasserkanäle
und von da — sobald der erforderliche Verdünnungsgrad erreicht
ist — in den nächsten Bachkanal gelangt.
Die Oberflächengestaltung des Gesamt - Entwässerungsgebietes
der Stadt gestattete, dass die Kanäle durchweg gute Gefälle erhalten
konnten. Die Ausführung der Kanalisation erfolgt unter Verwendung
der härtesten und zweckentsprechendsten Materialien nach den besten
und anerkannten Regeln der heutigen Kanalisationstechnik. Kleinere
Kanäle gelangen aus Betonröhren mit eiförmigem Querschnitt in den
Abmessungen von 30/20 cm bis 60/40 cm, oder bei stärkeren Gefällen,
wo die Schleifwirkung von Geschiebe in Frage kommt, aus glasierten
Steinzeugröhren bester Beschaffenheit mit kreisrundem Querschnitt
von 25 cm bis 40 cm Durchmesser zur Herstellung. Grössere Kanäle,
ebenfalls in Eiform, werden in der Regel gemauert und bestehen je
nach ihren Abmessungen aus einem oder mehreren 12 cm starken
Mauerwerksringen, die mittelst durchgehenden Zementmörtel-Zwischen-
lagen miteinander verbunden sind. Der innere Ring wird aus Normal-,
Keil- und sonstigen Formsteinen des besten und härtesten Klinker-
Materials mit glatter Ausfugung im Innern hergestellt, während für
die äusseren Ringe hartgebrannte Ringofensteine Verwendung finden.
Mehrringiges Mauerwerk wird mit einem 2 cm starken Zementverputz
über den Gewölberücken versehen. Die Sohle der gemauerten Kanäle
wird aus glasierten Steinzeug-Sohlstücken besten Materials hergestellt.
Die Sonderbauten werden in gleicher Weise gemauert. Die Sohlen
sämtlicher Einsteigeschächte erhalten die Querschnittsfomi der be-
treffenden durchgehenden Kanäle. Rohrkanäle gelangen zwischen je
zwei Einsteigeschächten gradlinig zur Ausführung, während die etwa
erforderlichen Richtungsänderungen durch bogenförmige Krümmungen
in den Schächten erreicht werden. Bei gemauerten Kanälen, deren
Führungslinie Richtungsänderungen erfährt, kommen möglichst grosse
Krümmungshalbmesser zur Anwendung. Profilwechsel werden durch
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Frensch, Die Kanalisation. 55
Durch den Eingangsschacht an der Südseite des Kaiser Wilhelm-
Ringes, östlich vom Empfangsgebäude des Hauptbahnhofes, gelangt
man auf einer bequemen steinernen Wendeltreppe in das Verbindungs-
und Regenauslassbauwerk für die Sammelkanäle der östlichen Stadtteile.
Dieses Bauwerk zeigt die Vereinigung von drei Schmutzwasserkanälen,
deren Weiterfiihrung in einem gemeinsamen Kanal, sowie die An-
ordnung eines Regenauslasses.
Eine zweite Wendeltreppe führt hinab in den um etwa 4 m
tiefergelegenen Verbindungsgang nach dem Salzbachkanal (siehe
Tafel 23, 24 und 25).
Der Bachkanal, der dem Zuge der Kaiserstrasse und Wilhelm-
strasse folgt, ist 4 m hoch und 5 m breit. Er besitzt ein Gefälle
von 1:280 und ist imstande, 62000 Liter in der Sekunde abzuleiten.
Die in der Mitte der Sohle befindliche Niederwasserrinne dient zur
Aufnahme des Bachwassers zu Trocken wetterzeiten, während b^i
heftigen Regengüssen das abzuleitende Wasser die ganze Profilbreite
einnimmt und mit der Zeit infolge der sich stetig ausdehnenden
Bebauung und deshalb entsprechend zunehmenden Abflussmenge die
Höhe des Kanalscheitels erreichen wird.
Die Offnungen der Luftschächte, die für ausreichende Luft-
erneuerung sorgen, sind in Abständen von etwa 40 m im Kanal-
scheitel sichtbar. Die Zugänglichkeit des Bachkanals wird durch
Treppenschächte, die in etwa 300 m Entfernung voneinander angeordnet
sind, sowie durch die zwischen je 2 Treppenschächten befindlichen
Einsteigschächte für die Betriebsmannschaft vermittelt. Seitlich ein-
mündende, entlang dem Kanal hergestellte Sickerleitungen dienen
zur Absenkung des früher hier sehr hohen Grundwasserstandes und
bezwecken, das angrenzende Baugelände in gesundheitlicher Hinsicht
wertvoller zu machen, sowie das Kanalgewölbe trocken zu halten.
Sie besitzen an den Einmündungen Rückstauklappen, die verhüten,
dass bei steigenden Bachwasserständen infolge der bei heftigen Regen-
güssen in Tätigkeit tretenden Regenauslässen, mit Kanalwasser ver-
mischtes Bachwasser in den Untergrund gelangt und dort gesundheit-
liche Missstände hervorruft.
Ferner münden eine Anzahl Regenauslasskanäle in den Bach-
kanal, die bei heftigen Regengüssen zur Entlastung der zu beiden
Seiten befindlichen, etwa 2,25 m höher als die Bachkanalsohle liegenden
Sammelkanäle der Schmutzwasser-Kanalisation dienen. Die Höhenlage
letzterer Kanäle im Verhältnis zum Bachkanal ist so bemessen, dass
auch bei dem höchsten, rechnungsmäßig ermittelten Wasserdurchfluss
56 Frensch, Die Kanalisation.
im Bachkanal kein ßückstau nach den Schmutzwasserkanälen, sondern
umgekehrt deren Entlastung nach dem Bachkanal infolge des sich
einstellenden Wasserspiegel-Überdruckes gewährleistet wird.
An der Luisenstrasse befindet sich die Einmündung der Spül-
^asserleitung, die das Niederwasser des Wellritz- und des Kessel-
baches bringt, während das Flutwasser dieser Bäche, sobald es die
Wehrhöhe des Regenauslasses am Faulbachkanal tiberschreitet, sich
im Verbindungsbauwerk an der Kreuzung der Friedrichstrasse mit
dem Wasser des Rambaches und des Schwarzbaches vereinigt (siehe
Tafel 26).
Von diesem Vereinigungspunkt abwärts gilt der Name Salz-
bachkanal.
Der von oberhalb kommende vereinigte Rambach- und Schwarz-
bach-Kanal ist 3,20 m breit und 3,20 m hoch. Er hat ein Gefalle
von 1 : 80 und eine Leistungsfähigkeit von 50000 Liter in der
Sekunde. Das obere Ende dieser Strecke ist an den bestehen-
gebliebenen und höherliegenden, alten Doppelkanal in den Anlagen
„am warmen Damm", oberhalb der Museumstrasse, angeschlossen
(siehe Tafel 27).
An der Museumstrasse fuhrt ein seitlicher Treppenaufgang aus
dem Bachkanal nach einem Verbindungs-r und Regenauslassbauwerk,
das dort in den Hauptsammelkanal eingebaut und in ähnlicher Weise
wie das oben abgebildete Bauwerk am Kaiser Wilhelm -Ring aus-
geführt ist. Nachdem man im Hauptsammelkanal, der hier 2,10 m
hoch nnd 1,30 m breit ist, eine Strecke von etwa 100 m zurückgelegt
hat, gelangt man zu einem seitlichen Gang, der die Wilhelmstrasse
unterirdisch durchquert und in einer Wendeltreppe endet, die im
Gehweg der Anlagen „am warmen Damm", gegenüber dem „Park-
hotel", wieder ins Freie führt.
Die zur öfi'entlichen Besichtigung freigegebene Kanalstrecke ist
etwa 1300 m lang, elektrisch beleuchtet, gut entlüftet und trockenen
Fusses bequem zu begehen.
Die Herstellungskosten der Kanalanlagen in der Kaiserstrasse
und Wilhelmstrasse, also des Bachkanals und der seitlich parallel
verlaufenden Schmutzwasser-Sammelkanäle, haben etwa 1500000 M
betragen.
Insgesamt hat die Wiesbadener Kanalisation bis Juni 1908
einen Kostenaufwand von rund 10 Millionen M erfordert. Von dieser
Summe entfallen allein auf die Vorflutanlagen 4 Millionen M.
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Frensch, Die Kanalisation. 57
!]• Kanalbetrieb und Abwasserreinigung.
Das einfachste der zur Reinhaltung des Kanalnetzes in
Betracht kommenden Mittel ist eine wirksame Wasserspülung. Zur
Erreichung dieses Zweckes werden bei der Herstellung der Kanäle
an geeigneten Stellen Spülschieber angeordnet, die sich, leicht
zugänglich, in den Einsteigeschächten befinden. Die Kanäle der
Seitenstrassen sind zu diesem Zwecke stets bis zu dem Kanal der
oberhalb kreuzenden Strasse weitergeführt, wo sie in entsprechender
Höhe über dessen Sohle abzweigen und durch einen Schieber abge-
sperrt sind. Damit diese Absperrschieber, sofern sie nicht zu Spül-
zwecken geöffiiet werden müssen, stets geschlossen bleiben, ist die
am Schieber befestigte eiserne Bedienungsstange so lang bemessen,
dass sie bei geöflhetem Schieber über den Rand der Schachtabdeckung
hinausragt, so dass der Absperrschieber erst geschlossen werden muss»
bevor der Schachtdeckel eingesetzt werden kann (Tafel 29, Abb. 4.) Hier-
durch wird erreicht, dass bei eintretenden Regengüssen die abzuleitenden
Wassermassen den richtigen Weg einhalten und nicht etwa durch offen-
gebliebene Schieber der Seitenkanäle in andere Entwässerungsgebiete
gelangen, deren Sammelkanäle alsdann durch Aufnahme dieser nicht
hineingehörenden Wassermengen Überfüllungen ausgesetzt würden,
wodurch in diesen fremden Entwässerungsgebieten Keller -Über-
schwemmungen und sonstige Unzuträglichkeiten entstehen könnten.
Durch den geschilderten Zusammenhang des Kanalnetzes wird erreicht,
dass der Spülstrom durch beliebige, unterhalb liegende Kanalstrecken
geleitet werden kann. Ausserdem wird man aber auch hierdurch
noch in die Lage versetzt, die für die einzelnen Strassenkanäle zur
Spülung zur Verfügung stehenden Schmutzwassennengen zu verstärken,
infolgedessen man bei Ausübung des Spülbetriebs an Leitungswasser
der öffentlichen Wasserversorgung ganz erheblich zu sparen vermag.
In Schächten, in denen Seitenkanäle abzweigen, sowie an
anderen von Fall zu Fall festgesetzten Stellen — hauptsächlich in
Strecken mit geringen Gefällen — sind auch noch im Zuge der
durchgehenden Kanäle entsprechend konstruierte Schieber eingebaut,
was aus praktischen Gründen an der stromabwärts gelegenen Schacht-
wand erfolgt. Die Spülschieber in den durchgehenden Kanalstrecken
sind immer geöflftiet und werden nur zu Spülzwecken geschlossen.
In letzterem Falle staut sich dann hinter dem geschlossenen Schieber
im Schacht und in der oberhalb anschliessenden Kanalstrecke das
Abwasser etwa einen Meter hoch an. Wird nunmehr je nach Er-
fordernis entweder der eine oder der andere im Schacht befindliche
58 Frensch, Die Kanalisation.
Schieber plötzlich geöffnet, so stürzt die aufgespeicherte Wassermenge
mit grosser Geschwindigkeit durch die freie Öffnung und durchspült
kräftig die betreffende Kanalstrecke. Zur Spülung wird in erster
Linie das in den Kanälen abfliessende Schmutzwasser verwendet. Um
die Ansammlung der erforderlichen Spülmenge zu beschleunigen,
•erfolgt in mehreren Entwässerungsgebieten bei Kanälen mit geringer
Wasserführung eine Verstärkung des Spülstromes durch Bachwasser
aus der Spül Wasserleitung oder aus dem Spülbehälter (s. Seite 51).
Nur in den von der Spülwasserleitung nicht beherrschten Gebieten wird
in vorgenannten Ausnahmefällen das fehlende Wasser mittelst Schläuchen
den Hydranten der öffentlichen Wasserversorgung entnommen.
Die Spülung allein ist jedoch zur gründlichen Reinhaltung des
Kanalnetzes nicht ausreichend. Deshalb werden die Wandungen und
Sohlen begehbarer Kanäle in bestimmten Zeitabschnitten unter Ver-
wendung von Handbürsten und Besen abgewaschen. Bei nicht
begehbaren Kanälen wird diese Reinigungsart durch die Bürsten-
ziehung ersetzt. Die hierbei zur Verwendung kommendeh Kanal-
bürsten — Siamfaser — sind in ihrer Form genau den einzelnen
Profilen, der Rohrkanäle angepasst. (Tafel 28, Abb. 1 — 3.)
Die Zeitabschnitte, in denen diese Kanalreinigungen regelmäßig
wiederholt werden, sind für die einzelnen Kanalstrecken, die hierbei
in drei Gruppen eingeteilt werden, verschieden und richten sich nach
den jeweils in Betracht kommenden örtlichen Verhältnissen. Beispiels-
weise werden die Kanäle im Thermalgebiet — in dem die sich an
einzelnen Stellen leicht ablagernden Sinkstoffe sowie die an den
Kanalwandungen anhaftenden Schmutzstoffe infolge der in die Kanäle
gelangenden heissen Badeabwässer und Quellenabflüsse leicht in Zer-
setzung übergehen — alle 2 Wochen, andere Strecken alle 6 Wochen
und die Sanmfielkanäle, die sich infolge ihrer grösseren Abflussmengen
von selbst besser reinhalten, nur alle 12 Wochen gereinigt. Die
Reinigung der Bachwasserkanäle braucht in der Regel nur nach
heftigen Regengüssen vorgenommen zu werden; doch müssen die
hierzu gehörigen Geschiebesammler, deren Sohlen vertieft sind und
die in den offenen Bachläufen, besonders aber an deren Einmündungen
in die Bachkanäle sich befinden, auch zwischenzeitlich öfter von den
.angesammelten Sand- und Geschiebe-Massen geleert werden.
Das gesamte Kanalnetz besitzt zur Zeit abgewickelt eine Länge
von etwa 122000 m. Die jährliche Reinigungslänge dieses Kanal-
netzes ergibt sich durch Aneinanderreihen der einzelnen, mehrfach
-gereinigten Strecken zur Zeit zu rund 800 000 m.
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Frensch, Die Kanalisation. 59
Auch bei der Beseitigung des Schnees im Winter ist die Mann-
schaft des Kanalbetriebs durch Hilfeleistung in den Kanälen beteiligt.
Über das ganze Stadtgebiet verteilt, sind auf Kanälen mit reichlicher
Wasserführung 16 besonders konstruierte Schnee -Einwurfsschächte
eingebaut. Der aus den benachbarten Strassen durch Fuhrwerke
herbeigeschaffte Schnee wird über der Einwurfsöffhung dieser Schächte
abgekippt, er fällt auf den als Rutsche ausgebildeten Teil der Schacht-
sohle und gleitet in das anschliessende Gerinne des vorbeifliessenden
Kanalwassers. An der andern Seite des Kanalgerinnes steht im
Zugangschacht ein Betriebsarbeiter, der durch Abkratzen der schrägen
Fläche und durch Abstossen etwa hängenbleibender Schneeklötze
nachhilft, um Stockungen beim Einschütten der Schneemassen in den
Schacht oder ein Anstauen des Kanalwassers im Kanalgerinne zu
verhüten. Der Schnee wird von dem Kanalwasser mit fortgerissen
und schmilzt in dem verhältnismäßig warmen Wasser sehr schnell.
Diese Einrichtung hat sich sehr gut bewährt. (Tafel 29, Abb. 6.)
Zur Vornahme von Untersuchungen älterer Rohrkanäle auf ihre
bauliche Beschaffenheit sowie bei Abnahmeprüfungen neuhergestellter
Rohrkanalstrecken werden diese Strecken mittelst Sonnenlicht durch-
leuchtet. Hierbei wird im Schacht an der Einflussöffhung des Kanals
^in Spiegel so gehalten, dass durch die Schachtöffhung von obenher
das mit einem anderen Spiegel aufgefangene Sonnenlicht einfällt und
in die betreffende Kanalstrecke hineingeworfen wird, wodurch das
hellbeleuchtete Kanalinnere im Spiegel sichtbar und dessen Beschaffen-
heit auf die ganze in Betracht kommende Länge völlig deutlich
erkennbar ist (Tafel 29, Abb. 5). An trüben Tagen treten an die
Stelle des Sonnenlichtes stark leuchtende Reflektorlampen.
Das Personal zur Vornahme der Betriebsarbeiten hat ausser der
Reinigung und Instandhaltung des Kanalnetzes auch die Reinigung
der Bäche und Flutgräben, den sehr umfangreichen Spülbetrieb der
privaten Hausentwässerungsanlagen, sowie der städtischen und privaten
Thermalleitungen auszuführen und besteht zur Zeit aus 1 Aufseher,
2 Vorarbeitern, 4 Obleuten und 26 Taglöhnern.
Das aus dem ganzen Kanalnetz zusammenströmende Schmutz-
wasser wird in der Abwasserreinigungsanlage von den mitgeführten
gröberen und feineren Schmutzstoffen befreit. Es durchfliesst
zunächst eine Abteilung, in der ein drehbarer Rechen mit 40 mm
60 Frensch, Die KanaliBation.
und ein solcher mit 15 mm Stabweite eingebaut ist, wobei die
Schwimmstoffe, wie Gedärme, Gemüse- und Obstreste, Fäkalien,
Papierstücke und dergleichen zurückgehalten werden, lagert dann in
einem langgestreckten Sandfang die mineralischen Bestandteile und
sonstigen Sinkstoffe ab und erfährt durch Feinsiebe von etwa 2 mm
Durchgangsweite eine weitere Reinigung von den mitgeführten
Schwebestoffen.
Früher waren im Anschluss an die Feinsiebe noch grössere
Klärbecken im Betrieb, die jetzt aber als überflüssig in Wegfall
gekommen sind, nachdem der Mühlgraben, der früher das so gereinigte
Kanalwasser — unterwegs Mühlen treibend — dem Rhein zuführte,
beseitigt und durch den im Jahre 1907 in Betrieb genommenen
Hauptkanal nach dem Rhein ersetzt worden ist.
Die dem Schmutzwasser durch das Reinigungsverfahren ent-
zogenen Bestandteile betragen zur Zeit für den Tag im Durchschnitt i
an Sinkstoffen (Sand und dergleichen) etwa 4 cbni,
an Schwimm- und Schwebestoffen . „ 9 „
zusammen also etwa 13 cbm.
Die als Dünger verwertbaren Rückstände werden zur Vermeidung
von Geruchsbelästigungen in einer Lagerhalle sofort mit TorfinuU
überdeckt und dann den Landwirten der Umgegend unentgeltlich
überwiesen.
Die geplante neue Abwasserreinigungsanlage wird hinsichtlich
des Reinigungsverfahrens zwar auf den Grundsätzen der jetzigen,
versuchsweise eingerichteten Anlage beruhen, in ihren Einzelheiten
aber bedeutend von dieser abweichen. Insbesondere soll den bisher
gemachten Erfahrungen durch zweckentsprechende Änderungen und
Verbesserungen Rechnung getragen werden.
III. Anlage und Reinigung der Orundstficks-Entwässerungen.
In Wiesbaden muss auf Grund einer diesbezüglichen Polizei-
verordnung jedes an einer kanalisierten Strasse belegene bebaute
Grundstück eine vorschriftsmäßige Hausentwässerungsanlage mit
Anschluss an den Strassenkanal besitzen, sowie an die städtische
Wasserversorgung angeschlossen sein.
Die Bezugserlaubnis für Neubauten wird erst nach statt-
gefundener amtlicher Abnahmeprüfung der Entwässerungsanlagen
erteilt und nachdem hierbei festgestellt worden ist, dass die gesund-^
heitstechnischen Anlagen den bestehenden Bestimmungen entsprechend
zur Herstellung gelangt sind.
Frensch, Die Kanalisation 61
Die Ableitungen werden mit durchgehenden, gleichmäßig auf
die ganze Länge verteilten Gefallen, unter Vermeidung von scharfen
Krümmungen in der Linienführung hergestellt und bei freistehenden
Häusern möglichst ausserhalb der Gebäude, parallel zu deren Mauern
und in genügendem Abstände von letzteren angeordnet. Die Fall-
rohrleitungen sollen frei und sichtbar vor den Wandflächen durch
alle Geschosse in gleicher Weite hochgeführt und mittelst erweitertem
Entlüftungsrohr über Dach geführt werden. Für Spülaborte müssen
gesonderte Fallröhren zur Herstellung gelangen, an die andere Ent-
wässerungsgegenstände nicht angeschlossen werden dürfen. Sämtliche
Entwässerungsgegenstände sind unmittelbar an ihrer Abflussöffiaung
mit einem sicher wirkenden Wasserverschluss zu versehen, dagegen
dürfen in den durchgehenden Leitungen keine Wasserverschlüsse
eingeschaltet werden. Fetthaltiges Abwasser aus Wirtschaftsküchen,
Metzgereien usw. muss durch Fettfänge geleitet werden, die gut
zugänglich, möglichst in Höfen anzuordnen sind.
Als Material für die Leitungen sollen glasierte Steinzeugröhren
und innerhalb der Gebäude nach Möglichkeit gusseiseme Röhren zur
Verwendung kommen. Für erstere ist Dichtung mit Asphaltkitt oder
Zementmörtel, für letztere Bleiverdichtung Vorschrift. Fallröhren für
Schmutzwasser dürfen nur aus Gusseisen hergestellt werden und
müssen innerhalb der Gebäude liegen. Regenrohre müssen ausserhalb
der Gebäudemauem angeordnet werden und dürfen aus Zinkblech
mit einem am Fussende befindlichen Standrohr aus Gusseisen bestehen.
Die bauliche Unterhaltung der innerhalb der Grundstücke
liegenden Leitungen und Entwässerungsgegenstände, sowie die
betriebsmäßige Unterhaltung der gesamten Entwässerungsanlage bis
zum Strassenkanal, ist Sache des betreffenden Grundstückseigentümers.
Auf dessen Antrag und Kosten wird aber auch die Spülung der
Hausentwässerungsanlage vom städtischen Kanalbauamt übernommen
und zwar sowohl in Einzelfallen, als auch in bestimmten, voraus
vereinbarten Zeitabschnitten, deren Bemessung sich nach den jeweils
in Betracht kommenden besonderen Verhältnissen der Anlagen richtet.
In den Sand- und Fettfangen der Entwässerungsanlagen werden
eine Menge Sinkstoffe zurückgehalten, deren regelmäßige Beseitigung
in gesundheitlichem Interesse äusserst wichtig ist, weil diese leicht
faulenden Stoffe andernfalls übele Ausdünstungen verursachen. Die
Reinigung der Sinkstoffbehälter, besonders aber die Unterbringung
des Inhalts ist für die meisten Grundstücksbesitzer mit erheblichen
Schwierigkeiten verknüpft, wodurch die regelmäßige Entleerung der
62 Frensch, Die Kanalisation.
Behälter sehr in Frage gestellt wird. Um in dieser Hinsicht Abhilfe
zu schaffen, wurde ein dem städtischen Kanalbauamt angegliedertes-
Unternehmen der Sand- und Fettfangreinigung eingerichtet. Gegen
Zahlung der durch Tarif festgesetzten Beträge erfolgt die Reinigung
regelmäßig in etwa zweiwöchentlichen Zwischenpausen durch städtische
Arbeiter.
Den Grundstückseigentümern bleibt es überlassen, von dieser
Einrichtung Gebrauch zu machen, soweit Anlagen innerhalb der
Grundstücke in Betracht kommen, die Reinigung der in öffentUchen
Strassen liegenden Regenrohrsandfänge dagegen muss dem städtischen
Unternehmen übertragen werden. Dieses umfasste im Jahre 1906/07
von den im gesamten Stadtgebiet vorhandenen 4374 bebauten
Grundstücken 3536, also über 80 Prozent, trotzdem es sich um frei-
willige Beteiligung handelt. Da die noch fehlenden Grundstücke
sich grösstenteils ausserhalb des Stadtberinges befinden, wo benach-
barte Felder und Gärtnereien die Unterbringung des Inhaltes der
Sinkstoffbehälter erleichtern, so erstreckt sich die städtische Sand-
und Fettfangreinigung auf fast sämtliche Anwesen innerhalb der Stadt»
Das Personal des städtischen Unternehmens besteht aus : 1 Be-
triebsführer, 1 Vorarbeiter, 8 Obmännern und 15 Taglöhnern, die in
Arbeitsabteilungen von je 4 Mann eingeteilt sind und die Arbeit im
Akkord ausführen. Hierbei werden die Schlammeimer aus den Sink-
stoffbehältem genommen und der Inhalt in die mitgebrachten Gefasse
entleert, die Behälter erforderlichenfalls ausgebaggert, die Umgebung
abgespült und die Eimer beim Wiedereinsetzen mit reinem Wasser
gefüllt, das einen Zusatz von geruchmildemden Chemikalien erhält-
Der Schlamm wird in die mitgeführten, luftdicht abgeschlossenen
eisernen Schlammwagen verbracht. Sobald sie gefüllt sind, wird der
Inhalt nach Feldern und Gärtnereien ausserhalb der Stadt gefahren,
dort entleert und sofort untergegraben. Die Bewirtschafter der in
Betracht kommenden Grundstücke sind mit diesem Verfahren ein-
verstanden, weil sie auf diese Weise den wertvollen Dünger völlig
unentgeltlich erhalten. Bei Frostwetter, wenn das sofortige Unter-
graben nicht möglich ist, wird der Schlamm, mit Kehricht vermischt,
in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt. Da sich jedoch dieses
Verfahren teuerer stellt, findet es nur im äussersten Falle Anwendung»
Die Kosten der regelmäßigen Reinigung der Sinkstoffbehälter im
Innern der Anwesen betrugen 1906/07 für ein Grundstück durchschnitt-
lich 13,50 M pro Jahr. Demnach entfallen auf die einmalige Reinigung
Frenscli, Die Kanalisation.
ea
sämtlicher Sinkstoff behälter eines Grundstückes
13,50
26
= 52Pfg. Für
den einzelnen Grundstückseigentümer würde es unmöglich sein, die
Arbeit zu diesem geringen Betrage selber auszuführen, während das-
städtische Unternehmen hierbei infolge zweckmäßiger Einrichtung
des Betriebs alljährlich noch einen erheblichen Überschuss erzielt..
Der Abschluss des Jahres 1906/07 ergab:
Reinigung der Sand- und Fettfänge
in Grundstücken
(freiwillig)
auf Strassengebiet
(bestimmungsgemäß)
zusammen
Einnahmen . . .
Ausgaben ....
47 734,04 M
37 601,01 ,
7 537,73 M
4106,74 ,
55 271,77 M
41707,75 ,
Mithin Überschuss .
10 133,03 M
3430,99 M
13 564,02 M
lY. ÖflFentliche Bedürftils -Anstalten.
Die über das ganze Stadtgebiet verteilten öffentlichen Bedürfnis-
anstalten, zur Zeit 32, sind sämtlich oberirdisch ; einige davon befinden
sich in städtischen Grundstücken, der weitaus grösste Teil aber ist
in besonderen, freistehenden Häuschen untergebracht. Die nächste
Umgebung der Häuschen wurde, wenn irgend möglich, mit Bäumen
und Strauchwerk bepflanzt, damit die Anstalten nicht unangenehm
auffallig in die Erscheinung treten.
Alle Anstalten sind mit Pissoirs versehen, 12 davon enthalten
ausserdem noch Aborte. Die Gesamtzahl der öffentlichen Aborte aller
Anstalten beläuft sich auf 61, die der Pissoirstände auf 152. Sämtliche
Anstalten besitzen ordnungsmäßige Entwässerungsanlagen mit An-
schluss an die Strassenkanäle.
Während die Benutzung der Pissoire gebührenfrei ist, werden
in den Aborten I. Klasse 10 Pfennige, in denen der H. Klasse
5 Pfennige erhoben. Ausserdem befinden sich in einigen Anstalten
unentgeltlich zu benutzende Aborte; eine am Markt zur Benutzung
für die Marktfrauen stehende Anstalt mit 4 Aborten ist völlig
gebührenfrei.
Jedes Pissoir enthält 2 bis 6 Stände, die teils in gerader
Richtung nebeneinander, teils sternförmig zueinander angeordnet sind..
Für die Anzahl und Anordnung der Stände waren die in den Einzel-
fallen zu berücksichtigenden örtlichen und Verkehrsverhältnisse maß-
gebend. Alle Pissoire sind seit etwa 10 Jahren für die Olbehandlung-
-64 Frensch, Die Kanalisation.
«ingerichtet, und zwar war Wiesbaden eine der ersten Städte, die dies
Verfahren in einheitHcher Weise durchführte. Damals wurden hier
sämtliche öffentlichen Pissoire entsprechend umgeändert. Durch das
Aufgeben der Wasserspülung wurde nicht allein eine beträchtliche
Wassererspamis erzielt, sondern vor allen Dingen auch das Auftreten
Ton Geruchsbelästigungen fast gänzlich beseitigt.
Die Behandlung geschieht in der Weise, dass täglich durch-
schnittlich zweimal eine gründliche Reinigung und Abspülung der
Wände und Fussböden der Pissoire vorgenommen wird, worauf die
mit Urin in Berührung kommenden Flächen mit einem die Geruchs-
belästigungen verhindernden Pissoiröl bestrichen werden und jeder
Geruchverschluss der Entwässerungsanlage auf seinem Wasserspiegel
eine abschliessende Schicht desselben Öls erhält. Der Ölverbrauch
stellt sich dabei für einen Pissoirstand durchschnittlich auf 5 kg, oder
bei einem Preis von 0,40 M für 1 kg Öl auf 2 M jährlich.
Mit der Ausführung dieser Arbeit sind ständig, auch an Sonn-
und Feiertagen, drei Mann beschäftigt, von denen jeder, ausser den
öffentlichen Pissoirs, auch die in seinem Bezirk belegenen Ölpissoirs
in Privatgrundstücken bedienen muss.
In Privatgrundstücken wird die Herstellung von Ölpissoirs nur
widerruflich und unter der Bedingung gestattet, dass die Bedienung
gegen Entrichtung einer festgesetzten Gebühr dem städtischen Kanal-
bauamt übertragen wird. Von dieser Einrichtung haben eine grosse
Anzahl Hotel- und Wirtschafts-Inhaber Gebrauch gemacht, so dass im
Jahre 1906/07 in Privatgrundstücken 75 Ölpissoire mit 381 Ständen
vorhanden waren. Mangels einer örtlichen Einteilung ist hierbei als
Stand eine Breite der Urinierwand von 75 cm angenommen.
Die öffentlichen Bedürfnisanstalten haben an Herstellungskosten
etwa 120000 M erfordert. Die laufenden Ausgaben für Instand-
haltung, Wartung, Reinigung, Heizung usw. betrugen im Jahre 1907/08:
für die Pissoire .' rund 4000 M
für die Abortanstalten rund 4200 „
zusammen 8200 M
Hiervon ab:
Einnahmen an Abort-Benutzungsgebühr • 2600 M
Mithin Zuschuss zu den Betriebskosten rund 5600 M.
In letzteren Angaben sind die Beträge für 4 in den Kuranlagen
belegenen öffentlichen Abortanstalten, die der Kurverwaltung unter-
stehen, nicht mit einbegriffen.
Scheuermann, Die Müllabfuhr. 65
2. Die Müllbeseitigung.
I. Die Müllabfuhr.
Von Stadtbauinspektor Scheuermann.
Die Müllbeseitigung wurde in den neunziger Jahren teils von
Privaten und teils von der Stadtverwaltung besorgt. Dabei ergaben
sich derartige Misstände in bezug auf regelrechte Abholung und
auch in hygienischer Hinsicht, dass die Stadtverwaltung sich ent-
schloss, die Müllbeseitigung lediglich als eine städtische Sache zu
betrachten und sie hiernach allgemein zu regeln. Fast alle Haus-
besitzer sind nunmehr bei der städtischen Kehrichtabfuhranstalt
abonniert; bis jetzt ist die Abholung nämlich nur fakultativ, da
besondere Schwierigkeiten sich noch nicht überwinden Hessen, um
die Müllbeseitigung obligatorisch durch Erlass einer Polizeiverordnung
und eines darauf gegründeten Ortsstatuts durchzuführen. Sowohl
die Abfuhr als auch die Unschädlichmachung des Mülls geschieht in
wirtschaftlicher und in gesundheitstechnisch möglichst einwandfreier
Weise.
In den letzten Jahren musste die Müllbeseitigung lediglich von
der hygienischen Seite aus behandelt werden, nachdem die Beschaffung
von geeigneten Abladeplätzen und die freiwillige Abfuhr des Mülls
von Landwirten der Vororte immer schwieriger wurde bezw. ganz
unterblieb. Grosse Flächen zur Stapelung des Mülls in der Nähe
der Stadt so, dass die Oberflächen des Mülls bepflanzt werden konnten,
waren nie vorhanden; die demnach immer zu kleinen Müllflächen
waren infolgedessen fortwährend der Bearbeitung zu unterwerfen;
Pflanzungen der Oberflächen konnten also nicht vorgenommen
werden. Sämtlicher anfahrende Müll wird daher jetzt in einer Ver-
brennungsanstalt ohne vorherige Sortierung, also in der hygienisch
ein Wandfreiesten Weise, vernichtet; die Anstalt liegt vom Herzen
der Stadt, dem Schlossplatz, 2,5 km entfernt. Das ganze Stadtgebiet
ist in Abfuhrbezirke eingeteilt, in welchen Wagen von 6,7 cbm
Inhalt verkehren, so dass die Abfuhr rasch, tunlichst staub- und
geruchfrei und auch geräuschlos erfolgt. (Vollständig staub- und
geruchfreie Abfuhr gibt es nicht!) Allerdings wird der Müll aus
jedem Haus mit grossen Behältern in die auf der Strasse stehenden
Müllwagen umgeladen, welche Einrichtung nicht hygienisch einwand-
5
66 Scheuermann, Die Müllabfuhr.
frei, aber wirtschaftlich ist. Bei dem sogenannten Wechselkasten-
system fallt diese Umladung im Luftramn der Strasse weg, aber es
ist damit der Nachteil verbunden, dass grosse tote Lasten, als welche
die Wechselkasten aufzufassen sind, tagtäglich herumgefahren werden
und das Abfuhrgeschäft ganz unnötig verteuern.
Nachdem der Müll so in die Wagen eingeladen ist, erfährt er
keine weitere Umladung mehr; auch auf der Verbrennungsanstalt
nicht, wo die Wagenkasten mit Inhalt direkt auf die offene Platt-
form in die Höhe gezogen werden und dort der Müll nach kurzer
Lagerung in die Öfen gelangt. Abbildung 1 auf Tafel 30 zeigt die
Ankunft des Wagens auf der Verbrennungsanstalt und Abbildung 2
(Tafel 30) den mit Inhalt in die Höhe gehenden Wagenkasten zwecks
Entleerung auf der gemeinsamen Plattform der Ofengruppe.
Der Wagentyp hat sich aus der Beschaffenheit des Terrains im
Weichbilde der Stadt ergeben; in keinem Wagenbezirk fehlen steigende
Strassen. Überall laufen grosse Wagen, welche den in grossen
Behältern in den Grundstücken gesammelten Müll aufnehmen. Zwecks
leichten Gangs laufen alle Achsen zur Schonung der Zugtiere ständig
in Öl. Jeder Wagenkasten hat je 6,5 cbm Füllraum und ist durch
einen Aufsatz geschlossen, in welchem 4 Einschüttöffnungen sich
befinden, deren Deckel sich bei Aufstellung der Müllbehälter auf die
Ladekanten von selbst öffnen und sofort von selbst zufallen, wenn
das Gewicht der Behälter von den Ladekanten weggenommen wird.
In neuerer Zeit wird auch in Wiesbaden die Einfuhrung des
Trennsystems erwogen, durch welches eine bessere Rentabilität in
der Abfuhr und Unschädlichmachung des Mülls herbeigeführt werden
soll; die Müllverbrennung soll darnach entweder mit der zwei- oder
dreiteiligen Müllsortierung kombiniert werden. Da in diesem Vor-
gehen aber zweifellos in hygienischer Hinsicht Verschlechterungen
liegen, hat seine Durchführung in der Kurstadt wenig Aussicht auf
Erfolg.
II. Kehricht Verbrennungsanstalt.
Von Stadtbauinspektor Berlit.
Bis zum Jahre 1900 wurde der Hauskehricht der Stadt Wies-
baden auf die Weise entfernt, dass man ihn auf zwei etwa 2V2 ki^
von der Mitte der Stadt entfernten Lagerplätzen oberflächlich von
Scherben, Gläsern und Blechdosen reinigte und den Rest zur Abgabe
an die Landwirtschaft aufstapelte. Solche der Verwitterung aus-
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Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 67
gesetzten Kehrichthaufen wurden von Landwirten der Umgebung bis
dahin gern abgenommen und zeitweise sogar noch bezahlt. Mit der
zunehmenden Bebauung des Stadtgebietes und der weiteren Verbreitung
des Kunstdüngers machte jedoch die Abfuhr von dem obengenannten
Zeitpunkt an immer mehr Schwierigkeiten, so dass die Lagerplätze
sich mehr und mehr anfüllten. Dazu kam noch, dass die Bebauung
immer näher, namentlich an den einen d^r Lagerplätze, heranrückte
und die Polizei mehrfach den dort geübten Sortierbetrieb beanstandete.
Um den Kehricht weiterhin zu beseitigen, wurden verschiedene Mittel
vorgeschlagen und zwar wurde zunächst erwogen, die Lagerplätze
weiter nach der Gemarkungsgrenze zu verlegen, in der Hoffuung,
dass man dort noch auf längere Jahre Platz habe und dass von dort
aus eher eine Abfuhr möglich sei. Der Fuhrunternehmer erklärte
jedoch, dass bei einer erheblichen Verlängerung des Abfuhrweges es
nicht mehr möglich sei, zwei Fuhren täglich mit den Wagen zu
machen und dass somit bei dem weiten Hinausschieben der Lager-
plätze erhebliche Mehrkosten für die Abfuhr entstehen würden.
Auch wurde der Versuch gemacht, mit einer an einer Eisenbahnstrecke
liegenden Gemeinde ein Abkommen über die Abnahme des Kehrichts
zu treffen. Auch dieser Versuch scheiterte nicht nur an den erheb-
lichen Kosten des Bahntransportes, sondern auch daran, dass die
fragliche Gemeinde sich nicht zur dauernden Abnahme der Kehricht-
mengen verpflichten konnte.
Auf Grund dieser Vorprüfungen entschloss sich der Magistrat,
der Verbrennung des Kehrichts näher zu treten, um so mehr, als sich
die in Hamburg seit 1896 betriebene Anstalt gut entwickelt hatte.
Das Ergebnis eines 1900 in Hamburg vorgenommenen Brennversuches
war ausgezeichnet, es wurde dort eine bei weitem höhere Verbrennungs-
leistung erzielt als mit dem Kehricht anderer Städte. Zweifellos ist
das günstige Ergebnis zum Teil darauf zurückzuführen, dass in
Wiesbaden viel mit Gas gekocht wird und vieles in den Kehricht-
behälter wandert, was in anderen Städten noch im Küchenherd ver-
brannt wird.
Nach mehrfachen Verhandlungen mit verschiedenen damals
Verbrennungsöfen liefernden Firmen und nach einer Besichtigung
von englischen Anstalten wurde im Jahre 1902 beschlossen, eine
Versuchsanstalt zu bauen mit zwei Ofen nach der Bauart von Dr. Dörr,
um selbst in den verschiedenen Monaten des Jahres die Brennwerte
des Kehrichts zu prüfen und auf Grund dieser Versuche eventl. später
eine Anstalt zu bauen.
5*
68
B e r 1 i t , Kehi-ichtverbrennungsanstalt.
Aus nachstehender Skizze ist der Aufbau und die Wirkungs-
weise dieses Ofens ersichtUch.
Er ist eine Art Kupolofen von etwa 5 m Höhe, ohne irgend
welche vom Feuer berührte Eisenteile, und besteht aus folgenden
wesentlichen Teilen : Einschtittöflfnung a ; Verbrennungsraum b ; Gas-
abzug c; Schlackenhals d, in welchen die Luft eingeblasen wird.
Hierzu kommen als Ergebnis des Versuchsbetriebes : Flugaschenfang e
mit Abschlussöflfhung f; Sammelfuchs g (hinter allen Ofen durch-
geführt) Entleerungsgang unter Flugaschenfang und Fuchs h und
Gebläsegang i.
-©=
Der Betrieb gestaltet sich so, dass in etwa halbstündigen
Abständen der Schlackenhals ausgeräumt wird und die im OfenstoQk
befindliche Schlacke vorgezogen wird, um bis zur nächsten Schlackung
unter dem Einfluss. des Gebläseluftstromes abzukühlen. Alsdann wird
von oben die Masse durcheinander geworfen, neu beschickt und nach
Verschluss aller Türen das Gebläse angestellt.
Abgesehen von einem dreimonatlichen Gewährleistungsbetrieb,
bei dem durchschnittlich 16 Tonnen Tagesleistung erzielt wurden,
sind die Ofen nach verschiedenen Umbauten auch im Winter im
Tafel 31.
Die Kehrichtverbrennungsanstalt.
Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 69
Betrieb gewesen, so dass eine Entscheidung über die endgültige Wahl
des Ofens nach 7 bis 8 monatlicher Gesamtbetriebszeit erfolgte. Auf
Grund dieser Vorversuche wurde im Jahre 1905/06 die Anstalt aus-
gebaut, die nach den damaligen statistischen Ermittelungen bei einer
Höchstbelastung im Winter von etwa 60 Tonnen für längere Zeit
ausreichend sein sollte. Es sei jedoch hier gleich erwähnt, dass leider
die statistischen Unterlagen recht unzureichend waren und dass jetzt
die Anstalt im Winter 600 bis 630 Tonnen wöchentlich verbrennen
muss, während im Sommer die Kehrichtmenge auf 300 bis 850 Tonnen
zurückgeht, so dass wir bereits jetzt schon im Winter ohne jegliche
Reserve arbeiten. Da sich zudem durch die ausserordentlich umfang-
reiche Einführung von Sammelheizung auch in Mietswohnungen die
Qualität des Winterkehrichts in den letzten Jahren infolge der
unangenehmen Koksschlacken erheblich verschlechtert hat, so hat
man die getrennte Abfuhr von Asche und sonstigem Hauskehricht
in Erwägung gezogen.
Da ein vorhandenes Gebäude (Tafel 31) nebst Schornstein benutzt
werden musste, so zeigt der Gesamtplan einige Anordnungen, die man
bei einem einheitlichen Bau sicher vermieden hätte. Die Beschreibung
möge an Hand des umstehenden Grundrisses und der Ansicht etwa
so erfolgen, wie der Arbeitsgang im Betrieb ist.
Vor dem Ofenhaus ist eine Wage, auf der alle ankommenden
Kehrichtwagen gewogen werden. Da die Lagerung auf der stets
warmen Ofenoberfläche wie in englischen Anstalten Geruchs-
belästigungen hervorruft, wird in Wiesbaden der mit Laufkran hoch-
gehobene Wagenkasten auf einer nur über dem Ofenbedienungsgang (b)
liegenden Plattform ausgekippt und der dort unvermeidliche Staub
durch eine Wand von der Ofenoberfläche ferngehalten. Anfangs
bestand die Absicht, die Stapelplattform höher als die Ofen zu legen
und als Sammelbehälter auszubilden, aus dem der Kehricht gewisser-
maßen abgezapft wird, wie man dies bei Kohlen vielfach macht. Ein
Versuch im Grossen zeigte jedoch, dass unser Kehricht sich nicht so
behandeln lässt; er hing so fest zusammen, dass er, als in dem
Versuchsbehälter unten ein Vj^ qm grosses Loch geöffnet wurde, über
diesem eine Brücke bildete. Ein Gichtverschluss zum Beschicken der
Ofen ist deshalb nicht ausführbar, weil der Ofen auch von oben bedient
werden muss. Da es nun aus betriebstechnischen Gründen erwünscht
ist, die Ofen stets gleichmäßig mit bestimmten Mengen zu beschicken,
so ist nach einjährigen Versuchen eine mechanische Beschickung ein-
gebaut worden. Sie besteht darin, dass ein in die Stapelplattform
70
B e r 1 i t , Kehrichtverbrennungsanstalt.
W
o
Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt 71
versenktes Gefäss von 0^8 cbm Inhalt durch einen Aufzug auf
schräger Ebene hochgehoben, oben selbsttätig gekippt und durch
Vermittlung eines Trichters in ein drehbares Rohr von 0,65 m 1. W.
entleert wird, das über den zu beschickenden Ofen eingestellt ist.
Bei einer Neuanlage könnte man, sofern Grundfläche genügend
verfügbar ist, eine solche mechanische Beschickung unter Fortfall
des Laufkranes bis zum Fussboden führen. Die Ofenplattform ist^
ebenso wie nach dem auf gleicher Höhe liegenden Stapelraum, nach
dem Kesselhaus zu durch eine Wand abgeschlossen, und sind die
Kessel unmittelbar an den Sammelfuchs hinter den Öfen angebaut.
Unter der Stapelplattform ist der 4,75 m hohe, 5 m tiefe Bedienungs-
gang vor den Öfen, wo die Schlacken aus den Öfen unmittelbar in
Kippwagen entleert werden. Unter den Öfen sind die zwei schon
erwähnten Gänge für die durch Elektromotoren angetriebenen Gebläse
und für Entleerung der Flugaschenfänge; zum Heben der mit Flug-
asche gefüllten Wagen dient ein Wasserdruckaufzug.
Im Kesselhaus sind zwei Satz von je 2 Wasserrohrkesseln auf-
gestellt ; hier ist auch ausser den Speisepumpen, dem Wassermesser usw.
ein Brunnen, der von früher her hier seinen Platz hatte.
Mit dem Kesselhaus verbunden ist das Maschinenhaus, in dem
ein 200 Kwt. Drehstrom-Turbogenerator aufgestellt ist. Die Auf-
stellung der Turbine konnte nicht normal d. h. zu ebener Erde mit
unterirdischer Kondensation erfolgen, da dann in dem alten Gebäude
unangenehme Unterfangungsarbeiten der Mauern und des Schornsteins
erforderlich gewesen wären. Sie ist deshalb auf ein Eisengerüst
erhöht aufgestellt, eine Anordnung, die den Vorteil hat, dass die
Kondensation frei liegt und gut bedient werden kann.
Die als Drehstrom von 2500 Volt erzeugte Elektrizität wird
teilweise im eigenen Betrieb verbraucht, grösstenteils aber an das
Elektrizitätswerk abgegeben, nach dessen Hauptschaltbrett ein Kabel
gelegt ist.
In den Maschinenraum eingebaut ist die Maschinistenstube,
daneben Lager und Schmiede.
Die aus den Öfen in Kippwagen gezogenen Schlacken werden etwas
abgelöscht auf den Hof gefahren und kühlen sich bis zur Bearbeitung
im Schlackenbrecher ab. Da nämlich der Schlackenbrecher wegen
der erforderlichen grossen Maulweite so leistungsfähig gewählt ist,
dass er die jetzt entfallende Menge in 6 bis 8 Stunden verarbeiten
kann, so ist eine Aufstapelung während der übrigen Zeit notwendig.
72 Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt.
Als billigste und bequemste Aufstapelräume erweisen sich die Kipp-
wagen, die dann, sobald die Brecheinrichtung in Betrieb ist, in einem
Aufzug 8 m hoch auf die höchste Plattform gehoben und in einen
2 — 3 cbm fassenden Trichter entleert werden. Aus diesem fallen sie
auf eine Förderschwinge, die sie dem Brecher gleichmäßig zufuhrt.
Von hier fallt das Gut auf ein Schüttelsieb, das grosse und besonders
flache Stücke (zusammengepresstes Blech) absiebt und den Rest in
eine Siebtrommel fallen lässt. Von dieser werden drei Sortierungen
gewonnen: Asche bis 10 mm, Mittelkom bis 40 mm, Grobkom bis
80 nmi Grrösse. Das sortierte Gut wird auf dem schon genannten
Aufzuge auf 3,5 m gehoben und auf einer 40 m langen Hochbahn
über den Hof verteilt, sofern es nicht sofort Abnehmer findet.
Für das Personal ist durch Einrichtung eines über Lager und
Schmiede liegenden grossen Waschraumes mit vier Brausezellen sowie
eines Speiseraumes gesorgt. Jeder Mann erhält einen zweiteiligen
eisernen Schrank, in dem er reine und schmutzige Wäsche (Dienst-
kleider) getrennt halten kann; femer steht ein Wärmeschrank und
Kaflfeekocher zur Verfügung; für letzteren wird der Kaffee von der
Verwaltung geliefert.
Über endgültige Betriebsergebnisse in unserer Anstalt lässt sich
zur Zeit noch nichts bestimmtes sagen, da durch die seinerzeit erst
allmählich erfolgende Inbetriebnahme, verschiedene nachträgliche Um-
bauten, sowie durch den erst im Winter bewirkten Einbau von Reserve-
kesseln sich noch kein genaues Urteil über den Dauerbetrieb bilden
lässt. Die Verdampfungszahlen schwanken aus bis jetzt zum Teil
noch nicht aufgeklärten Gründen ganz ausserordentlich und sind,
abgesehen von der Jahreszeit, in sehr erheblichem Umfang vom Zu-
stand der Kesseloberfläche abhängig, die sehr leicht von Flugasche
bedeckt wird. Während im günstigsten Monat für 1 kg Kehricht
bis zu 0,9 kg überhitzten Dampf erzeugt worden ist, beträgt die
niedrigste Zahl für 1 kg Kehricht 0,4 kg Dampf. Bei diesen Angaben
handelt es sich — wie ausdrücklich hervorzuheben ist — um Brutto-
zahlen und um Dampf von 300 bis 350^ Überhitzung, so dass man
vorstehende Zahlen beim Vergleich mit anderen derartigen Anlagen,
die Nassdampf liefern, um etwa 20 ^/q in die Höhe setzen muss ; auch
sind hierbei die Verluste mit eingeschlossen, die durch Abstellen der
Anstalt und einzelner Öfen naturgemäß immer eintreten. Die
Elektrizitätserzeugung war im vorigen Jahre, in dem mehrfach die
Anstalt bis zu 14 Tagen ausser Betrieb war, rund 600000 K. W. St., von
denen über 165000 im eigenen Betrieb verbraucht wurden. Auch
Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 7ä-
diese Zahlen wären höher gewesen, wenn sich nicht verschiedene den
Dampfverbrauch beeinflussende Ausbesserungen an der Turbine als
nötig erwiesen hätten, so dass wir für das laufende Jahr ein günstigeres.
Ergebnis erwarten.
Die Abfuhr und Abnahme der Schlacken und Asche hat sich
viel ungünstiger gestaltet, als nach dem Bedarf während des Versuchs-
betriebes zu erwarten war. Insbesondere ist von der Asche, auch bei
unentgeltlicher Abgabe, kaum etwas abgefahren worden, während die
Schlacke im Durchschnitt mit nur 1 M. für 1 Tonne an Fremde, mit
80 Pfg. für 1 Tonne an die eigene Verwaltung abgegeben wird.
Unter diesen Verhältnissen ist der Schlackenbrechbetrieb sehr un-
rentabel und erfordert einen erheblichen Zuschuss, zumal durch die
grosse bereits aufgesammelte Aschenhalde die Beförderungskosten der
neu hinzukommenden Mengen verhältnismäßig hoch sind ; es ist jedoch
zu hoffen, dass bei Wiedereinsetzen der Bautätigkeit die Abfuhr sich
günstiger gestaltet und so wenigstens die Betriebskosten der Schlacken-
brecherei gedeckt werden.
Unter den Betriebskosten spielen die Personalkosten die grösste
Rolle, zumal hier hohe Löhne gezahlt werden. Dieselben betragen
schätzungsweise für 1 Tonne verbrannten Kehrichts zwischen 2 und
2,50 M., während die sonstigen Ausgaben sich auf etwa IM. für
Unterhaltung der Anlage, Betriebsstoffe usw. stellen. Die Ein-
nahmen sind für Elektrizität, Schlacken, altes Eisen für dieses
Etatsjahr auf etwa 2 M. geschätzt, so dass ein Zuschuss von 1 bis
1,50 M. für eine Tonne Kehricht zu leisten ist. Hierbei ist jedoch
zu beachten, dass die Elektrizität an das Schaltbrett des städtischen
Werkes für weniger als 5 Pfennig geliefert werden muss.
D. Anlage und Pflege der Strassen.
Von Stadtbauinspektor Scheuermann«
Einleitung.
In einer Stadt von der Bedeutung Wiesbadens müssen die
Strassen so angelegt und gepflegt werden, dass sie in jeder Beziehung
den Forderungen in ästhetischer, wirtschaftlicher, technischer und
hygienischer Hinsicht vollkommen genügen; es wird auch dadurch
ein Beitrag zur Erhaltung und Förderung des Ansehens geleistet,
den die Stadt überall in "der Welt geniesst. Licht und Luft, von
der die Feldgemark strotzt, müssen auch in das Weichbild der Stadt
hineingetragen werden und hier erhalten bleiben, einerlei, ob es sich
um Sanierung der Altstadt oder um weitere Ausnutzung des Stadt-
-erweiterungsgebiets zu Wohnzwecken für Mensch und Tier handelt.
Auch für die Anlage der Strassen in Wiesbaden gilt der Grundsatz,
dass sie billig erstellt werden und auch billig in der Unterhaltung
und Erneuerung bleiben ; nach modernen wirtschaftlichen Grundsätzen
werden demgemäß die bestehenden Strassen umgebaut und gepflegt
und die neuen geschaffen. Hier, wo die Kurinteressen von so aus-
schlaggebendem und bedeutendem Einfluss auf die Gestaltung des
ganzen städtischen ^Verwaltungswesens sind, müssen auch muster-
gültige Strassenanlagen geschaffen und als solche erhalten werden!
Staub, Schmutz und Lärm müssen von vornherein aus Neustrassen
verbannt und aus bestehenden Strassen durch zweckmäßige Umbauten
nach und nach beseitigt werden.
I. Anlage von Neustrassen.
1. Allgemeines.
Der Baugrund für die Strassenanlagen ist sehr ungünstig. Er
besteht hier ausschliesslich aus Lettenboden, welcher kein Wasser
durchlässt und unter dem Einfluss desselben zu einem unsicheren
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 75
Pundament für den einzubauenden Strassenkörper wird. Derselbe
wird — vor allem in den Fahrbahnflächen — aus kräftigem Unterbau
und solider Decke zusammengesetzt; der Unterbau fällt nur in den
Oehwegen weg, wenn die Baukörper der Decke an und für sich so
druckfest sind, dass sie zur Aufnahme des Verkehrs keiner besonderen
starren Unterlage bedürfen. Für die Fahrbahnen, einerlei, ob sie
zu Wohn- oder Verkehrs- oder Prachtstrassen gehören, ist kräftiger
Unterbau als erster Einbau Bedingung. Solidität der Aus-
führung hat stets neben wirtschaftlichem auch hygie-
nischen Wert! Im Interesse der Allgemeinheit muss ja dieser
Konstruktionsteil auch angewendet werden; so will es ja auch das
Fluchtliniengesetz, welches die Gemeinden nicht allein davor schützen
«oll, dass Strassen entstehen, die ihnen nicht passen, sondern ihnen
auch ermöglichen soll, dass Strassen so angelegt werden, wie es das
öffentliche Interesse fordert. Durch die Anlage von Neustrassen
ohne Unterbau wird der Fundamentalregel der Baukunst geradezu
ins Gesicht geschlagen; ein solcher Strassenkörper mit scheinbar
guter solider Decke ist mit einem Menschen zu vergleichen, dessen
gesunder Oberkörper auf lahmen Füssen ruhen soll.
Jede Neustrasse wird nur von Strassenkreuzung zu Strassen-
kreuzung im Anschluss an eine bereits fertig gestellte Strasse erbaut,
nachdem alle unterirdischen Längsleitungen in ihr verlegt worden
sind und die zur ersten Einrichtung notwendigen Ausrüstungen für
Beleuchtung, Bewässerung und Entwässerung in der neuen Strasse
hiernach angeschlossen werden können. Nachdem das kräftige Unter-
gestück, wozu die Vororte Sonnenberg und Dotzheim einen vorzüg-
lichen Baustein, den Taunusserizit, liefern, eingebaut, abgekeilt, mit
Basaltschotter, Maschinenschlag aus dem Westerwald, überdeckt und
mit der Dampfwalze unter Verwendung von Grubenkies — ebenfalls
aus obigen Vororten — festgewalzt ist, wird ein Notpflaster aus Basalt-
steinen zweiter Sorte (weil geringere Bearbeitung und mehr Anzug
der Seitenflächen) auf dasselbe aufgesetzt; dieses bleibt so lange
liegen, bis alle Anbauten zwischen zwei Strassenkreuzungen errichtet
sind. Bis dahin werden auch auf den zukünftigen Gehwegflächen
Schlackenstreifen angelegt, um dem Fussgängerverkehr von und zu
den Baustellen bei jeder Witterung zu genügen. Durch diese Bau-
weise als erste Einrichtung einer Neustrasse wird überall verhütet,
dass die benachbarten bereits ausgebauten Strassen durch den Verkehr
der Baufuhrwerke von Staub und Schmutz belästigt werden. Scharfe
Bestimmungen der Strassenpolizeiverordnungen unterstützen hierin
76 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
in wirksamer Weise die Bauverwaltung; sie sorgen weiter daflir^
dass die Fuhrwerke mit sauberen Rädern und nur bis zur Oberkante
der Wagenwände beladen nach und von den Baustellen verkehren
dürfen; hiernach . sind ferner auch die Bauherren gehalten, die Neu-
strassen stets in demselben sauberen Zustande zu erhalten, wie er
in ausgebauten und ganz fertig gestellten Strassen von den Haus-
eigentümern zu erhalten ist»
2. Bau der Gehwege.
Sobald ein Anbau fertiggestellt ist, wird auf die Frontlänge
desselben der Gehweg endgültig hergestellt, die das Notpflaster der
Fahrbahn säumende zweischneidige Rinne wird entfernt und mit dem
Höherlegen des Gehwegs durch Versetzen der Bordsteine begonnen;
neuerdings wird hierzu nur noch bester Odenwaldgranit verwendet^
weil derselbe infolge seiner grossen Dichtigkeit und Druckfestigkeit-
ausserordentlich geringem Verschleiss ausgesetzt ist, was hauptsächlich
an den Strasseneinmündungen von Bedeutung ist. Die übrigen Flächen
der Gehwege werden, wenn sie unter 4,0 m Breite sind, entweder
mit Gussasphalt auf Beton oder Mosaik auf Sand befestigt, je nach-
dem die Strassen flach sind oder in Steigungen, bezw. in Stadt-
vierteln mit geschlossener Bauweise oder in Landhausvierteln liegen.
Diese beiden Bauarten genügen am ersten den hygienischen
Anforderungen, denn sie sind zu jeder Jahreszeit gefahrlos und
schmerzlos zu begehen; sie halten nicht lange die Feuchtigkeit und
lassen sich leicht und gründlich reinigen und auch sauber halten.
Die Oberfläche der Mosaikdecken wird im Laufe der Jahre bei der
Verwendung des sehr quarzreichen Grubensandes nahezu so eben
wie diejenige der Asphaltdecken. Alle Befestigungsarten, welche
fugenreiche und unebene Oberflächen haben, wie Pflasterplatten und
Natursteinen oder Platten aus Ton oder Beton oder Steinzeug werden
aus wirtschaftlichen und auch hygienischen Gründen nicht mehr
verwendet.
Sind die Gehwege mehr als 4 m breit, so erhalten sie in der
Regel auch Baumpflanzungen. Um die Gesundheit und das Wachstum
der Bäume in dem an und für sich dichten Strassenboden — weshalb
jedesmal eine Baumgrube besonders gemacht und mit guter Pflanzerde
ausgefüllt werden muss — durch Zuführung der nötigen Wasser-
mengen aus den Niederschlägen direkt und ohne besondere Maß-
nahmen oder Einrichtungen zu erhalten, bezw. zu fördern, den
Strassenboden sicher zu entlüften und die Baumwurzeln wirksam
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 77
gegen Gasvergiftung zu schützen, werden die Gehwegflächen entweder
auf ^/g Breite nach der Anbauseite zu in Gussasphalt auf Beton und
nach der Fahrbahn zu ^/g in Mosaik auf Sand oder ganz in Mosaik
ausgeführt, letztere stets in Strassen der Landhausviertel. Zwischen
den Asphalt- und den Mosaikflächen werden sog. Bandsteine aus
Weichbasalt auf Beton gestellt, deren Köpfe eben geschliffen sind
und mit der anstossenden Asphaltfläche daher vollkommen bündig
anschliessen können. Der Querschnitt dieser kombinierten Befestigung,
welche hauptsächlich in den Neustrassen des Westends in den letzten
Jahren zur Ausführung gekommen ist, ist in nachstehender Skizze dar-
gestellt.
Gehweg ans Asphält u. Mosaik
XrBordsfein
Nach ihm erhalten zwecks raschen Wasserabflusses die Gehwege
eine Querneigung von 2,5 ^/q im Mittel ; der Wasserablauf wird dadurch
auf den Asphaltflächen zwecks raschester Abtrocknung beschleunigt,
auf den Mosaikflächen aber durch das Fugennetz so verzögert, dass
das Wasser in die Fugen auch reichlicher eindringen kann.
In den letzten Jahren sind versuchsweise Basaltinplatten an Stelle
von Gussasphaltgehflächen zur Anwendung gekommen; sie haben
eine Grösse von 40x40 oder 50x50 oder 40x60 cm bei einer
Stärke von 6 cm und werden entweder diagonal oder rechtwinkelig
mit materialdichten Fugen verlegt. Abgesehen davon, dass durch
den Fugenschnitt die Strassenfläche mehr belebt wird als mit der
eintönigen und düsteren Asphaltdecke, bürgen die Platten bei einer
ausserordentlich hohen Druckfestigkeit dafür, dass sie sich nur gering
verschleissen und keinen besonderen Unterbau brauchen; sie können
einfach auf ein Kalkbett verlegt werden. Ausserdem aber haben
sie den Vorteil der Mosaikdecken insofern, als sie bei nassem Wetter
nicht so feuchte Oberfläche erhalten und nach den Niederschlägen
rascher als die Decken aus Gussasphalt abtrocknen. Sie haben aber
auch den Vorzug der Asphaltdecke, weil ihre Oberflächen gleichfalls
78 Sch-euermann, Anlage und Pflege der Strassen.
ganz eben sind. Die Gehwege lassen sich mit diesen Platten ungemein
rasch und dabei billig herstellen, ohne dass hiermit hygienische
Nachteile verbunden wären. Noch einen weiteren Vorteil haben diese
Basaltinplatten gegenüber den empfindlichen und weniger widerstands-
fähigen Decken mit einem natürlich kräftigen Unterbau insofern,,
als die unvermeidlichen Quer- und Längsaufbrüche sich sehr rasch
bewerkstelligen lassen, ohne dass dadurch die Baukörper von Decke
und Unterbau ganz oder teilweise zerstört werden müssen; ebenso-
rasch wie die Aufbrüche können aber auch die Wiederherstellungs-
arbeiten vor sich gehen.
3. Bau der Fahrbahnen.
a) Geräuschlose Decken^
Der endgültige Ausbau der Fahrbahnen in Neustrassen findet
statt, sobald die Anbauten auf beiden Seiten errichtet sind; je nach-
dem es sich um Hauptverkehrsstrassen, Geschäftsstrassen oder Wohn-
strassen handelt, werden die Baukörper für die Herstellung der
Decken gewählt. Die Neustrassen liegen alle in derartigen Steigungen,,
dass die Anwendung einer geräuschlosen und fugenarmen Decke sehr
selten in Frage kommen kann. Eine in hygienischer Hinsicht rühm-
liche Ausnahme hiervon bilden die im ehemaligen Bahnhofsgebiet
zur Ausführung bestimmten Neustrassen ; sie haben meist ein solches
Gefalle erhalten, dass die spätere Anwendung des Stampfasphalte»
überall stattfinden .kann. Vorläufig sind ein 20 cm starker Unterbau
und über ihm ein 10 cm starkes Pflasterbett aus Flusssand und
darüber Reihengrosspflaster aus Steinen von 16 cm Höhe eingebaute
Wenn die Anbauten an diese Strassen, vornehmlich an die Kaiser-
strasse, errichtet sein werden, kann anstelle des Grosspflasters auf
Sand mit 26 cm Höhe auf das Untergestück alsdann Stampfasphalt
auf Beton mit 6 + 20, also ebenfalls 26 cm, gegründet werden.
Dadurch konnten die Ausrüstungen der Strassen für Bewässerung,.
Entwässerung und Beleuchtung, sowie die Gehwege selbst auf end-
gültige Höhe von vornherein gebracht werden, sodass der spätere
definitive Ausbau sich nur auf einen Teil der Strassenfläche, auf die
reine Fahrbahn, erstrecken wird, was in wirtschaftlicher und verkehrs-
technischer Hinsicht immer wünschenswert ist.
Der Unterbau bleibt in den Strassenkörpern, welche alle durch
Auffüllung von ca. 2 m Höhe hergestellt werden mussten, erhalten
und gibt dann später dem Beton ein gutes Fundament ; es werden
dadurch die Quer- und Längsrisse in demselben möglichst vermieden^
Scheuer mann, Anlage und Pflege der Strassen. 79*
welche lediglich darauf zurückzuführen sind, dass weder der Beton
noch der Strassenboden in frostsicheren Tiefen sich befinden. Die
Gefahr "der Rissebildung ist aber bei dem wasserundurchlässigen
Strassenboden Wiesbadens viel grösser, sodass die Einbringung des
Betons in erdfeuchtem und nicht in plastischem Zustand unter Ver-
mischung langsam bindenden Portlandzements mit rheinischem Trass
für die Zukunft ausschliesslich Anwendung finden soll. Derartige
Risse im Unterbau äussern sich aber auch in Decken namentlich
aus Stampfasphalt. Die Deckenrisse werden aber, wie auch in
anderen Städten, bis jetzt nur als Schönheitsfehler betrachtet und
nicht weiter verfolgt, so lange sie dem Verkehr oder der Ent-
wässerung nicht hinderlich werden. Es ist eine längst anerkannte
Tatsache : einen Deckenriss reparieren, heisst, aus ihm zwei Decken-
risse machen. Daher gibt man sich mit einem zufrieden; ein
Deckenriss ist gerade genug für Ansammlung von Staub und Schmutz,,
sodass die Absicht, Deckenrisse zu beseitigen, gleichbedeutend mit
einer hygienischen Verschlechterung des Deckenzustande s ist.
h) Geräuschvolle Decken.
Im übrigen werden zur Herstellung von endgültigen Fahrbahn-
decken nur Baukörper aus natürlichen Gesteinen genommen ; entweder
deutscher oder schwedischer Granit für verkehrsreiche oder Melaphyr
für verkehrsarme Fahrbahnen.
Neuerdings werden auch aus dem Lahntale Grosspflastersteine
bezogen, welche das dichte Gefüge einer durchaus gleichmäßigen
Basaltlava und dabei eine noch höhere Druckfestigkeit wie Granit
haben. Die Steine bleiben aber wie der Melaphyr an der Oberfläche
rauh und sind nicht teurer wie Melaphyr. Die Vorzüge dieser neuen
Pflastersteine sind demnach auch in hygienischer Hinsicht so bedeutend^
dass beabsichtigt ist, nur noch diesen Stein für Grosspflaster zu ver-
wenden; eine mit 5 ^/^ steigende Strassenstrecke, die Coulinstrasse^
ist mit diesen Pflastersteinen bereits in 1907 ausgeführt worden.
Der Melaphyr wird aus der Rheinpfalz bezogen, wo die besten
Brüche auf der Höhe liegen und nur aus diesem Steine von durchaus
gleichmäßigem Gefüge von hohem spezifischem Gewicht und gleich-
bleibender Druckfestigkeit gewonnen werden.
Basalt wird fast nicht angewendet für die endgültigen Pflaste-
rungen, weil er infolge der hohen Sprödigkeit und grossen Gleich-
mäßigkeit des dichten Geftlges sich sehr schwer mit ebenen Ober-
flächen bearbeiten lässt, ganz abgesehen davon, dass seine Oberfläche
'SO Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
sehr schnell unter der Einwirkung des Verkehrs glatt wird und
daher für die meist steigenden Strassen Wiesbadens überhaupt nicht
in Frage kommen könnte.
Unebene Oberflächen von Fahrbahnen sind aber sehr geräusch-
voll und grosse Schmutz- und Staubsammler, hygienisch also durch-
aus verwerflich; auch aus diesen Gründen scheidet der Basalt daher
ganz aus. Er hat nicht die Rauhigkeit des teueren Granits und des
billigeren Melaphyrs und durch den Verkehr schleifen sich die Uneben-
heiten seiner Oberfläche nicht so sehr und in dem Maße ab, dass
nachher gleich ebene Flächen entstehen, wie sie der Pflasterstein
aus Melaphyr in ausgiebigem und aus Granit in geringerem Maße
von vornherein durch Bearbeitung erhalten kann und im Verkehr
auch weiter beibehält.
Zur Erhaltung der Ebenheit der Decke dieser Fahrbahnen aus
Natursteinen erhalten die Pflastersteine möglichst geringen Seiten-
anzug, höchstens je 1 cm an den 4 Seiten; denn breite Fussfläche
gewährleistet bestes Aufsitzen der Steine und verhütet somit am
ersten eine Drehung des Steines und mithin seiner Oberfläche bei
•den stetig auf ihn einwirkenden äusseren Kräften. Der Drehung der
Steine wird aber nicht allein durch breiten Fuss und geringen
Anschlag der Seitenflächen entgegengewirkt, sondern auch durch
Verwendung scharfen Pflastersandes; der durchweg hierzu angewendete
Rhein- und Mainsand hat infolge seines hohen Quarzgehaltes die
vorzügliche Eigenschaft, neben den Raumwirkungen zur Erzeugung
grosser Reibungskräfte beizutragen. Die Steinwandungen sitzen dann
gegeneinander bezw. die Steinfussflächen auf dem Sandbett gegen-
einander dauernd so fest, dass eine Drehung der einzelnen Steine
nicht so leicht herbeigeführt wird.
Die Fahrbahnen erhalten durchweg eine Querwölbung in Parabel-
form; die Rinnen erhalten dadurch einen sehr kräftigen Anzug, die
dem Verkehr ausgesetzten Spurflächen aber einen geringeren Anzug,
so dass einesteils das Wasser sehr schnell nach den Rinnen geleitet
und in diesen auch schnell abgeführt wird, anderesteils aber auf den
weniger geneigten Spurflächen die Zugtiere weniger einseitig zur
Fortbewegung des Fahrzeuges beansprucht werden. Je grösser die
Querneigung der Spurflächen und je grösser das Eigengewicht und
die Ladung des Fahrzeugs, um so mehr haben die Räder das Bestreben,
sich schraubenförmig von der Spurfläche nach der Rinnenfläche zu
^u bewegen; flache Spurflächen sind demnach hygienisch einwand-
freier für die Zugtiere. Das Rinnenwasser wird in Strassensinkkästen
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 81
abgeführt, welche zeitweise in das Bordsteinprofil bündig eingebaut
sind; die Fahrbahnfläche ist ajso von allen Ausrüstungen frei, welche
den Verkehr erschweren, oder Anlass zu Staub- und Schrautz-
ansammlungen geben können.
Die beim Reihenpflaster entstehenden Quer- und Längsfugen
werden so dicht als technisch zulässig ausgestaltet, da sie durchweg
Schmutzsammler sind und bei grosser Breite der Querfugen die Ober-
flächen der Steine leicht gekrümmt werden, zu sogen. Katzenköpfen
sich gestalten, welche als Erzeuger von Lärm und Vermehrer von
windsicheren Flächen zur Staubablagerung anzusehen sind.
Mit der Zeit gehen durch die Einwirkungen äusserer Einflüsse,
namentlich durch den Verkehr, durch Fegung und durch Nieder-
schläge die obersten Schichten des Fugensandes verloren und die
Fugen werden alsdann durch Strassenschmutz gefüllt. Um dieses zu
verhüten, werden die Fugenfahrbahnen mit Reihengrosspflaster ca» 3
bis 4 Jahre nach ihrer Herstellung, d. h. wenn die Deckenbewegungen
aufgehört haben, mittelst Druckwasser zur heissen Jahreszeit auf
eine Tiefe von 7 bis 8 cm ausgespült. Nach natürlicher Trocknung
der Steine werden die Hohlräume zwischen ihnen mit bestem Pflaster-
pech ausgegossen, welches lange elastisch bleibt, von der Luft nicht
so schnell verzehrt wird und demnach einen guten wasserdichten
Abfluss auf Jahre gewährleistet.. Es wird hierdurch nicht allein einer
Verseuchung des Untergrundes wirksam vorgebeugt, sondern den
Fugen die Eigenschaft als Staubsammler genommen; die Nährböden
für Miasmen aller Art können damit auf längere Zeit nicht auf-
kommen.
4* Bau der Reitwege.
Für die Reitwege konnte bis jetzt keine Bauart gefunden werden,
welche den Forderungen in rein gesundheitstechnischer Hinsicht zur
Verhütung oder auch nur zur Verminderung von Staub und Schmutz
bis jetzt durchaus genügte. Aber die Reitwege gehören zur Aus-
stattung einer modern angelegten Hauptstrasse in grossen Städten!
Die Anlag« der Reitwege ist recht schwierig, wenn der Strassen-
boden wiö in Wiesbaden wasserundurchlässig ist und aus Letten
besteht; eine schnelle Versumpfung bei unserem wetterwendischen
Klima ist die Folge. Alsdann geraten sie aber in einen Zustand,
dass sie dem Zwecke des Reitsportes nicht mehr dienen können; es
wäre dann ja am besten, sie würden einfach beseitigt oder überhaupt
keine weiteren Reitwege mehr angelegt werden. Diese Forderung
82 Scheaermann, Anlage und Pflege der Strassen.
bleibt aber für Wiesbaden ein frommer Wunsch, wo viele und
einflussreiche Bürger dem Reitsport in Stadt und Wald huldigen.
Gar viele Fremde halten sich zu diesem Zwecke vorübergehend in
jedem Jahre hier auf, um auch in Wiesbaden und seiner Umgebung
mit ihren eigens zu diesem Zwecke mitgebrachten Pferden dem
Reitsporte zu huldigen. In einer vornehmen Baderstadt ist eben
Sport aller Art zu Hause und damit muss die Stadtverwaltung
rechnen, wenn sie das glanzende Ansehen als Weltkurstadt bei
hervorragenden Vertretern aller Nationen weiter erhalten wilL
Um nun der Versumpfung wirksam vorzubeugen, werden alle
Reitw^e mit Drainage angelegt, welche an die Kanalisation ange-
schlossen wird. Damit wird aber ein neuer Übelstand gezeitigt,
indem nunmehr die Reitwege zu schnell austrocknen und die aus
Flusssand und Sägemehl bestehenden Mischungen durch den Wind
auf den Strassenflachen und in benachbarten Wohnungen zerstreut
werden; aus diesem Grunde wurde auch die frühere Beimischung von
Lohe als ein sehr leichter Baustoff weggelassen. Um nun die Reit-
wege weiter zu erhalten, dem seitherigen Übelstand aber wirksam
zu begegnen, ist in Aussicht genommen, die Reitwegmischung aus
Perlkies von gleichem Korn zu bilden; jedenfalls eine hygienisch
einwandfreiere Mischung. So soll im Jahre 1909 der vielbenutzte
Reitweg in der Wilhelmstrasse bei deren Umbau neu angelegt werden.
5. Bau der Fahrbahnkörper innerhalb der
St rassenbahn flächen.
Auf den Bau und die Unterhaltung der Fahrbahn innerhalb
der Breite des Strassenbahnkörpers soll hier nur kurz eingegangen
werden. Bei Schaffung dieser modernen Verkehrseinrichtungen soll
für die Folge nicht mehr diejenige Bauweise wieder angewendet
werden, welche jetzt wie in allen anderen Grossstädten auch in
Wiesbaden zu andauernden Missständen in der Erhaltung der Fahr-
bahnfläche geführt haben. Diese Bauweise, die Bettung und Ein-
hüllung der starken und fortwährend Bewegungen ausgesetzten,
federnden Strassenbahnschienen auf einem bezw. in einen schwachen
und starren Baukörper, wie es der Beton ist, ist technisch nicht
richtig; ehe die Schienen als betriebsuntauglich zur Auswechslung
zu kommen brauchen, wird der so hergestellte, wasserundurchlässige
Unterbau und Seitenbau durch die nicht zu bannenden Bewegungen
der Schienenstränge und durch den Einfluss des Wassers, das in
die Fahrbahn vermittelst der Schienen als deren unwillkommene
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 83
Bewässerungsvorrichtungen eindringt, kurze Zeit nach der Ausführung
in Mitleidenschaft gezogen und mit der Zeit so zerstört, dass eine
Wiederherstellung überhaupt nicht mehr möglich ist. Mit der Zer-
störung des Unterbaues verliert aber auch die Decke aus Asphalt,
Steinplatten oder Holzstöckel ihi'en Halt und wird dann ebenfalls
zerstört. Daher wird aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen
zur althergebrachten und technisch richtigen Bauweise für fort-
während in Bewegung befindliche Konstruktionen zurückgekehrt
werden, indem der Unterbau und die Decke aus Natursteinen mit
eben geschliffenen Oberflächen und mit nachgiebigem Füllmaterial
und beide Baukörper vereint dabei wasserdurchlässig von vornherein
hergestellt werden, damit nicht die Konstruktion selbst diese Eigen-
schaften sich später zu schaffen braucht. Von den Schienensystemen
ist die einteilige, mindestens 15 m lange Schiene aus bestem Stahl
mit hohem Steg und breitem Fuss und einer guten Stossdurchbildung,
wie sie jetzt in der Schienenkopflasche oder der einfachen oder
verstärkten Fusslasche geschaffen ist, in hygienischer Beziehung und
in wirtschaftlicher Hinsicht am besten, so dass nur noch dieses
Schienenprofil für später in Aussicht genommen ist. Alle anderen
Anordnungen taugen strassenbautechnisch weniger und können auch
nichts taugen, weil auch hier der Grundsatz gilt: „Der Schwache
muss dem Starken weichen!" Dafür darf aber fernerhin kein Geld
mehr aufgewendet werden, damit der schwache und starre Baukörper
(Beton) sogar auch in denjenigen Teilen von dem starken elastischen
Baukörper (Schiene) zerstört wird, welche gar nicht an der Ober-
fläche liegen und infolgedessen dem Verschleiss durch Verkehr nicht
direkt ausgesetzt sind!
II. Pflege der Strassen.
1. Verbesserung hygienisch verwerflicher
Strassendecken.
Nur in den Landhausvierteln sind die durchweg chaussierten
Fahrbahnen einer Verbesserung bis jetzt noch nicht unterzogen
worden. Sie unterliegen ja in diesen ruhigen und vornehmen Wohn-
strassen sehr wenig dem Lokalverkehr und noch weniger dem Durch-
gangsverkehr und gegebenenfalls verkehren hauptsächlich nur leichtere
Fuhrwerke in ihnen; ein geringer Verschleiss der Flächen ist die
Folge davon, so dass die Haltbarkeit der Decken oft über 10 Jahre
hinaus sich erstreckt und die höchstens alle paar Jahre notwendig
werdende Unterhaltung sich nur auf Beseitigung einzelner Schlag-
84 ScHeuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
löcher erstreckt. Die atmosphärischen Einflüsse wirken mehr auf sie
ein ; die Sonnenstrahlen trocknen die Decke aus ; Staub wird erzeugt,
welchen der Wind in die Nachbarschaft weiter trägt und welcher
die an Ruhe, Reinheit, Kühle und Feuchtigkeit der Luft gewöhnten
Anwohner belästigt; der Regen weicht die Flächen auf und versetzt
sie in einen schmutzigen Zustand, welcher auch für den Fussgänger-
verkehr insofern lästig ist, als durch diesen der Schmutz der Fahr-
bahnen an den Strassenübergängen auf die Gehwege und damit in
die Wohnungen verschleppt wird.
Westrumitierung. Um diesen Missständen in gesundheits-
technischer Hinsicht auch für die Fahrbahnen in den ruhigen und
verkehrsarmen Landhausstrassen zu begegnen und die atmosphärischen
Einflüsse auf den Bestand der Fahrbahndecken zu verringern, die
Geräuschlosigkeit derselben aber unter allen Umständen gleich-
zeitig ohne bauliche Umwälzungen zu erhalten, wurden bereits
verschiedene Versuche auch in Wiesbaden gemacht. Leider sind die
hierzu verwendeten Mittel über das Stadium des Versuchs nicht
herausgekommen : die Westrumitierung der Flächen hat sich als nicht
nachhaltig erwiesen. Wenn auch eine Staub Verminderung vorüber-
gehend erzielt worden ist, so machte sich später ein unangenehmer
Geruch bemerkbar, der den Anwohnern, sowie den Spaziergängern
Anlass zu Beschwerden gab, so dass die weitere Anwendung dieses
viel zu teuren und viel zu wenig wirklich verbessernden Mittels
aufgegeben wurde. Auffallend war auch, dass diese im Nerotal ver-
suchsweise westrumitierte Fahrbahnfläche eine Menge Fliegen anzog.
Teerung. Auch die Versuche, eine „Verhärterung" der Ober-
fläche unter Erhaltung ihrer Geräuschlosigkeit durch Teerung zu
erzielen, sind zum grössten Teil fehl geschlagen; sie hat sich auf
chaussierten Fahrbahnen überhaupt nicht, auf Kiesflächen nur in
geringem Umfang bewährt, obwohl die Versuchsflächen nur in ganz
geringen Steigungen liegen. Für steigende Flächen wurde selbst der
Versuch von vornherein als aussichtslos erachtet; es wurde auch
befürchtet, dass derartig steigende Oberflächen glatt und schlüpfrig,
mithin verkehrsgefährlich werden könnten. Es entstand nebenbei
für die Anwohnerschaft eine Geruchsbelästigung bald nach der
Teerung, welche mitunter noch Wochen lang anhielt.
Die grosse Abhängigkeit von trockenem Wetter zur Erzielung
sonnendurchwärmter und tiefausgetrockneter Decken ist ein Haupt-
übelstand für die Anwendung des Teerverfahrens zur „Verhärterung"
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 85
von Oberflächen chaussierter Fahrbahnen von Stadtstrassen, welche
nicht so wie die weit verkehrsärmeren Landstrassen frei dem Winde
und der Sonne ausgesetzt sind und auch fortwährend durch Sprengen
kühl und feucht gehalten werden müssen; dazu kommt noch für
Wiesbaden als weitere ungünstige Tatsache in Betracht, dass der
Strassenboden wasserundurchlässig ist und infolgedessen die Feuchtig-
keit in Unterbau und Decke naturgemäß länger vorhält, zumal die Stück-
steine des Unterbaues aus wassersaugendem Taunusschiefer bestehen.
Teermakadam. Trotz dieser Misserfolge beim Teeren soll
eine Verbesserung der chaussierten Fahrbahnen in den Landhaus-
vierteln unter Erhaltung der Geräuschlosigkeit auf andere Art an-
gestrebt werden ; Staub und Schmutz muss auch aus ihnen unbedingt
heraus ! In neuerer Zeit hat sich lebhaftes Interesse für die Anwendung
des Teermakadams auch in den deutschen Städten bekundet, nachdem auf
die Erfolge in England die Aufmerksamkeit allgemein gelenkt worden
ist. Englischen Einrichtungen folgend, will nun eine mit der Stadt
Wiesbaden in mehrfachen Verträgen stehende Gesellschaft, einer
Anregung des Verfassers folgend, ein eigenes Teerschotterwerk ein-
richten und von 1909 ab Teerschotter und Teerstücksteine liefern.
Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass die Behandlung der
chaussierten Strassen auch hier von Erfolg begleitet sein wird, wenn
geeignete Witterungsverhältnisse die Ausführung begünstigen; aller-
dings können alsdann nur solche Fahrbahnen verbessert werden,
welche in nicht zu steilen Landhausstrassen liegen. Als Grenze
hierfür ist vorläufig 4^/q angenommen.
^ 2. Strassenunterhaltung.
Der Buchwert der in die Stadtstrassen eingebauten Strassenkörper,
Unterbau und Decke, beträgt mit Abschluss des Rechnungsjahres 1907
ungefähr 8,35 Millionen Mark, welche sich wie folgt verteilen:
Gehwege mit ca. 493000 qm = 39 o/o Fläche i. Werte von ca. 2,5 Mill. -- 30,0 o/o
Fahrbahnen , , 753000 „ = 590/o „ , , , , 5,82 , =. 69,5 o/o
Reitwege , , 25000 „ = 20/o „ , „ „ , 0,03 , = 0,50/o
Sa. 1 271 000 qm=lOOO/o Fläche i. Werte von ca. 8,35 MiU. = 100,00/0
Das Weichbild der Stadt, also die besiedelte Fläche der Gemarkung,
durch welches diese Strassen führen, beträgt zur Zeit ca. 550 ha;
hiervon entfallen auf:
obige Strassenflächen 127 ha
dazu Parkflächen, öffentliche Gartenanlagen . 38 „
Öffentliche, unbebaubare Flächen . . 165 „
Demnach reine Baublockflächen . . 385 ha.
86 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
Das Weichbild der einzelnen Landhausviertel nehmen von obigen
550 ha 310 ha, also 57®/q des gesamten Weichbildes ein, während die
Strassen- und Parkflächen zusammen 30 ^/q des Weichbildes ausmachen.
Aus diesen beiden Prozentsätzen dürfte schon allein zu folgern
sein, wie licht- und luftreich das Häusermeer beschaffen ist. Dazu
kommt noch, dass ausser den grossen Pflanzflächen innerhalb der,
Baublöcke in den einzelnen Landhausvierteln auch noch zahlreiche
Strassen in der Altstadt und dem Aussenring der geschlossenen
Bauweise vorhanden sind, an welche Pflanzflächen entweder in Form
öffentlicher Gärten oder von Vorgärten angrenzen.
Dieses, gegenwärtig vorhandene, Strassenareal wird mit der
grössten Sorgfalt ständig so gepflegt, wie es wirtschaftlich vertreten
werden kann und hygienisch vertreten werden muss. Es wird haupt-
sächlich auf Ausrottung aller derjenigen Strassendecken hingearbeitet,
welche rasch verschleissbare und leicht zerstreubare Baustoffe enthalten
und demnach die besten Erzeuger für Staub und Schmutz sind.
Daneben gilt es auch, bei Erneuerung von Decken die Verminderung
des Geräusches tunlichst zu berücksichtigen. Allerdings sind bei
diesen Umbauten auch Gründe der Wirtschaftlichkeit nicht ausser
acht zu lassen und nebenbei, wie schon mehrfach erwähnt, auch die
welligen und hügeligen Terrainverhältnisse neben dem schlechten
Strassenboden ausschlaggebend.
Nachstehende Tabelle (Seite 87) gibt eine Übersicht, auf welche
hygienische Basis durch Neuanlagen und Umbauten von Strassen das
Strassenareal zur Zeit gebracht ist.
Aus den Prozentsätzen dürfte ohne weiteres zu folgern sein,
dass die Beschaffenheit der Fahrbahnen in hygienischer Hinsicht ein
recht befriedigendes Ergebnis zur Zeit hat. Die noch vorhandenen
Chaussierungen liegen jetzt nur noch in Wohnhausstrassen oder sonst
verkehrsarmen Strassen und können meist wegen zu grosser Steigung
nicht durch eine andere geräuschlose Decke vorläufig ersetzt werden.
Auch für das Areal der Gehwege dürfte der Abschluss in
hygienischer Hinsicht befriedigen; denn die fugenlosen und ebenen
Deckenflächen machen den grössten Prozentsatz aus und werden
durch allmähliche Beseitigung der Natursteinplatten noch vermehrt
werden. Die Kiesflächen sind allerdings in einer erheblichen Anzahl
vertreten, liegen aber meist in verkehrsarmen Gehwegen der Aussen-
bezirke, während im Innern der Stadt fortwährend durch Umbauten,
hauptsächlich von Strassenpromenaden daran gearbeitet wird, dass
ein grosser Teil der Kiesflächen mit der Zeit durch Mosaik ersetzt wird.
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
87
1
2
3
4
In hygienischer Hinsicht
gute
mittelmäßige verwerfliche |
Summa
S
IT*] är h ATI xirArf.
1
Jz;
bezw.
Deckenflächen in qm i
md zwar
'S
i
Deckenbefestigüng
eben,
uneben
rasch ver-
U
^
fugenlos
oder
fugenarm
und
fugenreich
schleissbar
und leicht
verstreubar
qm
%
A. Gehwege
1
Kies
—
145 200
145 200
30
2
Natursteinplatten
—
108 300
—
3
Mosaik ....
45 600
4
Gekuppte Zement-
163 400
33
und Tonplatten
—
9 500
—
5
Granitbordsteine .
36 600
—
—
6
Gussasphalt . .
132 500
—
—
7
BasUltin. . . .
8 800
—
—
184200
37
8
Gusszement . .
5 900
—
—
9
Zementrinnen . .
400
—
—
1-9
Sa. A. Gehwege
184200
. 163 400
145 200
492 800
100
B. Fahrbahnen
10
Chaussierung . .
—
-—
255 000
255 000
34
u
Grosspflaster . .
—
356 500
—
1435 500
58
12
Kleinpflaster . .
—
79000
—
13
Gussasphalt . .
4900
—
—
14
Stampfasphalt
40 000
—
—
1 62 200
8
15
Holzpflaster . .
17 700
—
—
10-15
Sa. B.Fahrbahnen
62 600
435 500
255 000
753 100
100
Hygienisch verwerfliche Decken weisen sich als solche in jedem
Rechnungsjahre selbst aus: Sie beanspruchen die meisten anteiligen
Kosten bei der Strassenunterhaltung durch die fortgesetzte, erhebliche
Aufwendung an Baumaterialien, Arbeitslöhnen und Fuhrlöhnen.
Derartige, demnach zugleich auch unwirtschaftliche Flächen werden
nach und nach durch Umbauten beseitigt und dadurch gleichzeitig
hygienisch einwandfreiere Verhältnisse neben stetiger Verringerung
der Unterhaltungskosten geschaffen.
88
Sc heuermann, Anlage nnd Pflege der Strassen.
In nachfolgender Tabelle ist nachgewiesen, dass hygienisch
einwandfreie Fahrbahnen, das sind solche mit gerauschlosen Decken,
recht gut von vornherein zur Ausführung konunen können und
den Vorzug vor denjenigen mit geräuschvollen Decken wirklich
verdienen, wenn auch die Kosten der Ausführung sich höher stellen.
In einem Zeiträume von 40 Jahren bleiben sie in den Gesamtausgaben
sogar billiger, so dass die Anwendung dieser geräuschlosen Fahr-
bahnen, wenn nicht schon beim Neubau, so doch beim Umbau einer
Fahrbahn auch aus wirtschaftlichen Gründen unter allen Umständen
?u rechtfertigen ist. Diese Tatsache ist vom gesundheitstechnischen
Standpunkte doch sehr zu begrüssen, nachdem bei dem ständig zu-
nehmenden Strassenverkehr das Bedürfnis nach geräuschlosen Fahr-
bahndecken stetig grösser wird.
1
2
3
4
b
Kapitalaufwand
o
B
B
1
J
Befestigungsarter
i
pro qm mit Zinseszins für
a)
Herstellung
mit Unterbau
b)
' Herstellung i nach
iünterhaltung 40
1 Erneuerung ) Jahren
Wirtschaftliche
Verwendung
in
M.;Pf.jo/o |W
■ M. 1 Pf. 1 o/o
W
1
Chaossierung . .
o
o
3 60= 16 1
72 i 20 38
1
; 1
Verkehrsarmen
LandhansstTMaen
oder Waldfalir-
Strassen
2
Hartgussasphalt .
p
15 30 70 5
118 10 62
4
Verkehrsstrassen
3
Stampfasphalt .
13 50 61 4
, 121 80 64
1 5
♦)
4
Chaussierung . .
'i
3 60 16 2
125 40 66
; 7
Nicht mehr in
Verkehrsstrassen.
5
Hartholz . . .
1
22- 100 11
147 50 78
10
*)
6
Weichholz . . .
c
16 — ; 73 7
189 80 ! 100
' 11
*)
7
Kleinpflaster . .
c
9 90 45 3
75 10 1 40
' 2
Überpflastemng
von chanssierten
4
8
Basalt ....
15 80 i 72, 6
i 1
104 60
55
3
Flachen Wohn-
strassen der
AussenyierteL
9
10
Schwed. Granit .
Deutscher Granit
?
^
1
18 50, 84 9
1
19 20' 87 10
\ 122 1 20 i 64
1
126 70 '; 67
6
8
\ Vorortstrassen
1 oder Hanpt-
1 verkehrsstrassen
J in den Anssen-
vierteln.
11
Melaphyr . . .
16 30, 74 8
; 135 1 10 : 71
9
Steigenden Wohn-
strassen der
1
Anssenviertel.
*) Hauptverkehrsstrassen oder Prachtstrassen der Innenstadt.
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 89
Es wird ständig dafür gesorgt, dass die ebenen Oberflächen
auch so erhalten bleiben, so dass keine Mulden entstehen können^
welche alsdann als Sanunler für Wasser, Staub, Schmutz oder Tier-
auswürfe dienen und sich durch den Verkehr Krankheitskeime alsdann
auf Mensch und Tier von hier aus leicht übertragen können.
Auf die Erhaltung der Ebenheit der Oberfläche der Gehwege
wird noch mehr Wert wie auf die der Fahrbahnen gelegt, da hier —
besonders in den lebhaften Stadtstrassen — bei dem grossen und
stetigen Fremdenverkehr am meisten Verkehrsstaub erzeugt wird.
Auch für gute Entwässerung der Fahrbahn- und Gehwegflächen
wird ständig gesorgt; da die Strassen meist in Steigungen liegen, ist
ja an und für sich ein rascher Abzug des Wassers gewährleistet.
Wo sich aber bei flachen Strassen durch spärliche Zahl der Strassen-
Sinkkästen Wasseransammlungen bilden, werden diese entsprechend
vermehrt; dies geschieht in erster Linie bei Decken aus Stampf-
asphaltfahrbahnen, wo bei Stehenbleiben des Wassers in den verkehrs-
armen Rinnen ein Faulen des Asphaltes allmählich herbeigeführt wird.
3. Strassenreinigung.
Die Strassenreinigung liegt nach einer Gassenreinigungsordnung
vom Jahr 1778 den Anliegern bis zur Mitte der Fahrbahnen ob ;
anfangs der neunziger Jahre, als in Wiesbaden durch stetiges Empor-
streben zur Grossstadt der Verkehr mit jedem Jahre wuchs, übernahm
die Stadtverwaltung freiwillig die Reinigung der Fahrbahnen bis auf
weiteres. Die Verpflichtung der Anlieger bleibt aber vor wie nach
bis zur Fahrbahnmitte bestehen, und die Reinigung der Fahrbahnen
wird aus allgemeinen Mitteln durch die Steuerumlage gedeckt.
Nach Beseitigung der vielen chaussierten Fahrbahnen mit starkem
und mittlerem Verkehr durch Überpflasterung mit Grosspflaster oder
Kleinpflaster oder durch Einführung geräuschloser Decken in den
letzten 10 Jahren konnte das ganze Reinigungswesen endgültig ge-
ordnet werden. Die Hauptreinigung sämtlicher Fahrbahnen findet
bei Nacht statt, also in der verkehrslosen Zeit, wo mit Maschinen
und Pferden und dadurch mit technisch möglichster Beschränkung
der unwirtschaftlichen Handarbeit der grösste Reinigungseffekt auf
billigste und hygienisch vollkommenste Weise erzielt werden kann.
Diese Hauptreinigung zur Nacht beginnt mit Monat März und endet
mit Monat Oktober, findet also zu einer Zeit statt, wo der Verkehr
und die Anzahl der trockenen und Staub erzeugenden Tage am
grössten ist. Jede Nacht werden die Fahrbahnen mit ebenen Decken
90 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
mittelst Spülmaschinen gereinigt, während die Fahrbahnen aus Reihen-
lileinpflaster oder Grosspflaster zwei-, drei- oder viermal in der Woche
mittelst gewöhnlicher Kehrmaschinen bei voraufgehenden Giesswagen
^gesäubert werden, je nachdem die Strassen dem Hauptverkehr oder
mittleren Verkehr dienen oder nur reine Wohnstrassen sind. Aus-
genommen von der Nachtreinigung sind die chaussierten Fahrbahnen,
welche jetzt nur noch zu reinen Wohnstrassen, d. h. verkehrsarmen
Strassen gehören, so dass die Reinigung am Tage durch Arbeiter
mit Besen vollauf genügt.
Ferner hat neuerdings die Stadtverwaltung die Reinigung auch
von Gehwegen freiwillig ohne Heranziehung der Anlieger übernommen,
so weit das Kurinteresse der Stadt in Betracht kommt. So werden
seit einem Jahr die Gehwege, auf welchen der Fremdenverkehr sich
hauptsächlich abwickelt, in der Wilhelmstrasse, Taunusstrasse,
Elisabethenstrasse, Rheinstrasse, je nach Bedürfiiis und immer in der
Nacht vor Sonn- und Feiertagen durch eine Arbeiterkolonne mit
Handschlauch direkt abgespritzt.
Ebenso wie die Ergänzungsreinigung bei Tag wird auch die
Reinigung der Strassensinkkästen in der frostfreien Jahreszeit
vorgenommen. 2 Arbeiterkolonnen mit je 3 Mann mit einpferdigen
Schlammwagen haben dafür zu sorgen, dass die Strassensinkkästen
dem Bedürfnis entsprechend fortwährend von festen Stoffen befreit
werden und dass die Entleerung derselben ohne jede Geruchsbelästigung
und ohne Lärm vor sich geht.
Der Schnee wird unter Verstärkung der Arbeiterschaft der
Strassenreinigung durch ständige Arbeiter anderer Betriebsgruppen
rasch und billig von den Fahrbahnen beseitigt, nachdem die Anlieger
^emäß Strassenpolizeiverordnung den Schnee von den Bürgersteigen
nach den Fahrbahnen zeitig geschaufelt haben; der Schnee wird in
-die nächstliegenden Kanalschächte eingeworfen, welche besonders
hierzu freigegeben werden bezw. ausgerüstet sind.
Zeitig im Herbst werden im ganzen Weichbild der Stadt an
verkehrsarmen Strassenstellen Sandkästen aufgestellt und diese mit
Flusssand gefüllt, um die Verkehrssicherheit für Mensch und Tier
auf den Strassenübergängen und den ebenen Fahrbahnflächen in der
Frost- und Eiszeit zu erhalten.
Im Winter, als der verkehrsärmeren und durchweg feuchten
Zeit ruht die Nachtreinigung ganz; je nach Bedarf werden alsdann
•die Strassenfahrbahnen am Tage über mit Sprengwagen oder durch
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 91
Schlauch gewaschen oder abgespült. Die lösende Wirkung der Nieder-
schläge wird hierbei ausgenutzt bezw. verstärkt.
Jahraus jahrein unterliegen die Fahrbahnen am Tage über einer
Ergänzungsreinigung, um sie von zufälliger Beschmutzung ständig zu
befreien. In Hauptverkehrsstrassen sind 60 Streckenwärter als Einzel-
arbeiter aufgestellt; je nachdem es das Bedürfiiis erheischt, arbeitet
in diesen Strassen auch am Tage alsdann die Kehrmaschine. Weiter
ist das ganze Strassennetz in 10 einzelne Bezirke eingeteilt, welche
Kehrkolonnen von je 7 Mann durchstreifen und dabei die Einzel-
kehrer unterstützen bezw. sie ständig überholen.
Der in den Handkarren gesammelte Unrat wird von den Einzel-
kehrern in Kehrichtgruben, welche an die Kanalisation angeschlossen
und im ganzen Weichbilde der Stadt an verkehrslosen Stellen der
Oehwege eingebaut sind, geschüttet. Die Pferdekarren, welche die
Kolonnen begleiten, leeren die Gruben nach Bedarf aus. So ist auch
hierbei dafür gesorgt, dass der Unrat rasch und ohne Geruch be-
seitigt wird.
Sowohl für die Hauptreinigung bei Nacht als die Ergänzungs-
reinigung bei Tag ist Feuchtkehren durchweg vorgeschrieben; das
Abkehren vorher nicht benetzter Flächen, einerlei, ob nachher eine
Maschine oder ein oder mehrere Arbeiter mit Besen darüber gehen,
ist bei Strafe verboten.
Die Hauptreinigung bei Nacht ist durch die Anwendung von
Maschinen und Pferden rasch, billig und hygienisch einwandfrei mit
nur wenigen Arbeitern durchzuführen; bei der Ergänzungsreinigung
am Tag ist dies leider nicht der Fall. Es fehlen bis jetzt derartige
Maschinen, welche die hygienisch verwerfliche und dabei unwirt-
schaftliche Handarbeit mit primitiven Werkzeugen auch am Tage
beseitigen könnte. Stadtverwaltungen, wie Wiesbaden, wo die Stei-
gungen der Strassen die Anwendung von ebenen und geräuschlosen
Fahrbahnflächen so wenig aufkommen lassen, empfinden besonders
hart, dass die Reinigungsverhältnisse am Tage weder hygienisch ver-
bessert noch technisch verbilligt werden können.
Wenn auch ein grosser Teil der Staub und Schmutz bildenden
Flächen, hauptsächlich der chaussierten Fahrbahnen innerhalb der
letztern 4 bis 5 Jahre verschwunden ist, so ist doch die weitere zu-
fällige Beschmutzung, hauptsächlich durch Pferde, bestehen geblieben,
ja sogar nachweislich stetig gewachsen. Neben der Vermehrung der
Equipagen infolge des stetigen Zuzugs von Herrschaften mit eigenem
92 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
Marstall haben auch die Lastfuhrwerke sich ständig vermehrt, da die
Bautätigkeit in den Strassenerweiterungsgebieten in den letzten Jahren
sehr rege gewesen ist. Wenn auch scharfe Bestimmungen der Strassen-
polizeiverordnung erlassen sind, um zu verhüten, dass beim Transport;
loses Ladegut verloren geht und die Strassen beschmutzt, so lässt
sich die Beschmutzung bei der lehmigen Beschaffenheit des Strassen-
bodens und des Baugrundes doch nicht ganz vermeiden.
Alle Werkzeuge, Geräte, Maschinen, welche für die Haupt-
reinigung angewendet werden, sind so eingerichtet und werden in
dieser Hinsicht ständig so verbessert, dass die Reinigung rasch,
intensiv und dabei geräuschlos durchgeführt werden kann. Deshalb
werden auch für die Ergänzungsreinigung am Tag nur noch voll-
wertige -Arbeiter angenommen und die von der Armenverwaltung^
überwiesenen Arbeiter nach und nach abgestossen. Zur Verminderung^
der Staubaufwirbelung, hauptsächlich im Frühjahrund Herbst, werden
durchweg Rosshaarbesen von 70 cm Breite für das Reinigen von
fugenlosen, ebenen Flächen verwendet; Reiserbesen und Piassava-
besen werden hauptsächlich zur Beseitigung des Pferdemistes auf
fugenreichen und weniger ebenen Fahrbahndecken verwendet, weil
der Mist aus den Fugen besser durch rauhere Borsten herausgeschafft
werden kann. Die Besenhölzer sind dementsprechend noch besonders-
mit Fugenkratzern armiert. Die in der Nacht arbeitenden Spül- und
Kehrmaschinen sind so eingerichtet, dass möglichst wenig Leerfahrten
entstehen, in der Arbeitsstunde also recht viele Quadratmeter zur
Reinigung kommen können.
Je öfter ein und dieselbe Verkehrsfläche bestrichen werden
kann, um so grösser ist die Intensität der Reinigung und um so
mehr wird demnach den Forderungen der Hygiene in bezug auf den
Grad der Reinheit der Verkehrsfläche entsprochen.
4. Strassenbesprengung.
In Wiesbaden setzt die Wärme früh ein und früher wie sonstwa
erwachen Bäume, Sträucher und Pflanzen aus ihrem Winterschlaf.
Der Märzstaub belebt die Strassen schon in den ersten Tagen des
Monats. Es muss daher mit der Besprengung der Strassen schon
im frühesten Frühjahr begonnen und es kann erst mit Ablauf des-
Herbstes aufgehört werden. Die Sprengwagen verkehren in dieser
Zeit von morgens früh bis abends spät ununterbrochen auch an
Sonn- und Feiertagen. Auch hier ist die Bauart der Wagen so-
Tafel 32,
c
bß
bß
C
D-
(L>
C
C
3
QJ
C/3
C/3
o
O
Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 93
durchgeführt, dass in der kürzesten Zeit recht viel Flächen zur
Besprengung kommen und. hierbei tunlichst wenig Fahrgeräusch
entsteht.
An Stelle von früheren rasselnden Turbinenwagen mit grosser
Sprengbreite und weniger geräuschvollen Brauserohr wagen mit geringer
Sprengbreite, wobei die Räder auf Stossachsen liefen, sind jetzt
durchweg hohe Düsen wagen eingeführt, deren Räder in sog. Patent-
achsen geräuschlos in Ol, also sehr leicht laufen. Es verkehren
deshalb bei dem bergigen Gelände Wagen mit 2500 1 Wasserfüllung,
ohne däss die Pferde hierbei überanstrengt werden. Tafel 32 ver-
anschaulicht den Unterschied zwischen der alten unwirtschaftlichen
und der neuen wirtschaftlichen Bauart. Sie sind in der Sprengweite
dreifach verstellbar, so dass je nach der Breite der Fahrbahn schon
beim erstmaligen Durchfahren die ganze Breite derselben und zwar
bis zu 10 m benetzt werden kann. In jedem Sprengbezirk — welcher
tunlichst mit einem Zweigdepot zur Verminderung der Leerfahrten
ausgerüstet ist — kann demnach innerhalb der vorgeschriebenen
Arbeitsstunden rasch und oft gesprengt werden. Es ist überall
dadurch möglich, dass unter Aufwendung der geringsten Kosten die
Fahrbahnflächen sich stets in einem fugenfeuchten Zustande befinden.
Staubbildung kann sonach nur schwer aufkommen, was bei dem
starken Verkehr der Automobile auch nicht sein darf, wenn der
übrige Verkehr auf der Strasse nicht in Mitleidenschaft gezogen
werden soll.
Es werden nicht allein di« Fahrbahnen besprengt, sondern auch
die Reitwege und die Mittelpromenaden der Hauptstrassen, sowie die
Schulhöfe. Ihre Bauart verträgt es, dass die Sprengwagen über die
Kiesflächen und auf den Reitwegen ohne nachteilige Folgen für
deren Bestand verkehren könneji. Die reichliche Besprengung dieser
gierig wasseraufnehmenden Nutzflächen trägt ebenso zur Kühlhaltung
am Tage und rascheren Abkühlung am Abend für den Strassenluft-
körper bei, wie die baumlosen und ebenfalls der Besprengung ständig
unterworfenen Pflanz- und Zierflächen.
Schluss.
Dem früher sehr häufig verbreiteten Gerücht, in Wiesbaden
sei es zu heiss und zu staubig, ist infolge Beseitigung rasch
verschleissbarer und leicht verstreubarer Baustoffe aus den Decken der
Verkehrsflächen, nach Ersatz fugenreicher und unebener Fahrbahnen
durch ebene und fugenlose oder fugenarme, sowie nach Einführung
94 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen.
ständiger Reinigung und fortwährenden Feuchthaltens der Verkehrs*
flächen gründlich und anscheinend auch mit Erfolg der Boden ent-
zogen worden. Soweit nicht die waldreiche Umgebung Wiesbaden»
von Natur aus daflir sorgt, dass das Weichbild der Stadt ständig
abgekühlt wird und so bleibt, ist die Stadtverwaltung auch stets
bemüht, in Nachahmung dieser natürlichen Vorzüge bestehende Ein-
richtungen zu verbessern und neue zu schaffen. Hierzu gehört
neben oben erwähnten Maßnahmen auch die Vermehrung der bereits
vorhandenen zahlreichen über das ganze Weichbild verteilten Pflanz-
flächen auf den öffentlichen Verkehrsflächen und innerhalb der Bau-
grundstücke !
E. Bebauungsplan und Bauordnung.
Von Stadtvermessungs-Inspektor Bornhofen.
L Bebauungsplan.
Der Bebauungsplan enthält die amtliche und urkundliche Be-
stimmung der zu bebauenden und der als Strassen, Plätze und
gärtnerische Anlagen freizuhaltenden Flächen eines Gemeindegebietes,
d. h. er veranschaulicht die zukünftige Ausdehnung einer Stadt und
gibt Auskunft über die Entwickelung des Verkehrs, den Schutz der
öflFentlichen Gesundheit und auch die Regelung eines Teils der
Wohnungsfrage.
Bis Ende 1880 bestand ein General-Bebauungsplan nicht. Man
hatte dem augenblicklichen Bedtirfiiis Rechnung tragend, Flucht-
linienpläne für kleinere und getrennt liegende Gebietsteile festgesetzt,
ein nicht nachahmenswertes Verfahren, bei welchem die notwendigen
Forderungen eines Bebauungsplanes selten zu ihrem Rechte kommen.
Anfangs der neunziger Jahre schritt man auf der Grundlage eines
von Professor Baumeister-Karlsruhe erstatteten Gutachtens zur
Bearbeitung eines Bebauungsplanes, der sich auf das ganze Stadtgebiet
bis in die Vororte erstreckte. Das Gutachten mit seinen allgemeinen
Leitsätzen, die hier gemachten Erfahrungen und die auf der Wissen-
schaft des Städtebaus beruhenden Regeln gaben die Richtschnur für
die jetzt nahezu zu Ende geführte Bearbeitung der Spezialflucht-
linienpläne.
Der innere ältere Stadtkern, zugleich das Thermalgebiet in sich
schliessend, bildet, begrenzt durch die Rhein-, Wilhelm-, Taunus-, Röder-
und Schwalbacher Strasse, das sog. historische Fünfeck, an das sich
nach Norden, Osten und Südosten die älteren Landhausgebiete
anschliessen. Die Erweiterungen aus der Mitte der siebziger und
achtziger Jahre sind südlich und westlich des Fünfecks zu finden,
woselbst jenseits der Ringstrasse auch heute noch die Bautätigkeit
ihr grösstes Arbeitsgebiet hat.
96 Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung.
Auch in dem älteren Stadtteil sind, was Verkehr und öffent-
liche Gesundheit betrifft, Verbesserungen getroffen worden, welche
der Stadtgemeinde grosse finanzielle Opfer aufbürdeten, beispielsweise
■die Anlage der Mauritiusstrasse, die Durchführung der Langgasse
bis zur Taunusstrasse, die Erbreiterung der Langgasse an vielen
Stellen, die Erbreiterung der Metzgergasse und Hochstätte, die Er-
breiterung und Fortsetzung der Schützenhof- (jetzt Coulin-) Strasse
bis zur Webergasse.
Als Hauptverkehrsstrassen durften bisher die Vorortstrassen
Emser, Dotzheimer, Schiersteiner, Biebricher, Mainzer, Frankfurter
und Bierstadter Strasse mit ihren Weiterführungen in das Stadt-
innere angesehen werden.
Die wichtigste Aufgabe des neuen Bebauungsplanes war die
Schaffung zweckmäßiger Stadtverkehrsstrassen, die Tracierung der
Zugänge nach den Höhen durch bequeme Auffahrtstrassen von nicht
über 5^/2 bis 6 ^/q Steigung und die Projektierung schöner, mit
breiten Vorgärten versehener Wohnstrassen bei Femhalten alles
Schematischen.
Wir nennen als Beispiele:
a) Stadtverkehrsstrassen:
Kaiserstrasse, Odenwaldstrasse, zweite Ringstrasse von Adolfs-
höhe über Schiersteiner und Dotzheimer Strasse bis in das Wellritztal,
Frauenlobstrasse, Klopstockstrasse, Wielandstrasse, Niederwaldstrasse
und ihre Fortsetzung, Rheingauer Strasse, Klarenthaler Strasse, Zieten-
ring etc.
b) Auffahrten nach den Höhen:
Riederbergstrasse nach der Höhe der Platter Strasse, Wilhelminen-
strasse nach der oberen Platter Strasse, Weinbergstrasse nach der
Höhe des Nerobergs, Rosseistrasse nach der Geisberghöhe, Schleifen-
strasse durch das Paulinenschlösschen, zwei Strassen von der Sonnen-
berger Strasse nach der Idsteiner Strasse und der Höhe des Rettungs-
hauses und Geisberges, Strasse von der Sonnenberger zur Bierstadter
und Frankfurter Strasse u. a. m.
Auch die Festsetzung von freienPlätzen für Verkehr,
Erholung und Aussicht ist dabei nicht vergessen worden. Die
neueren Stadtteile sind reichlicher damit bedacht wie die älteren.
Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 97
Verkehrsplätze :
Kaiser -(Bahnhof-) Platz, Cecilienplatz, Germaniaplatz, Elsässer
Platz, Lothringer Platz, Waterlooplatz, Platz vor dem Schlachthaus.
Erholungsplätze :
Gutenbergplatz, Luxemburgplatz, Platz im Distrikt Schiersteiner
Lach, Platz bei den neuen Kasernen, Platz im Distrikt Atzelberg,
Hohenloheplatz und Langenbeckplatz.
Aussichtsplätze :
Platz an der verlängerten ^ Wilhelminenstrasse, zwei Plätze auf
der Geisberghöhe, Platz auf dem Bierstadter Berg.
Die Strassenbreiten stufen sich ab, von 45 bis 10 m je nach
Art der Strasse, ob Luxus-, ob Verkehrs- oder Wohnstrasse; immer
galt es Rücksichtnahme auf eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr.
Auffallend ist die häufige Anwendung von breiten Vorgärten, die nicht
nur dem Strassenbild zu einem abwechslungsreicheren und freund-
licheren Aussehen verhelfen, sondern bezüglich Zuführung von Luft
und Licht in die einzelnen Wohnungen einem Idealzustand nahe
kommen. Die Mindestbreite eines Vorgartens ist 5,00 m.
Die Strassenlängsgefälle sind trotz des mitunter stark geneigten
Geländes durchweg in mäßigen Grenzen gehalten.
Zuführung frischer, kühler Waldluft bis in die .
Stadtmitte.
Wiesbaden, an den Ausläufern des reichbewaldeten Taunus
gelegen, ist durch die vorgelagerte Gebirgskette gegen rauhe Winde
und Stürme aus Nordosten gut geschützt. Die von Nordwesten,
dem Walde, herkommenden Täler, welche fast bis ins Innere der
Stadt ziehen, bahnen den kühleren und daher schwereren Luft-
schichten namentlich von abends bis morgens den Weg in die Stadt
hinein und sorgen so für beständige Zufuhr neuer Luft und Rein-
haltung der Atmosphäre. In richtiger Erkenntnis der Bedeutung
dieser natürlichen Luftzufuhrwege entzog man diese Täler (Tennelbach-,
Dambach-, Nero-, Walkmühl- und Wellritztal) durch Fluchtlinien-
pläne der Bebaubarkeit und bestimmte sie zu gärtnerischen Anlagen.
Damit ist auch der Gartenkunst bei der Stadterweiterung ein sehr
grosses Arbeitsfeld eingeräumt. Das Nero- und Dambachtal bilden
im Schmuck ihrer gärtnerischen Anlagen schon jetzt eine Zierde
der Stadt. Die andern Täler harren noch der Ausführung. Das
Walkmühltal ist bereits enteignet, das Enteignungsverfahren für das
Tennelbachtal ist eingeleitet.
7
98
Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung.
IL Bauordnung.
Den Bebauungsplan gewissermaßen ergänzend besteht eine
Baupolizei-Verordnung, die in der jetzigen Fassung seit dem
7. Februar 1905 für den ganzen Stadtkreis Geltung hat. Bauordnungen
sollen ausser den Bestimmungen über die Standfestigkeit und die
Feuersicherheit auch im Interesse der öffentlichen Gesundheit die
Grenze der zulässigen wirtschaftlichen und baulichen Ausnützung des
Bodens angeben. Sie bedeuten daher grundsätzlich immer eine
Eigentumsbeschränkung, welche aber in den verschiedenen Städten
sehr verschieden ist.
Die Wiesbadener Bauordnung bringt manches Bemerkenswerte.
Sie regelt durch 7 Bauklassen die Bebauungsdichtigkeit nach dem
Gesichtspunkt, dass diese sich vom Stadtinnem nach Aussen abstuft.
Von den 7 Bauklassen sind 3 für geschlossene und 4 für
offene (Landhaus) Bauweise bestimmt.
Bauklasse I = enge geschlossene Bauweise
„ II = mittlere „ „
„ III = weitere „ „
„ IV = halboffene oder Gruppenbe-
bauung
„ V = enge offene Bauweise . .
„ VI = mittlere „ „ . .
r, VII = weite
^ CD
.^ '^
Sl I
J^ von 19 m.
von 19 m.
von 15 m,
Ausserdem besteht noch eine Bauklasse VIII — Spezialbauweise
— mit besonderen Vorschriften für zwei Baublöcke an der Kaiserstrasse.
Die Einschiebung einer neunten Bauklasse ist in Vorbereitung.
Sie soll im Landhausgebiet an verschiedenen Stellen die JErrichtung
von sogenannten Reihen- oder Einfamilienhäusern mit einem Erd-
und einem Obergeschoss zulassen. Es dürfen nur Vorderhäuser
gebaut werden, die Innengärten sollen ein unbebaubares, nur durch
niedrige Mauern getrenntes Ganzes bilden.
Die Bebauungsdichtigkeit ist eine unterschiedliche.
Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung.
99
Zulässige Gebäudefläche.
Es darf bebaut werden
A. Im geschlossenen Baugehiet.
Baufluchtlinie
erste Zone 6 m breit, Bauklasse I,
II und 111 = 100 o/o
( Bauklasse I =
zweite Zone 26 m breit „ II =
111 =
600/0
550/0
: 40 0/0
1 Bauklasse I
dritte Zone „ II
III
= 50 o/o
= 40 o/o
= 30 0/0
^ .2
OD ^
^ Sä
QQ
ß. im offenen oder Landhatisgebiet.
In Bauklasse IV = 40 ^/o
v = 33,30/,
, VI = 25 0/0
„ VII = 20 0/^
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als
6,0 cbm
Raumes
3,5 cbm
Raumes
3,0 cbm
Raumes
2,5 cbm
Raumes
bebauten
bebauten
bebauten
bebauten
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Erforderliche Mindesthoffläche.
In den geschlossenen Baugebieten kann die unbebaubare Fläche
auf mehrere Höfe verteilt werden mit der Maßgabe, dass alle nicht an
der Strassenfront liegenden, zum dauernden Aufenthalt von Menschen
bestimmten Räume Luft und Licht unmittelbar von einem Haupthof
erhalten müssen, dessen Grundfläche mindestens 80 bezw. 60 qm bei
6 m geringster Abmessung, bezw. 40 qm bei 5 m geringster Ab-
messung beträgt.
100
Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung.
Gebäudehöhe.
Die Höhe der an der Strasse liegenden Gebäude ist abhängig
a) in dem geschlossenen Baugebiet von der Breite zwischen
den Strassen- bezw. Baufluchtlinien und
b) in dem offenen Baugebiet von der Entfernung der
nächsten gegenüberliegenden Nachbargrenze, welche
bei Bauklasse IV nicht unter 3,00 m
y . r, 4,00 „
VI „ „ 5,00,
VII „ „ 6,00 „
betragen darf.
Die Höhe zu b kann eine nochmalige Beschränkung durch den
zulässigen Kubikinhalt des bebauten Raumes erhalten (vergl. oben
zu B).
Schema zun Bestimmung derHöhederl/onden^Bbäude/noeschtossenemBau^ebfei.
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ßaupbietj. Bau^ebietJT BaupbiatM.
Die Höhe für Seitenflügel darf die zulässige Höhe des
Vorderhauses erreichen, jedoch nur bis zu einer Tiefe von 9,00 m
von der Hinterfront an gemessen, sonst gilt die Bestimmung, dass
die Höhe der hinteren Seiten-, Mittel- und Querbauten gleich ist der
Bornhof en, Bebauungsplan und Bauordnung.
101
mittleren, vor ihnen gelegenen Hoftiefe und allgemein das Maß von
15 m nicht überschreitet.
GebäucfBhöhen im offenen Bauoebiet zunächst nun abhän^/ö i/onder
M ernsten Entfernung(Bauw/ch)bis zur Nachbar^nenzB.
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f5 flf SA/ms/ höh»
-Li Grenzabstand.
Anzahl der Geschosse.
In den Bauklassen I und II dürfen die Vorderwohngebäude
niemals mehr als vier, die Seiten- und Hintergebäude nicht mehr als drei
zum dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare Geschosse haben.
Im Baugebiet III dürfen Vorder-, Hinter- und Seitengebäude nicht
mehr als drei zum dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare
Geschosse erhalten. Doch ist es in allen drei Bauklassen zulässig,
ausserdem entweder das Dachgeschoss oder das Keller- (Sockel-)
Geschoss zu Räumen für den dauernden Aufenthalt für Menschen
einzurichten. Wird auch nur einer der Räume im Dach- oder
Kellergeschoss als selbständige Wohnung vermietet und benutzt, so
gilt Dach- oder Kellergeschoss als ein selbständiges, zum dauernden
Aufenthalt benutztes Geschoss.
In den Bauklassen IV bis VII dürfen nicht mehr als 3 zum
dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare Geschosse vorhanden
sein, ausserdem darf in IV bis VI das Dach oder das Kellergeschoss,
in VII das Dach und das Kellergeschoss zu Räumen für den
dauernden Aufenthalt von Menschen eingerichtet werden.
102 Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung.
Die Mindestgeschosshöhe ist 3,00 m im Lichten, die Mindest-
fläche eines Wohn- oder Schlafraumes ist 7,00 qm mit 1,80 m
Mindestbreite.
Die Vorschrift über die Herstellung zweier in gesonderten
Räumen befindlichen Treppen bei Gebäuden, in welchen der Fuss-
boden des obersten Geschosses höher als 8,00 m über der Strasse
liegt, soll gemildert werden.
Die Anlage gewerblicher Grossbetriebe ist nur in zwei sehr
kleinen an die Eisenbahn angrenzenden Bezirken im Süden und
Westen des Stadtgebietes, die Anlage von Kleinbetrieben in zwei
weiteren angrenzenden etwas grösseren Bezirken gestattet, während
im weitaus grössten Teil des Stadtgebietes die Anlage gewerblicher
Betriebsstätten ganz untersagt ist.
Trotz einiger Vorschriften, welche vom Standpunkt des Bau-
unternehmers und Hausbesitzers als Härten bezeichnet werden, und
deren Milderung von ihrer Seite angestrebt wird, kann die Wiesbadener
Baupolizei -Verordnung als ideal angesehen werden; denn sie regelt
die in hygienischer Hinsicht nach den heutigen Anschauungen zu
stellenden Anforderungen in mustergiltiger Weise.
F. Badewesen.
I . Volksbadeanstalten 0.
Von Stadtbauinspektor Berlit.
Sein erstes Volksbrausebad erhielt Wiesbaden im Jahre 1889.
Dieses, mit dem bekannten Lassa raschen achteckigen Grundriss,
blieb mehr als ein Jahrzehnt hindurch das einzige. Im Jahre 1901/02
wurden zwei weitere etwas grössere Anstalten gebaut, von denen
die eine im Kellergeschoss der Töchterschule und die andere in einem
besonders dazu hergestellten Gebäude in der Roonstrasse eingerichtet
ist. Dadurch, dass man in diesen Bädern ausser den Brausebädern
noch Wannenbäder und Sitzbrausebäder eingerichtet hat, trat ein
erheblicher Aufschwung in dem Volksbadewesen ein, wie aus der
nachfolgenden Zusammenstellung hervorgeht.
Zahl der von 1900 ab in den Yolksbadeanstalten verabfolgten Bäder:
Benennung
1900/01
1901/02
1902/03
1903/04
1904/05
1905/06
1906/07
1907/08
Brausebäder .
Sitzbrause-
bäder . .
Wannenbäder
44967
63333
14048
5630
58516
19859
11676
68685
20858
19170
72477
19830
20363
71660
21894
21481
68875
20256
28080
67424
20127
31840
Ges. Summe .
44967
83011
90051
108713
112670
115035
117211
119391
Aus derselben ist zugleich ersichtlich, dass seit einigen Jahren
die Anzahl der abgegebenen Bäder nur wenig gestiegen ist, eine
Erscheinung, die offenbar darauf zurückzuführen ist, dass die be-
treffenden Stadtteile gewissermaßen gemäß der Zahl der die Bäder
hauptsächhch benutzenden Einwohner befriedigt sind. Es ist daher
1) Näheres über Benutzung, Betriebskosten usw. ist in einer jetzt er-
schienenen Denkschrift enthalten, die Interessenten durch das städtische Maschinen-
bauamt erhalten können.
104 Berlit, Volksbadeanstalten.
in diesem Jahre in dem stark bevölkerten Stidviertel ein weiteres
Bad eröffnet worden und im nächsten Jahre soll noch ein Bad für
ein sehr dicht bewohntes Arbeiterviertel im Keller der Gewerbeschule
eingerichtet werden.
Dass Wiesbaden noch kein städtisches Schwimmbad hat, liegt
abgesehen von den ungünstigen Wasserverhältnissen daran, dass eine
durchaus erstklassige Anstalt in dem grossen Augusta- Viktoria-Bad
seit 12 Jahren besteht und im Sommer viele Rheinbäder bei Biebrich
genommen werden; dieser Umstand kann jedoch nicht hindern dem-
nächst auch im bevölkerten Stadtteil ein städtisches Schwimmbad
mit billigen Preisen einzurichten.
Entgegen der in anderen Städten gemachten Beobachtung, dass
ganz überwiegend Brausebäder genommen werden, hat sich hier die
Nachfrage nach Wannenbädern in den letzten Jahren ausserordentlich
verstärkt, sodass nachträglich in den beiden ältesten Bädern einige
Brausezellen in Wannenzellen verwandelt wurden.
Die Anzahl von 118000 Bädern im ganzen Jahr ist allerdings
für eine Stadt mit über 106000 Einwohnern nicht gross, jedoch ist
zu beachten, dass einesteils die Arbeiterbevölkerung nicht gross ist,
anderenteils viele billige Thermalbäder als Reinigungsbäder genommen
werden und drittens, dass auch in verhältnismäßig billigen Wohnungen
sehr oft Badegelegenheit vorhanden ist.
Baubeschreibung.
Die Grösse unserer Anstalten ist durchweg nur so gross
gewählt, dass ein Bademeister mit seiner Frau unter normalen Ver-
hältnissen die Arbeit bewältigen kann und nur an Sonnabenden auf
Hilfeleistung zu rechnen braucht. Da die Bademeister gelernte
Installateure oder Schlosser sein müssen, so führen sie im Sommer
und besonders im Winter bei schwachem Betrieb alle Ausbesserungen
selbst aus. Hierdurch werden die Personalkosten niedrig gehalten.
Nur das Bad in der Roonstrasse ist etwas weitläufiger und ungünstiger
angelegt, so dass sich in diesem auch bei gleicher Bäderzahl die
Personalkosten durch Mehrbereitstellung von Hilfskräften höher stellen.
Die Einrichtung der Bäder entspricht im allgemeinen den auch
sonst üblichen Grundsätzen. Die Wände werden aus glasierten Steinen
hergestellt, der Fussboden aus Terrazzo oder Asphalt. Die Brause-
zellen haben die allgemein üblichen Maße von 1,10 bis 1,30 m
X 2,00 bis 2,25 m mit einer halb vortretenden Zwischenwand zwischen
Ankleide- und Brauseraum ; im Brauseraum ist unter der regulierbaren
B e r 1 i t , Volksbadeanstalten.
105
Brause ein Fussbecken von etwa 25 1 Inhalt. In den Wannenzellen
sind durchweg glasierte Tonbadewannen, da dieselben schneller und
besser zu reinigen sind. Über den Wannen ist eine kalte Brause
OOUVSBBP
angebracht. In der Frauenabteilung ist stets ein besonderer Wannen-
baderaum von zwei Ankleidezellen aus zugänglich gemacht, um bei
einer Wannenbenutzungszeit von 20 Minuten den Frauen im ganzen
40 Minuten für ein Bad zur Verfügung stellen zu können. Die Ein-
richtung hat sich durchaus bewährt und nie zu Beschwerden Ver-
106 Berlit, Volksbadeanstalten.
.anlassung gegeben. Aus dem Grundriss Seite 105 ist die Anordnung
-des neuesten Bades ersichtlich.
Die Erwärmung des Wassers geschieht in grossen Warmwasser-
bereitem und Gegenstromapparaten mittelbar durch Niederdruckdampf,
der für die Wascheinrichtung und im Winter zur Heizung benutzt
wird. In den drei neuesten Bädern sind durch Elektromotor an-
getriebene Wascheinrichtungen eingebaut, bestehend aus Doppel-
trommelwaschmaschine, Zentrifuge, Mangel, sowie Laugenkochfass
und Einweichbottig. Hierdurch wird den Bademeistern so sehr die
Arbeit erleichtert, dass sie noch im Stande sind in ihrer Wäscherei
Handtücher für die Schulen und städtischen Verwaltungsgebäude zu
waschen, wofür natürlich besondere Vergütung erfolgt.
Die Beleuchtung ist in den alten Bädern Gasglühlicht, in dem
neuesten ist sie elektrisch mit grossen Metallfadenlampen.
Betriebsergebnisse.
Die finanziellen Ergebnisse der Bäder sind natürlich wie überall
sehr mäßig, da ein Brausebad einschliesslich Handtuch und Seife mit
12 Pfg., ein Sitzbrausebad mit 15 Pfg. und ein Wannenbad mit
30 Pfg. bezahlt wird. Besonders ungünstig wirkt auf das Ergebnis,
dass 1 cbm Wasser mit 30 Pfg. bezahlt wird, so dass kaum die
Betriebs- und Unterhaltungskosten gedeckt werden und von einer
Verzinsung des Anlagekapitals keine Rede sein kann. Die Benutzung
der sämtlichen Bäder seit dem Jahre 1900 ist bereits oben angegeben
und verteilt sich auf die einzelnen Monate sehr ungleichmäßig, wie
aus der zeichnerischen, die letzten fünf Betriebsjahre umfassenden
nebenstehenden Darstellung hervorgeht. Auch die Benutzung an den
einzelnen Tagen schwankt recht erheblich; eine für das Jahr 1906
ausgezogene Statistik über die durchschnittliche Benutzung an den
einzelnen Wochentagen ist auf Seite 108 zeichnerisch aufgetragen.
Daraus geht hervor, dass die Benutzung von Montag bis Donnerstag
ausserordentlich schwach ist. Es werden daher an diesen Tagen
Wannenbäder für nur 20 Pfg. an die Ortskrankenkasse bei ärztlicher
Anordnung abgegeben, eine Vergünstigung, von der leider nur wenig
Gebrauch gemacht wird. Abgesehen von den Sonnabenden zeigen
auch übermäßig warme Tage außerordentlich hohe Badeziffem ,
während bei kaltem Wetter die Benutzung oft recht erheblich herunter
geht, ein Zeichen dafür, dass der Prozentsatz der Erfiischungsbäder
ein verhältnismäßig hoher ist.
Berlit, Volksbadeanstalten.
107
108
Frensch, Heilbäder.
Aus einer sehr eingehenden Ermittlung der Betriebskosten
während der letzten fünf Jahre geht hervor, dass ein Brausebad
durchschnittlich 13 bis 15 Pfg. kostet, ein Preis, der die Selbstkosten
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nicht deckt. Die Herstellung eines Wannenbades kostet durch-
schnittlich 24 bis 26 Pfg., so dass hierbei noch ein geringer Nutzen
übrig bleibt; Verzinsung und Amortisation der Anlagekosten ist bei
dieser Berechnung nicht einbegriffen.
2. Heilbäder.
Von Oberingenieur Frensch.
I. Das Schützenhof- und Oemeindebad.
Die Stadtgemeinde besitzt zwei Badhäuser, worin Thermalbäder
zu Heilzwecken verabfolgt werden: das Badhaus „Schützenhof** in
der Schützenhofstrasse und das sich hieran anschliessende „Gemeinde-
bad" in der Gemeindebadgasse, das von Minderbemittelten benutzt wird.
Frensch, Heilbäder. 109
Mit dem Badhaus „Schützenhof" ist ein Logierhaus, das „Hotel
^um Schützenhof", verbunden, in dem Badegäste Wohnung und
Yerpflegung finden können. Den Hotelbetrieb hat die Stadtgemeinde
verpachtet, während der Betrieb in den beiden Badhäusern von ihr
selbst geführt wird.
Das Badhaus und Hotel „Zum Schützenhof" ist in den Jaliren
1867 bis 1869 erbaut worden und ging durch Kauf im Jahre 1882
in den Besitz der Stadtgemeinde über. Das „Gemeindebad" ist von
der Stadtgemeinde im Jahre 1884 an Stelle des ehemaligen städtischen
Armenbades errichtet worden.
Schon vor letzterem und vor Erbauung des „ Schützenhof bades"
haben auf derselben Stelle bis zu den frühesten Zeiten zurück
Thermalbäder bestanden; bei Ausgrabungen in Mitte des vorigen
Jahrhunderts ist festgestellt worden, dass hier schon zu Römerzeiten
grössere Bäderanlagen vorhanden waren, die durch die der Erde heiss
entspringende heilkräftige Thermalquelle gespeist wurden. Gegen-
wärtig versorgt diese Quelle das „Schützenhofbad" und das „Gemeinde-
Tjad" m ausreichendem Maße. Sie führt den Namen „Schützenhof-
quelle" und tritt in einem kuppelartig überwölbten Raum unter dem
Garten des „Schützenhof hoteis" mit einer Temperatur von 50^ Celsius
zu Tag und zwar in einem gemauerten Brunnen, dessen Sohle 1,10 m
unter dem Quellenspiegel liegt.
Der Boden, aus dem das Wasser emporsprudelt, besteht aus
Kies, in dem weisse Quarzblöcke bis zu 3 cbm Grösse eingebettet
sind, wie bei der letzten Neufassung der Quelle im Jahre 1866 fest-
gestellt wurde. Auf den Brunnen ist eine Schale von Sandstein so
aufgelegt, dass das gesamte Wasser durch eine in der Mitte befind-
liche Öffnung von 8 cm Durchmesser von unten in die Schale ein-
treten muss. Durch dieselbe Oflftiung steigen auch die im Wasser
gespannten Gase empor und verursachen eine lebhaft sprudelnde
Bewegung in der Sandsteinschale.
Von der Quellenfassung aus wird das Wasser mittelst einer
Leitung nach der nur etwa 2 m entfernten Teilungskammer geführt,
aus der das Wasser beliebig entweder unmittelbar den Badewannen
oder den Sammelbehältern des „Schützenhof bades" und des „Gemeinde-
bades" zugeleitet werden kann.
Bevor das von der Quelle kommende Wasser zu den Badewannen
gelangt, kommt es in einer grossen von oben belichteten Halle, die
unmittelbar an das Badhaus anstösst, in einer granitnen Trinkschale
frei zum Auslauf, wo die Badegäste ihre Trinkkuren ausüben. Von
110 Frensch, Heilbäder.
hier aus verteilt sich das Thermalwasser in die verschiedenen Bäder,
Weil das von der Quelle abfliessende Thermalwasser so heiss ist, dass
es nicht ohne weiteres zum Baden verwendet werden kann, sondern
mit abgekühltem Wasser vermischt werden muss, so wird es ausser-
halb der Badestunden und zur Nachtzeit von der oben erwähnten
Teilkammer durch besondere Leitungen den Sammelbehältern im
Schützenhof- und Gemeindebad zugeführt, dort aufgespeichert und
abgekühlt.
Die Abkühlung des Wassers in den Behältern besorgt die Luft^
indem durch eine Anzahl von besonders eingerichteten an den
Behältern angebrachten Luftzu- und -abführungsschächten in ersteren
ein ständiger Luftwechsel hervorgerufen wird, der durch Verdunstung
dem heissen Thermalwasser Wärme entzieht und es so entsprechend
abkühlt. Zur Verstärkung dieser Kühlwirkung ist über dem einen
der beiden Kühlbehälter noch ein Behälter angebracht, in dem das
von der Quelle kommende heisse Thermalwasser aufgepumpt wird,
das nunmehr den oberen Behälter in einer dünnen Schicht durch-
strömt, welch letzterer mittelst Ventilatoren ein kräftiger Luftstrom
entgegengeblasen wird. Dem Thermalwasser wird so in raschester
Weise die überschüssige Wärme entzogen, was zur Beschleunigung
des Betriebes, insbesondere zur wärmeren Jahreszeit von grossem
Vorteil ist, weil gerade um diese Zeit die stärkste Bäderabgabe statt-
findet und infolgedessen immer grosser Bedarf an genügend abge-
kühltem Badwasser ist.
Das abgekühlte Wasser wird von den Behältern durch besondere
Leitungen unmittelbar in die Badewannen geführt. Hierdurch und
durch die Zuführung von heissem Thermalwasser, wie es die Quelle
bringt, kann die Bereitung der Thermalbäder durch Mischung des
heissen und abgekühlten Wassers in jedem gewünschten Wärmegrad
geschehen.
Das „ Schützenhof bad" enthält 27 Einzelbadwannen und ein
Doppelbad, das „Gemeindebad" 17 Einzelbadwannen. Fast sämtliche
Badewannen sind in den letzten Jahren in einer für den Badenden
bequemeren Form erneuert und mit weissem Plattenbelag ausgekleidet
worden. Die wenigen noch rückständigen Wannen im „Gemeindebad"
werden im nächsten Winter ebenfalls noch umgeändert.
An Bädern wurden im Jahre 1907 im „Schützenhofbad" verabfolgt:,
rund 24000 Bäder; im „Gemeindebad" rund 40000 Bäder, zusammeiL
also rund 64000 Bäder.
Frensch, Heilbäder. Hl
Der Preis eines Thermalbades beträgt im „ Schützenhof bad" von^
vormittags 6 — 10 Uhr 1,20 M. und ausserhalb dieser Zeit 1, — M.,.
im „Gemeindebad" ohne Rücksicht auf die Zeit 60 Pfg.
II. Die Bäckerbrunnen -Anlage.
Das in den Badehäusern zur Verfügung stehende Thennal-
wasser genügte schon seit Jahren nicht mehr, um den stetig
zunehmenden Bedarf an Thermalbädern zu decken.
Dieser Umstand und die infolgedessen gesteigerte Nachfrage
nach Badegelegenheit veranlasste die Inhaber von Hotels und
Pensionen, die keinen unmittelbaren Zulauf von Thermalwasser zu
ihren Grundstücken besitzen, Thermalwasser in Fässern unmittelbar
an der Quelle zu entnehmen und auf Fahrzeugen nach der Ver-
wendungsstelle zu verbringen.
Die Wasserentnahme erfolgte an dem zu öffentlichen Zwecken,
bestimmten und im Mittelpunkt der Stadt belegenen Bäckerbrunnen
in der Grabenstrasse. Das Thermalwasser gelangte dort in einem um
etwa 1^/2 m gegen die Geländeoberfläche vertieft angelegten Raum
an 2 Stellen zum natürlichen Auslauf, wovon der eine der Trink-
kur, der andere zum Füllen der Fässer diente.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung war dieser Teil des Bäcker-
brunnenraumes von dem der Trinkkur dienenden abgetrennt und die
Nutzniessung des zum Ablauf kommenden Thermalwassers an einen
Privat-Untemehmer verpachtet. Dieser hatte gegen einen jährliche»
Pachtzins von 600 Mark die alleinige Berechtigung, Thermalwasser
in grösseren Gefässen am Bäckerbrunnenauslauf zu füllen und
3 Pfennig für eine Tonne von etwa 50 Liter Inhalt zu erheben.
Infolge weiterer Steigerung der Nachfrage nach Thermal-Bade-
wasser nahm der Verkehr an dem an einer verhältnismäßig schmalen
und verkehrsreichen Strasse belegenen Bäckerbrunnen mit der Zeit
inuner mehr zu, sodass bald eine Reihe von Unzuträglichkeiten ent-
standen, die zu lauten Klagen und berechtigten Beschwerden der
Anwohner und der dort verkehrenden Personen führten und in
Verbindung mit den vorhandenen primitiven und unzulänglich
gewordenen Einrichtungen eine Abhilfe dringend notwendig machten.
Infolgedessen arbeitete das städtische Kanalbauamt einen Ent-
wurf für eine auf derselben Stelle zu errichtende Neuanlage aus,,
die den jetzigen veränderten Verhältnissen genügen und auch der
weiteren Zunahme des Betriebs Rechnung tragen sollte.
112 Frensch, Heilbäder.
Dieser Entwurf wurde nach erfolgter Genehmigung und Bereit-
stellung der erforderlichen Mittel durch die städtischen Köi-per-
schaften im Jahre 1906 zur Ausführung gebracht und die Anlage
Ende desselben Jahres in Betrieb genommen.
Die neue Bäckerbrunnenanlage besteht aus 8 Teilen:
der Quellenkammer,
der Zuleitung,
dem Verteilungsraum,
dem unterirdischen Sammelbehälter,
dem Pumpenraum,
den oberirdischen Heiss- und Kühlwasserbehältern,
dem FassfüUhof und
dem Trinkraum.
Das zum „ Bäckerbrunnen ** gehörige Thermalwasser entspringt
aus vier Quellen, die teils in der Goldgasse, teils in dem Grundstück
Goldgasse Nr. 10 belegen und in gesundheitlich völlig einwandfreier
Weise gefasst sind. Das in einer Sammelleitung vereinigte Themial-
wasser wird mittelst einer etwa 90 m langen Zuleitung der in der
Grabenstrasse belegenen Bäckerbrunnenanlage zugeführt. Dort kann
es in der Verteilungskammer nach verschiedenen Verwendungsstellen
umgeleitet werden.
Der für die Speisung der Bäckerbrunnen -Anlage bestimmte
Teil gelangt alsdann in einen unterirdischen Sammelbehälter von
etwa 76 cbm Inhalt, der den gesamten Abfluss der Bäckerbrunnen-
quellen aufnimmt.
Über dem unterirdischen Sammelbehälter erhebt sich ein zwei-
stöckiges Gebäude mit einer Hof-Umfahrtstrasse (Tafel 33),
Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich ein Raum, in dem die
zur Entnahme und zum Heben des Thermalwassers aus dem unter-
irdischen Sammelbehälter in die oberirdischen Heiss- und Kühlwasser-
behälter erforderlichen Pumpanlagen nebst deren Elektromotoren
aufgestellt sind. Dort befindet sich auch, von der Strasse aus
unmittelbar zugänglich, der Trinkraum, in dem die Trinkkur von
jedermann unentgeltlich ausgeübt werden kann. Im Obergeschoss
des Gebäudes sind Heiss- und Kühlwasserbehälter untergebracht, mit
den zur Warmhaltung bezw. Abkühlung des Wassers erforderlichen
Einrichtungen.
Mittelst Verteilungsleitungen gelangt das Thermalwasser zu
den Entnahmestellen im Fassfüllhof, wo drei Wagen gleichzeitig.
Tafel 33,
Der Bäckerbrunnen.
(Rückansicht.)
Frensch, Heilbäder. 113
völlig abseits der Strasse und ohne Behinderung des Verkehrs auf-
gestellt und die Fässer mit Thermalwasser gefüllt werden können.
Zu diesem Zweck sind an jeder Füllstelle drei Abläufe angebracht,
sodass gleichzeitig an 9 Zapfstellen Thermalwasser entnommen werden
kann, wodurch das Füllen der Fässer sich ausserordentlich rasch
abwickelt (Tafel 33).
Die Gesamtkosten der Bäckerbrunnenanlage haben 58000 Mark
betragen.
Der Betrieb der Anlage erfolgt stadtseitig und ist dem städtischen
Kanalbauamt unterstellt. Zur Bedienung der Maschinen und Aufrecht-
erhaltung der Ordnung ist ein städtischer Bediensteter während der
Betriebszeit ständig anwesend.
Das Thermalwasser wird gegen eine Gebühr von 5 Pfennig für
je 50 Liter Thermalwasser, also 1 Mark für das cbm, verabfolgt, so
dass der Bezugspreis an Thermalwasser für ein Bad von 200 bis
250 Liter Inhalt 20 bis 25 Pfennig beträgt. Hierzu kommen selbst-
verständlich noch die Fuhrkosten, die je nach der Entfernung sehr
verschieden sind.
Im abgelaufenen ersten Betriebsjahr sind am Bäckerbrunnen
insgesamt rund 300000 Fässer zu je 50 Liter Inhalt = 15000 cbm
Thermalwasser abgegeben worden, womit etwa 60000 bis 70000
Bäder gegeben werden konnten. Der geringste Verbrauch an Thermal-
wasser fand im Monat Januar mit rund 6300 Fässern und der stärkste
Verbrauch im Monat Mai mit rund 58 000 Fässern statt ; der grösste
Tagesverbrauch war im Mai mit 2700 Fässern.
Im ersten Betriebsjahr sind rund 15000 Mark eingegangen,
während früher mit der alten Anlage nur 600 Mark jährlich ein-
genommen wurden.
Diesen Einnahmen stehen gegenüber:
die Betriebsausgaben mit .... 2400,00 Mark
für Verzinsung des Anlagekapitals
und für Abschreibung . . . 3600,00 „
zusammen somit: 6000,00 Mark
so dass ein jährlicher Überschuss von 15000 — 6000 = 9000 Mark
verbleibt.
G. Einrichtungen für Fürsorgebedürftige.
Zasammengestellt von Sanitätsrat Dr. Friedr. Cuntz.
1. Fürsorge für Kinder.
Fürsorge für Säuglinge und noch nicht
schulpflichtige Kinder.
a) Städtische Säuglingsmilchanstalt und Mutter-
beratungsstelle. Auf Anregung des Ehrenbürgers Geh. Rat
Fritz Kalle hier wurden die Anstalten anlässlich der Silberhochzeit
unseres Kaiserpaares im Herbst des Jahres 1905 gegründet. Der
Zweck der Anstalten — die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit —
soll erreicht werden durch zwei Mittel:
1. Durch Belehrung der Mütter über Säuglingsemährung und
Säuglingspflege, Ermahnung derselben, ihre Kinder selbst zu
nähren (Mütterberatungsstelle) ;
2. durch Beschaffung von hinsichtUch Qualität und Quantität
einwandsfreier Säuglingsmilch in trinkfertigen Mischungen
(SäugUngsmilchanstalt).
A. Säuglingsmilchanstalt.
Im Schlachthaus gelegen. Neuer Aufbau auf einem bereits
bestehenden Gebäude. Baukosten M. 16586, Einrichtungskosten
M. 23045, zusammen M. 39631.
6 Räume: 1 Milchbereitungsraum mit Spülraum (Tafel 34),
1 Laboratorium z^ur Milchuntersuchung, 1 Vorratsraum, 1 Ankleide-
raum, 2 Kühlräume.
Eröffnung der Anstalt: 3. April 1907.
Betriebskosten im 1. Betriebsjahr M. 27897 (Städtischer Zuschuss
M. 16000).
Herstellung von 4 Milchmischungen nach Biedertschem System.
Ausserdem Abgabe von Buttermilch und Kell er scher Malzsuppe.
Tafel 34.
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Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder. 115
Im L Betriebsjahr wurden abgegeben:
4186 Portionen an Arme unentgeltlich,
54705 „ an Minderbemittelte zu 22 Pfg. ä Portion,
645 „ an Bemittelte zu 85 Pfg. ä Portion,
179 „ Kell ersehe Malzsuppe zu 24 Pfg. ä Portion,
11776 Flaschen Buttermilch zu 6 Pfg. die Flasche.
Ausgabe der Milch durch 10 über die Stadt verteilte Ausgabe-
stellen (vom L Juli 1908 ab 15 Ausgabestellen).
Personal der Milchanstalt: 1 Vorarbeiter, 4 Mädchen.
Die Überwachung der Anstalt, Untersuchung der Milch, Über-
wachung der Herstellung der Milchmischungen usw. ist dem Schlachthof-
direktor gemeinsam mit dem Arzt der Mutterberatungsstelle tibertragen.
B. Mutterberatungsstelle
(Marktstrasse 1/3. Arzt: Dr. Hirsch, Sprechstunden Dienstag,
Donnerstag und Samstag von 5 — 7 Uhr).
3 Räume: Wartezimmer, Wiegezimmer, Sprechzimmer.
1 Arzt, 1 Schwester vom Roten Kreuz zur Assistenz.
Zweck der Beratungsstelle ist in erster Linie die Stillpropaganda,
weiterhin Belehrung über Säuglingspflege. Die Maßnahmen sind rein
prophylaktischer und hygienischer Natur, eine Behandlung findet
nicht statt.
Weiterhin ist die Mutterberatungsstelle Kontrollstelle fttr alle
Kinder, die Milch aus der städtischen Säuglingsmilchanstalt beziehen.
Verpflichtung der Mütter, die Kinder alle 14 Tage dort vorzuzeigen.
Jedesmalige Wägung und ärztliche Untersuchung.
Eröffiiung der Mutterberatungsstelle: 2. April 1907.
Frequenz der Stelle im 1. Berichtsjahr: 538 Mütter.
In Bezug auf die Ergebnisse der Anstalten wird auf den auf-
liegenden ausführlichen ärztlichen Bericht verwiesen.
b) Für die Pflege von verlassenen, verwaisten und erkrankten
Säuglingen und noch nicht schulpflichtigen Kindern bestehen Kinder-
stationen im städtischen Krankenhause, dem katholischen Waisen-
hause und der Paulinenstiftung. In diesen Anstalten, sowie auch
in Familienpflege wurden 1906/07 seitens der Armenverwaltung
189 Kinder unter 5 Jahren untergebracht. Pflegesatz bei Säug-
lingen durchschnittlich 240 M. jährlich, bei älteren 120 — 140 M.
c) Kinderkrippe. Stiftung des Wiesbadener Krippenvereins aus
milden Beiträgen, eigenes Haus, Gustav Adolfstrasse, auf städtischer-
seits geschenktem Boden, dient zur Pflege und Wartung von gesunden
116 Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder.
Kindern von 6 Wochen bis 3 Jahren, tagsüber gegen 25 Pfg. Entgelt,
bei Erkrankung oder sonstiger Behinderung der Mutter. Arztliche
Aufsicht (Dr. W. Koch); Isolierzimmer. An 296 Tagen insgesamt
10728 Kinder, d. h. 36,2 durchschnittliche Tagesfrequenz. Bei
10271 M. Betriebskosten kommen pro Kind und Tag 95,7 Pfg.
d) Kindergarten (Tafel 35). Städtischer Volkskindergarten, auf
1437 qm grossem Gelände, Gustav Adolfstrasse, erbautes Haus (Thunes-
stiftung) [s. Tabelle über die Schulen], durch Armen Verwaltung geleitet
und unterhalten (12000 M. städt. Zuschuss). ') Kindergärtnerinnen (800
bis 1 300 M. Gehalt). Arztliche Aufsicht. Dient zur Aufnahme, Pflege
und Beschäftigung (Froebel) noch nicht schulpflichtiger Kinder, tags-
über. Durchschnittlicher Besuch 70 — 80 Halb- und Ganztagskinder.
Unbemittelte unentgeltlich. Minderbemittelte gegen 20 Pfg. Tages-
verpflegung. Besondere Reinlichkeitspflege und Badevorrichtungen.
Dieser, wie auch drei weitere private Kindergärten (Frl. Krause,
Prochnow und Neumann) mit je 30 — 50 Tageskindern unter-
stehen der Aufsicht der städtischen Schulinspektion. (Reg.-Verf. v.
29. 11. 98.)
e) Kinderb ewahranstalt, durch private Stiftungen und Beiträge
gegründet und unterhalten (3000 M. städtischer Zuschuss); grosses
dreistöckiges Gebäude auf 3870 qm grossem Gelände, Schwalbacher-
strasse, mit reichlichen Unterrichts-, Arbeits- und Schlafräumen,
Isolierzimmer, Bade Vorrichtungen etc., zur Aufnahme von verlassenen
und verwaisten „Tageskindern" und „Hauskindern" (zu ständigem
Aufenthalt) im schulpflichtigen wie auch noch nicht schulpflichtigen
Alter. Frequenz durchschnittlich 130; volle Tagesverpflegung für
ca. 45 Pfg., im Internat jährlich 130-^160 M. Leitung durch Volks-
schullehrer; ärztliche Beaufsichtigung.
f) Waisenhäuser. Soweit die Unterbringung der Waisen nicht
in Familienpflege erfolgt, wozu reichlich Gelegenheit besteht, besonders
im Landbezirke, stehen die Anstalten der Paulinenstiftung
(evangel.) und des kathol. Waisenhauses (Platterstrasse) zur
Verfügung. In ersterem, Abteilung Erziehungshaus, stehen etwa
129 Betten mit durchschnittlich 125 Belegziffier und einem Pflegesatz
von 0,50 — 0,60 M. täglich, in letzterem 100 Betten mit 95 Beleg-
zahlen, zu 0,45 M., zur Verfügung.
Der städtischen Armen Verwaltung fielen anheim 1906/7 93 Waisen
(41 Knaben und 52 Mädchen), hiervon 65 eheliche, 28 uneheliche ;
von ihnen waren untergebfacht im Paulinenstift 12, im katholischen
Tafel 35.
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Tafel 36 a.
e an der Lorcherstrasse.
(Erster Bauteil.)
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Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 117
Waisenhaus 12, in der Kinderbewahranstalt 30, in Privatpflege 29,
im evangelischen Rettungshaus 1 und auswärts 9, gegen einen durch-
schnittlichen Jahressatz von 135 M., ausschliesslich der Bekleidung.
g) Das evangelische Rettungshaus dient zur Unterbringung
von verwahrlosten und gefährdeten Kindern beiderlei Geschlechts, ent-
sprechend den Bestimmungen über Fürsorgeerziehung. Es besteht
aus mehreren Gebäuden für Wohnräume, Arbeitsräume, Unterrichts-
räume, Ökonomiebetrieb etc., auf etwa 45 Morgen grossem Gelände
im Norden der Stadt. Es ist gegründet durch den „Evangelischen
Verein des Konsistorialbezifks Wiesbaden" und steht unter dessen
Leitung. Verpflegungspreis 0,70 M. pro Tag.
Die der Zwangserziehung bedürftigen katholischen Kinder werden
in die Anstalt Marienhausen im Rheingau aufgenommen.
II. Fürsorge für schulpflichtige Kinder.
A. Schulbauten.
Von Stadtbauinspektor Grün.
Unter städtischer Verwaltung stehen die höhere Mädchenschule,
2 höhere Knabenschulen (Oberrealschulen mit Reformgymnasium),
4 neunstufige Mittelschulen und 7 achtstufige Volksschulen, 1 vier-
klassige und 1 einklassige Volksschule; der Aufsicht der städt.
Schulinspektion unterstehen femer 2 private höhere Knabenschulen,
4 private höhere Mädchenschulen, die private zweiklassige Volks-
schule des evangel. Rettungshauses und eine Anzahl von Pensionaten
zur Fortbildung der nicht mehr schulpflichtigen weiblichen Jugend.
Die Schulen liegen räumlich möglichst günstig in der Stadt
verteilt, der grösseren Bevölkerungsziffer entsprechend vorzugsweise
nach Westen und Südwesten zu. Im äussersten Westen, Distrikt
Kleinf eidchen, ist bereits der Bau einer neuen grossen Volksschule
in Angriff genommen.
Der raschen Entwickelung Wiesbadens entsprechend sind auch
die meisten städtischen Schulen neueren Datums und zeigen in baulicher
Hinsicht alle Fortschritte der Bautechnik, Architektur und Bauhygiene.
Als typisches Programm für die neuen Volksschulen kann das
der im Bau begriffenen Volksschule am Exerzierplatz gelten. (Tafel 36a).
118 Fürsorge für schulpflichtige Kinder.
Die Schule wird in zwei selbständigen Baugruppen eine Knaben-
und eine Mädchenabteilung enthalten mit je:
16 Klassen für 60 Schüler,
2 Reserveklassen,
1 Zeichensaal bezw. Handarbeitssaal,
1 Singsaal,
1 Werkstättenraum bezw. Kochlehrktiche,
1 Brausebadanlage,
1 Frühstücksraum,
1 Turnhalle,
1 Abortgebäude,
Räume für Rektor, Lehrer, Bibliothek und Sammlungen,
Schuldienerwohnung.
Allgemeine Anlage.
Die Turnhalle und das Abortgebäude liegt in der Regel getrennt
von dem Schulhaus und mit diesem durch einen offenen Gang ver-
bunden. Das Schulhaus ist dreigeschossig, mit voll ausgebauten
hohen Keller- und Dachgeschossen. In dem Kellergeschoss werden
Brausebad, Lehrküche, Werkstätten- und Frühstücksraum, in dem
Dachgeschoss Handarbeits-, Sing- und Zeichensaal sowie Reserve-
klassen angeordnet.
Bauart.
Die Klassengebäude werden feuersicher hergestellt. Sie erhalten
Decken aus Eisenbeton, Granittreppen, Plattenböden in den stark
benutzten Korridoren und Treppenpodesten, im übrigen Linoleum-
böden auf Korkplatten oder einer anderen schalldämpfenden Unter-
lage. Die reinen Mittelkorridoren werden vermieden. Die Korridore
werden nur in geringem Maße zweiseitig bebaut und durchschnittlich
ca. 4 m breit. Sie enthalten offene Kleiderablagen. Die Stockwerks-
höhen betragen 4,50 m, die Klassen haben nicht unter 4 cbm Luft-
raum für einen Schüler. Die Fensterfläche der Klassen beträgt 1/4
bis 1/5 der Fussbodenfläche.
Die Turnhallen sind etwa 12 auf 22 m gross und nicht unter
6 m hoch. Nebenräume für Kleiderablagen und Geräte sind vor-
handen. Eine Schule hat ausser der geschlossenen Turnhalle eine
offene Sommerturnhalle. Die Turnhallen-Fussböden bestehen aus
Holz auf federnder Unterlage. Die Aborte haben intermittierende
Spülung, die Pissoirs Oelsyphons. Die Pissoirwände werden mit Oel
behandelt. Waschgelegenheit ist in den Aboi-ten vorhanden.
I
Tafel 36b.
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Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 119
Heizung, Lüftung und Beleuchtung.
Die Schulen erhalten Zentral-Niederdruckdampf heizung, in einem
Fall verbunden mit Luftheizung. Die Regelung der Temperatur
geschieht vermittelst Fernthermometeranlagen. Die Luft-Zu- und
Abführungskanäle sind so bemessen, dass auch ohne Fensterlüftung
ein genügender Luftwechsel stattfindet. Zur Beleuchtung wird im
allgemeinen Gasglühlicht, in der neuesten Schule elektrisches Licht
von dem städtischen Werk verwendet. Für die Zeichen- und Hand-
arbeitssäle wird halbzerstreutes Licht gewählt.
Sonnenschutz.
Als Sonnenschutz dienen in der Regel ohne Zugvorrichtung
zu bewegende Vorhänge aus grauem Leinen. In einzelnen Fällen
sind ausserdem in unbenutztem Zustand verdeckt liegende Plättchen-
jalousien angeordnet worden.
Brausebäder.
Die Brausebäder für Mädchen sind nach Art der Volksbrause-
bäder Einzelbäder mit Brause- und Aus- und Ankleidezelle. Die
Brausebäder für Knaben sind für Gruppen von 4 — 6 Schülern ein-
gerichtet. Die Wände bestehen aus glasierten Steinen. Die Warm-
wasserbereitung erfolgt im Winter durch Dampf von der Sammel-
heizung, im Sommer durch Gas. Die Betätigung der Brausen ist
zentral. (Siehe Tafel 37.)
Kochlehrküche, Frühstücksraum, Schülerwerkstätten.
In den Mädchenschulen werden Kochlehrküchen (siehe Tafel 36 b)
und Frühstücksräume miteinander verbunden. In den Knabenschulen
tritt zu dem Frühstücksraum ein besonderer Raum - zur Bereitung
warmen Frühstücks. Die im Untergeschoss liegenden Räume, ins-
besondere die Schülerwerkstätten, werden teilweise in der schulfreien
Zeit zu Hortzwecken verwendet.
Schulbänke, Schultafeln.
Die Schulbänke sind zweisitzig, ohne bewegliche Teile und mit
Holzrosten versehen. Der Tiefe nach werden 4 Bänke aufgestellt.
Die Schultafeln sind mit geringer Neigung fest an der Wand an-
gebracht. Sie bestehen aus Schiefer.
120
Fürsorge fttr schulpflichtige Kinder.
Die Unteirichtsanstalten
1
Schulbänke, Zahl
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der Klassen mit
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der
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—
—
5.
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1866/67
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5492,65 7,77
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—
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5437,0
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—
4.4s.
7.
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1901/02
2539,0
1560 ; 1,54
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4689,0
3205,4 4,00
—
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—
17
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—
9.
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6293,0
4618,72 4,40
—
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25
42
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—
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10.
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1879/80
3298,0
2558,9 , 5,01 1 —
490
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38
—
13
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—
1899
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1843
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1000 1,80 1 1177
1203
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6503,0
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1896/97
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16.
17.
Desgl. Gutenb. M. \
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Bei allen Schulen ist die jetzige Besetzung der Klassen nach Angabe der Herren
Projekt berechnete Schülerzahl eingesetzt.
1) Alte Reihenbänke. — *) 3 — 4 sitzig. Beweglicher Sitz und Pult.
Fttrsorge für schulpflichtige Kinder.
121
im Jahre 1906.
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Schuldirektoren gerechnet. Bei der Oberrealschule am Zietenring unter 6 ist die für das-
122 Fürsorge für schulpflichtige Kinder.
B. Schnlbetrieb.
Die vorstehende Tabelle gibt über sämtliche Schulen in tiber-
sichtlicher Weise Auskunft.
Die Gesamtschülerzahl betrug in den Mittelschulen 2901
in 70 Abteilungen, mit 4 Rektoren, 50 Lehrern, 16 ordentlichen und
4 technischen Lehrerinnen. In den Volksschulen befinden sich
8187 Kinder in 170 Abteilungen mit 7 Rektoren, 124 Lehrern,
39 ordentlichen und 13 technischen Lehrerinnen.
Das Jahresbudget der städtischen Schulverwaltung beläuft sich auf
insgesamt 1714139 M., pro Kopf der Bevölkerung 16,02 M.; mit einem
eigenthchen Bedürfhiszuschuss von 1 245 738 M = 96,39 M pro Schulkind.
Für unentgeltliche Lern- und Handarbeitsmittel an bedürftige
Binder wurden 2300 M. verausgabt.
Für die Einrichtung, das Ziel und die Unterrichts-
gegenstände gelten die gesetzlichen Bestimmungen vom 15. Oktober
1872. Ausführliche Lehrpläne sind durch Schuldeputation, Schul-
inspektion und Lehrerkollegien ausgearbeitet.
Durch Verfügung Königl. Regierung vom 4. 1. 1902 finden
Unterrichtspausen statt zwischen der 1. und 2. Stunde von
10 Minuten, zwischen der 2. und 3. Stunde 15 Minuten und zwischen
der 3. und 4. Stunde wieder 10 Minuten. Die Kinder sollen in allen
Pausen, wenn es das Wetter irgend zulässt, in den Schulhof geführt
und die Klassen gründlich gelüftet werden.
Seit 1894 wird in den Volksschulen an sämtliche Schülerinnen
der obersten Klassen ein freiwilliger hauswirtschaftlicher
Unterricht theoretisch und praktisch erteilt, in 14 Abteilungen
einmal wöchentlich zu je 4 Stunden während des ganzen letzten
Schuljahres. Die betreffenden technischen Lehrerinnen sind speziell
hierfür in Cassel oder Karlsruhe ausgebildet. Zur Verfügung stehen
3 Schulküchen.
Mit dem Schuljahr 1904 wurde für Schwachbegabte Schüler
die erste Hilfsklasse eingerichtet; seitdem jährlich eine neue Klasse
angefügt, sodass Ostern 1909 die sechsklassige Hilfsschule vollständig
entwickelt ist; zur Zeit zählt sie in 5 Klassen 96 Schüler und
Schülerinnen. Aufgenommen werden die Kinder, welche zwei Jahre
erfolglos die Normalschule besucht haben.
Seit Herbst 1905 sind Stotterer- bezw. Sprachheilkurse
eingerichtet, von jeweils halbjähriger Dauer bei 5 Stunden wöchentlich.
Der betreffende Lehrer erhielt eine besondere Ausbildung zu diesem
Zwecke. Die Erfolge sind sehr befriedigend.
Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 123
C. Sehulgesundheitspflege.
I. Schiplärzte* In Wiesbaden sind für die städtischen Volks-
und Mittelschulen seit 1896 Schulärzte nebenamtlich angestellt; z. Z.
acht, darunter die fünf städtischen Armenärzte. Jahresfixum 600 Mi
und pro Kopf der zur Nachuntersuchung kommenden Schüler des
2., 4., 6. und 8. Jahrganges 20 Pfg.
Die Ziele und die Tätigkeit der Schularzteinrichtung darf als
bekannt vorausgesetzt werden, und hier möge eine kurze Skizzierung
genügen.
Die „Anweisung für den schulärztlichen Dienst" verlangt 1. eine
äussere Voruntersuchung aller Kinder der Aufnahmeklassen inner-
halb der ersten drei Schultage ; 2. genaue Untersuchung dieser Auf-
nahmeklassen in den ersten sechs Wochen (hierbei Dispens durch
Tiausärztliche Zeugnisse verschwindend selten), möglichst in Gegen-
wart der Eltern (etwa 80 — 90®/o der letzteren anwesend). Hierbei
Ausstellung eines „Gesundheitsscheines" für jedes Kind mit den
•erforderlichen Eintragungen durch Lehrer und Arzt. Dieser Schein
begleitet das Kind durch seine ganze Schulzeit und bleibt in Ver-
wahrung des Lehrers.
Die Prüfung von Auge und Ohr erfolgt meist später, in der
zweiten Hälfte des ersten Schuljahres.
3. Klassen weise „Nachuntersuchungen" der sämtlichen Schüler
•des 2., 4., 6. und 8. (letzten) Schuljahres.
4. „Schulärztliche Sprechstunden", d. h. Besuche des Arztes in
der Schule bezw. einzelnen Klassen, alle 3 — 4 Wochen, zur Über-
wachung besonders kränklicher Kinder, sowie zur Kontrolle des
Schulgebäudes, Heizung, Ventilation, Schulbades etc.
Je nach Bedarf werden gelegentlich dieser Tätigkeit schriftliche
Mitteilungen an die Eltern gesandt über vorgefundene Krankheits-
erscheinungen, mit Aufforderung zu deren Beseitigung bezw. ärzt-
licher Behandlung usw.
Die letztere steht den Schulärzten als solchen nicht zu!
Gleichzeitig erfolgen Einträge in die Gesundheitsscheine über
•erforderliche Rücksichtnahme im Unterricht, Dispens, besonderen Sitz-
platz usw. Anträge an Schul- oder Polizeibehörde (Zwangsreinigung !).
Der älteste Schularzt übernimmt die Leitung der Geschäfte und
die Vertretung in der städtischen Schuldeputation.
124 Fürsorge für schulpflichtige Kinder.
IL Schulzahnärzte. Seit 1 906 ist für die Kinder der Volks-
schulen geordnete Zahnpflege, unentgeltliche Unter-suchung und
Behandlung durch approbierte Zahnärzte eingeführt. Für jede Schule
ist ein Zahnarzt vertraglich angestellt, welcher sämtliche Kinder in
bestimmten Zeiträumen in der Schule zu untersuchen und er-
forderlichen Falles in seiner Sprechstunde die geeignete Behandlung,.
Füllung, Extraktion etc. vorzunehmen hat. Als Vergütung werden
pro Kopf des gesamten Schulbestandes 0,50 M. gegeben. Behandlung
selbstverständlich ohne jeden Zwang und möglichst an schulfreien
Nachmittagen. 1906/07 waren von 7992 Kindern 7619 zahnkrank,
von diesen kamen 1364 zur Behandlung mit 931 Füllungen und
3071 Extraktionen etc.
III. Schulbäder bestehen jetzt in Gestalt von Brausebädern
in allen Volksschulen, in den älteren Gebäuden dem Räume ein-
gefügt, nicht immer allen strengen Forderungen genügend; in den
neueren dagegen in jeder Hinsicht einwandfrei, ja mit einer gewissen
Eleganz ausgestattet (Gutenbergschule).
Für die Knaben gemeinsam offener Auskleideraum und Brause-
räume, für die Mädchen neuerdings Einzelauskleide- und Badezellen
(Tafel 37).
Das Baden besteht in einer 30—35 ^ C. warmen Brause 1 bis
2 Minuten, dann Pause von 3 bis 4 Minuten zum gründlichen
Abseifen; hierauf 2 bis 3 Minuten Brause langsam von 35^ auf
20« C. sich abkühlend.
Nach dem Bade V2 Stunde Freiübungen in Turnhalle oder Hof.
Die Beteiligung am Bade ist freiwillig, schwankte im letzten
Jahre zwischen 35,7 und 48,1 «/o — die beiden niedrigsten Mädchen-
ziffern — und 76,3—76,4, die höchsten Knabenziffern ! Leider findet
diese so vorzügliche Einrichtung nicht in allen Kreisen das wünschens-
werte Verständnis und Entgegenkommen.
IV. Schul frühstück wird an bedürftige Kinder der Volks-
schulen — Auswahl durch Arzt und Lehrer — während der Winter-
monate unentgeltlich verabreicht in Form eines Tellers warmer
Hafergrütze und einem Stück Brot. Kosten rund 2000 M., durch frei-
willige Beiträge gedeckt. Zubereitung durch Schuldiener und Frau
gegen mäßige Vergütung in den dafür eingerichteten Kellerräumlich-
keiten. Ausgabe vor der ersten Unterrichtsstunde. Beteiligung:
478 Kinder an 69 Tagen mit 33017 Portionen.
Über die Verabreichung von warmem, nahrhaftem Mittagessen
an besonders bedürftige Schulkinder werden z. Z. Erhebungen angestellt-
Tafel 37.
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Outenbergschule, Brausebad für Mädchen.
Outenbergschule, Brausebad für Knaben.
Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 125
V. Turnspiele werden seit 1904 durch die Knaben der Volks-
schulen an einem Nachmittage wöchentlich ausgeführt, ausser den
zwei verbindlichen Turnstunden. Einmal monatlich findet an Stelle
der Spiele ein grösserer Turnmarsch statt. Als Spielplätze
dienen in erster Linie der grosse städtische Spielplatz unter den
Eichen, ca. 12000 qm gross, mit Schutzhalle, Gerätehalle usw.,
ferner ein von der Stadt zu erwerbender Teil des alten Exerzierplatzes
an der Aarstrasse in Grösse von 7700 qm und ein neu geplanter
Platz am Zietenring von ca. 4700 qm. Ferner ist die Benutzung des
grossen Exerzierplatzes an der Schiersteinerstrasse von dem Militär-
fiskus bereitwilligst und unentgeltlich in den Nachmittagsstunden
den Schulen zur Verfügung gestellt. (50 M. Entschädigung an den
Pächter der Grasnutzung.) Aufsicht durch Lehrer gegen besondere
Vergütung. Gesamtaufwendung hierfür (inkl. Spielutensilien etc.) im
letzten Jahre 4031 M.
Beteiligung durchschnittlich 78 — 88®/o der in Betracht kommenden
Schüler.
D. Einderhorte und Sommerpflege.
Die Bestrebungen der Schulgesundheitspflege werden in wirk-
samster Weise unterstützt durch die hier bestehenden Vereine für
Kinderhorte und für Sommerpflege armer Kinder.
Ersterer übernimmt die Beaufsichtigung, Beschäftigung und
körperliche Pflege der Schulkinder in den unterrichtfreien Stunden.
(Besondere Betonung der Reinlichkeit, Zahnpflege, Gewährung von
Nahrungs- und Stärkemitteln etc.) Eine besondere Abteilung befasst
sich mit der Gewährung freier Mittagsmahlzeit an arme Kinder, sowie
der Überwachung hortentlassener Zöglinge bis zum 18. Lebensjahre.
In 4 Horten z. Z. etwa 330 Zöglinge, meist in zur freien Ver-
fügung gestellten Schulräumen. Freiwillige Leitung (Frl. Merttens)
und Beaufsichtigung durch Vereinsdamen ; ärztliche Untersuchungen.
Jahresunkosten rund 17000 M., mit 2300 M. städtischem Zuschuss,
;sonst freiwillige Beiträge.
Der Verein für Sommerpflege armer Kinder ermöglicht
schwächlichen und kränklichen Kindern einen meist vierwöchentlichen
Landaufenthalt oder Kur in Solbädern etc. in einzelnen Familien,
Anstalten und einem seit 1907 eröffneten eigenen Gebäude, Ferienheim
in Oberseelbach im Taunus, 315m Höhenlage, etwa 50 Betten,
eigenes Wasserwerk, elektrische Lichtanlage. Geeignete Beauf-
sichtigung, auch ärztliche, Körperpflege, Badeeinrichtungen (1907:
126 Krankenanstalten.
2835 Bäder), gute, kräftige Beköstigung. Vorläufig nur Sommer-
betrieb, Unbemittelte ganz frei, vermögendere Kinder gegen an-
gemessenen Beitrag. 1907 wurden . 480 Kinder (200 Knaben und
280 Mädchen) ausgesandt, davon etwa 200 in das Ferienheim, 155
in Familien auf dem Lande und 125 in geeignete Anstalten, Sol-
bäder etc. (Kreuznach, Orb, Nauheim). Jahresausgabe des Vereins
rund 26000 M. mit 1500 M. städtischem Zuschuss. Auswahl der
Kinder durch Schulärzte, Lehrer und Vereinsvorstand.
Auch der Wiesbadener Hilfsverein für das Viktoriastift
in Kreuznach möge hier erwähnt werden. Derselbe vermittelt die
Behandlung skrofulöser Ender in Kreuznach und entsandte 1907
89 Kinder aus Wiesbaden und 62 aus dem Regierungsbezirk dorthin.
Die Jahresrechnung des Vereins (Vorsitzender Geh. Rat Pagen-
stecher) beläuft sich auf 9574 M., worunter lOOOM. städtischer
Zuschuss.
.2. Fürsorge für Kranke.
I. Krankenanstalten.
a. Städtisches Krankenhaus^).
Dirigierende Ärzte: Prof. Dr. Landow und Prof. Dr. Weintraud.
a. Bauten.
Von Stadtbauinspektor Grün.
Wiesbadens ältestes Krankenhaus, das kleine veraltete Hospital
am Kochbrunnen, hat vor etwa mehr als 3 Jahrzehnten aufgehört zu
bestehen, nachdem die Stadtgemeinde an anderer Stelle eine grössere
zeitgemäße Krankenhausanlage hatte errichten lassen. Diese wurde
in den Jahren 1876 — 1879 nach dem Pavillon-System auf einem
städtischen Grundstück von 3,52 ha Flächengrösse erbaut.
Durch eine zentrale und zugleich gesunde Höhenlage ist die
Anstalt besonders ausgezeichnet. Sie liegt an der Stelle des ehemaligen
Römer-Kastells etwa 40 m über der inneren Stadt im Mittel 160 m
über N. N., begrenzt von drei öflFentlichen Strassen (Schwalbacher-^
Platter- und Kastell-Strasse) mit der Hauptorientierung nach Osten
(Schwalbacher Strasse) und Südwesten (Platter Strasse). Unter Ein-
1) Infektionsspital siehe Seite 161.
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Krankenanstalten. 127
schluss eines späteren Neubaues bietet sie Unterkunft für 300 Kranke
und ist mit einem für die Verhältnisse der Zeit beträchtlichen Auf-
wand und in grosszügiger Weise angelegt. In der Hauptaxe standen
das dreistöckige Verwaltungsgebäude, das auch die Au&ahmeräume,
die Polikliniken, die Stationen für Privatpatienten und Arzte-
wohnungen enthielt, das Kochküchen- und das Waschküchengebäude.
Seitlich schlössen sich eine Reihe teils zweistöckige, teils einstöckige
Krankengebäude an.
Lange hat aber auch diese Anstalt der fortschreitenden Ent-
wickelung der Technik und der Hygiene einerseits und dem Wachstum
der Stadt andererseits nicht standhalten können, und es hatten im
Laufe der Jahre schon nicht unerhebliche Erweiterungs- und Anbauten
stattgefunden, als man sich zu einer durchgreifenden Modernisierung
und Erweiterung des Krankenhauses entschloss. Zu letzterer bot das
noch unbebaute Areal eine allerdings durch die ungünstige dreieckige
Umrissform des Geländes und durch die starken Höhenunterschiede
recht erschwerte und hinsichtlich der Grösse des Areals beschränkte
Möglichkeit.
Wenn man trotz dieser Schwierigkeiten und der Bedenken, die
an und für sich gegen einen Um- und Erweiterungsbau bestehen
müssen, nicht zu dem verhältnismäßig weniger kostspieligen Neubau
einer Krankenanstalt an anderer Stelle überging, so war dabei mit
ausschlaggebend die schon erwähnte vorzügliche Lage des alten
Krankenhauses.
Das Programm für die Um- und Erweiterungsbauten, deren
Kosten nach ihrer Beendigung ca. 2^2 Millionen M. betragen, er-
streckte sich
1. auf den Umbau der bestehenbleibenden Gebäude zum Zwecke
der Erfüllung aller hygienischen Forderung einschliesslich
der Herstellung von Sammelheizanlagen und elektrischer Be-
leuchtungsanlagen,
2. auf die Errichtung neuer Bauten.
Die Durchführung dieses Programms muss sich im Interesse des
Betriebes auf eine Reihe von Jahren verteilen. Im Laufe von vier
Jahren sind bis jetzt fertiggestellt (siehe Tafel 38 — 41) an Neubauten :
1. Das Leichenhaus mit den anatomischen, chemischen und
bakteriologischen Arbeitsräumen.
2. Das Koch- und Waschküchengebäude und das Kesselhaus mit
den zentralen Dampf- und Warmwasserbereitungsanstalten^
128 Krankenanstalten.
3. Im Anschluss an das Kesselhaus eine öffentliche Desinfektions-
anstalt, die zugleich den Krankenhauszwecken dient.
4. Ein Gebäude für die Apotheken, die Polikliniken und die
Wohnungen von 18 Schwestern.
5. Die Neubauten für die chirurgische Abteilung bestehend aus
3 Krankengebäuden und einem Operationsgebäude.
6. Ein unterirdischer Verbindungsgang für die Rohrleitungen
zwischen den fertiggestellten Bauten.
Die Umbauten der alten Gebäude sind zum Teil im Gange.
Weitere drei Krankengebäude, davon zwei an Stelle niederzulegender
alter Bauten, sind geplant und sollen in den nächsten Jahren zur
Ausführung kommen. Die Anstalt wird dann auf einer Gesamt-
grundstücksfläche von rund 36 000 qm nahezu 600 Krankenbetten
enthalten, und zwar in der chirurgischen und geburtshilflichen
Abteilung rund 200 Betten, in der inneren Abteilung rund 400 Betten.
Von den letzteren werden rund 50 Betten auf das Isoliergebäude für
Infektionskranke und 7 Betten auf das Gebäude für Irre entfallen.
Die Mehrzahl der Krankengebäude ist zweistöckig. Nur bei
zwei Gebäuden der inneren Abteilung hat die Beschränktheit des
Platzes zu dreistöckigen Anlagen geführt.
In jedem Stockwerk befindet sich im allgemeinen eine selbst-
ständige Station mit Tageräumen, Verband- und üntersuchungszimmer,
Bädern, Wärmküche und Liegehalle. Da, wo in einem Geschosse zwei
Stationen eingerichtet wurden, hat jede einen gesonderten Zugang
beziehungsweise Treppenaufgang. Jede Station besitzt Krankenzimmer
und -Säle verschiedener Grössen. Die Säle haben Sonne von zwei
Seiten und enthalten bei der inneren Abteilung nicht über 20 Betten
{Tafel 39), Niederdruckdampfheizung, in den Sälen teilweise Warm-
wasserheizung, künstliche Lüftung, elektrische Beleuchtung, Kalt-
und Warmwasserleitung in allen Räumen. Elektrisch betriebene Fahr-
stühle führen nach den oberen Stockwerken. Handaufzüge befördern
die Speisen nach den oberen Wärmküchen.
Für Verbandzeug und andere Abgänge, die im Krankenhaus
vernichtet werden müssen, ist ein besonderer Verbrennungsofen
vorhanden.
Eine zentrale Badeanlage mit einer grösseren Anzahl medi-
zinischer Bäder und den Einrichtungen für die Hydrotherapie wird
in dem hohen Kellergeschoss eines Krankengebäudes eingerichtet.
Unter Annalmie, dass die voraussichtliche, überschläglich be-
rechnete Kostensumme der ursprünglichen und der hinzugefügten
Tafel 40,
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Krankenanstalten. 129
resp. umgeänderten Bauten ca. 3600000 M. beträgt und 600 Betten
untergebracht werden können, würden sich die Kosten pro Bett auf
6000 M. belaufen.
ß, Betrieb.
Die Leitung resp. Verwaltung des ganzen Krankenhauses wird
durch folgendes Personal z. Zt. bewirkt:
1. Die Krankenhaus-Deputation des Magistrats, bestehend aus
3 Mitgliedern des Magistrats, 2 Oberärzten und 6 Stadt-
verordneten ;
2. 2 Oberärzten, 2 Sekundärärzten, 8 Assistenzärzten und
1 Prosektor mit 1 Assistenten;
3. 1 Oberin mit 65 Pflegeschwestern, welche zusammen den
Verband der Schwestern vom Roten Kreuz des Frauenvereins
Wiesbaden, unter einem besonderen Kuratorium, bilden;
4. 1 Verwalter mit 1 Kassierer und 4 Bureauassistenten;
5. 1 Obermaschinist mit 7 Heizern;
6. 1 Hausmeister mit 4 Hausburschen;
7. Unterpersonal (80 Köpfe).
Im Betriebsjahr 1906/07 wurden insgesamt 4292 Kranke verpflegt
an 98858 Verpflegungstagen, bei einem durchschnittlichen Kranken-
stand von 270,84 gegen 286,0 im Vorjahr, und einer durchschnitt-
lichen Aufenthaltsdauer von 23,03 Tagen.
In dem letzten Betriebsjahre ergaben sich II 7 776 Verpfiegungstage.
Es wurden ausgegeben . . . 809904,89 M.,
zurückerstattet 594085,88 M.
Es blieb eine Mehrausgabe von 215819,01 M.,
welche aus anderen Einnahmen der Stadt in Form eines Zuschusses
gedeckt werden musste.
Die Kosten eines Kranken betrugen für das Betriebsjahr 1906/07
4,21 M. Hierbei wurden alle Unkosten exkl. der Neubauten aber
inkl. der Unterhaltungsbauten berücksichtigt.
Die Beurteilung der Krankheiten möge die beifolgende kurze
Übersicht geben über die im städtischen allgemeinen Kranken-
hause 1906 behandelten Krankheitsfälle.
Von 2924 Krankheitsfällen der inneren Abteilung ent-
fielen auf:
1. Infektionskrankheiten 247 mit 15 Todesfällen
2. Konstitutionskrankheiten 255 „23 „
3. Krankheiten des Nervensystems ... 318 „ 36 „
9
130 Krankenanstalten.
4. Geisteskrankheiten 155 mit 6 Todesfällen
5. E[rankheiten der Atmungsorgane . . 646 «69 „
6. „ „ B[reislaufsorgane . . 105 „ 31 „
7. „ r, Verdauungsorgane . 268 „ 38 „
8. „ „ Harn- und Geschlechts-
organe 309 »16 „
9. „ « Bewegungsorgane . . 239 „4 ^
10. . „ Haut 374 , 5
11. r, r, Sinnesorgane ... 8 „ — „
Von 1350 Kranken der äusseren (einschl. geburtshilf hohen)
Abteilung kamen 780 zur Operation mit 36 Todesfällen.
b. Das Krankenhaus der „Paulinen-Stiftung".
Dirigierende Ärzte: Dr. E. Pagenstecher und Dr. Kretzsohmar.
Das Diakonissen -Mutterhaus „Paulinenstift** ist eine mit
Korporationsrechten ausgestattete Wohltätigkeits- Anstalt. Sie steht
unter dem Protektorat der Grossherzogin von Luxemburg und trägt
ihren Namen zum Andenken an Herzogin Pauline von Nassau.
Die Anstalt liegt an der Schiersteiner Strasse in einem Gelände
von ca. IV2 lia, mit ca. 1200 qm Baufläche; sie gliedert sich, ihrer
Bestimmung entsprechend, in drei zusammenhängende Gebäude, das
Schwesternhaus, das B[rankenhaus (mittlerer Teil) und das Erziehungs-
haus, Kinderheim. Ein getrenntes Gebäude dient der Verwaltung
und dem leitenden Geistlichen zur Wohnung.
Das Krankenhaus nimmt E[ranke jeder Konfession beiderlei
Geschlechtes auf, ausgenonunen Geisteskranke, auch Sieche zu dauernder
Pflege;* es besteht die Einrichtung der Dienstbotenabonnements und
besonderer Vereinbarungen über Aufiiahme von Krankenkassen-
mitgliedern. Das Haus ist den Anforderungen der Neuzeit entsprechend
ausgestattet, hat kleines Isoliergebäude mit Desinfektionsvorrichtung,
Operationssaal, Röntgenkabinett etc. Viele Einzelzimmer für Privat-
patienten.
Die verfügbaren 65 Betten weisen eine durchschnittliche Beleg-
zifl^er von 57 Kranken auf. Es bestehen drei Verpflegungsklassen
zu M. 2,25, M. 5—6 und M. 8—10 pro Tag.
Das Pflegepersonal stellen die Diakonissenschwestem, von denen
etwa 90 einschl. Hilfs- und Lehrschwestern zur Verfügung stehen,
soweit solche nicht auf den Aussenstationen im Regierungsbezirk in
Krankenpflege und Gemeindedienst Verwendung finden.
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Tafel 41,
SidgQscftoss.
Krankenanstalten. 131
Über die in dem Gebäude untergebrachte Kinderstation im
Erziehungshaus ist oben bereits berichtet. Das Kinderheim bedarf
der Vergrösserung und diese ist bereits in nächster Nähe in Angriff
genommen.
Die Unterhaltungskosten werden ausser durch die Kranken- und
Pflegekosten durch freiwillige Beiträge seitens privater Vereine,
Bezirksverband und Stiftungszinsen getragen. Die Jahresrechnung
schliesst in Ausgabe mit ca. 128000 M. ab.
e. Der Wiesbadener Verein vom Roten Kreuz,
sein Sehwesternheim und Krankenhaus.
Von Dr. Lande.
Der Verein wurde im Jahre 1885 durch den Prinzen Nicolaus
von Nassau ins Leben gerufen. Die ersten Schwestern des Vereins
wurden in dem unter dem Protektorate Ihrer Königl. Hoheit der
Kronprinzessin, späteren Kaiserin Friedrich stehenden Viktoria-
hause zu Berlin ausgebildet; bald jedoch übernahm der Verein die
selbständige Ausbildung seiner Schwestern. Bei der schnell wachsenden
Schwestemzahl machte sich das dringende Bedürfiiis nach einem
eigenen Sehwesternheim geltend und um den Schwestern auch einen
festen Wirkungskreis zu geben, wurde in schönster Höhenlage, am
sonnigen Südabhang des Leberbergs und der Schönen Aussicht, ein
Krankenhaus und Schwesternheim erbaut, welches nach feierlicher
Einweihung am 28. März 1892 seiner Bestimmung übergeben wurde.
Das Krankenhaus bietet nach wesentlichen Veränderungen und
Vergrösserungen zur Zeit Raum für 70 Kranke, welche sich auf
42 Krankenzimmer verteilen. Die Patienten lassen sich vom Arzte
ihrer Wahl behandeln. Durch den Bau eines zweiten, nach den
modernsten Grundsätzen erbauten Operationssaales — der Stiftung
einer hochherzigen Gönnerin des Vereins — ist, da nunmehr zwei
Operationsräume zur Verfügung stehen, allen Ansprüchen der
behandelnden Arzte Rechnung getragen.
Das Schwesternhaus ist inmitten des schönen Gartens erbaut;
an dasselbe sich anlehnend ist eine Dampfwäscherei mit elektrischem
Betriebe, elektr. Dampfinangel etc. errichtet.
Die Anzahl der Schwestern — durch Gründung der neuen
Schwesternschaft im städtischen Krankenhause etwas reduziert —
beträgt zur Zeit 72. Dazu kommen noch 22 Pensionärinnen. Das
Arbeitsfeld der Schwestern ist ein sehr umfangreiches und mannig-
132 Krankenanstalten.
faltiges. In Wiesbaden arbeiten dieselben ausser im eignen Kranken-
hause in der Armen- und Kirchenpflege, der allgemeinen Poliklinik,
dem Wöchnerinnenasyl, der Mutterberatungsstelle, der Nassauischen
Fürsorgestelle für Lungenkranke, der Nervenklinik des Herrn Dr.
Friedländer und in umfangreicher Privatpflege.
Ausserhalb Wiesbadens stellt der Verein seine Schwestern der
Königl. Universitäts- Frauenklinik und Gebäranstalt zu Bonn, der
Königl. Universitäts -Augenklinik zu Bonn, dem Viktoriahospital zu
Godesberg, der Lungenheilstätte zu Naurod, ebenderselben zu Schöm-
berg, der Gemeindepflege zu Sulzbach. Der Verein verfügt ferner
über eine Anzahl Hebammenschwestern, welche in der Bonner
Universitäts-Frauenklinik ihre Ausbildung erhalten.
Einen Beweis für die Tüchtigkeit und Beliebtheit der Schwestern
des Wiesbadener Vereins vom Roten Kreuz bietet auch die Tatsache,
dass aus ihren Reihen bereits 7 Schwestern berufen wurden, um als
Oberinnen an die Spitze bedeutender Schwestern vereine zu treten.
d. Das „Hospiz zum heiligen Geist".
Dirigierender Arzt: Dr. Ant. Pfeiffer.
Das im Besitz und unter der Leitung der Barmherzigen Schwestern
(Kongregation der armen Dienstmägde Jesu Christi) stehende neu-
errichtete grosse Gebäude, Friedrichstmsse 24—28, dient als Kranken-
haus, Schwesternhaus und Mädchenheim („Marienhaus").
Im Hospiz stehen jetzt etwa 60 Zimmer mit 75 Betten zur
Verfügung; viele Einzelzimmer für Privatpatienten. Aufuahme finden
innerlich Kranke jeder Art (ausgenommen Geisteskranke und
ansteckende Krankheiten), jeden Alters und Geschlechts, ohne Unter-
schied der Konfession; der neuerrichtete Mittelbau ist vorzugsweise
für Badegäste bestimmt und demgemäß mit den neuesten Einrichtungen
für Balneotherapie versehen. Es bestehen drei Verpflegungsklassen
zu 2.25, 5.—, 10.— M.
Seit Eröffnung des Neubaues (September) betrug die durch-
schnittliche Belegziffer 42,5.
Den Pflegedienst versehen etwa 20 barmherzige Schwestern.
6. Das St. Josephsspital.
Dirigierende Ärzte: Dr Wehmer und Dr. Hackenbrnch.
Das St. Josephsspital am Langenbeckplatz (Ende der Frankfurter
Strasse), ausserhalb der Stadt in erhöhter Lage erbaut, ist von einem
Krankenanstalten. 133
grossen (ca. 4^2 Morgen) Garten mit Alleen und schattigen Baum-
gruppen umgeben. Von allen Teilen des Hauses eröffnet sich ein
herrlicher Fernblick auf die Stadt mit ihren Garten villen , auf die
Höhenzüge des Taunus und in die Rheinebene.
Das Haus ist nach den Plänen des verstorbenen ersten Chef-
arztes Dr. Fr. Gramer erbaut und im Jahre 1892 bezogen.
Eigentümerin ist das hiesige Filialinstitut der 'Armen Dienstmägde
Christi, deren Mutterhaus sich in Dembach bei Montabaur befindet.
Die Bauart des dreistöckigen eigentlichen Krankenhauses ist ein
einreihiges Korridorsystem. Die Hauptfront liegt nach Südwesten.
Die Grundform des Baues bildet ein Kreuz, da nach Süden ein Vor-
bau an das Haus stösst, welches die Räume für den Verkehr des
Publikums mit dem Hause enthält (Haupt-Treppenhaus, Sprech- und
Wartezimmer, Röntgenkabinet , Pförtnerzimmer und eine grosse,
prächtig ausgestattete Kapelle).
Nach Norden ist ein tieferer Flügel angebaut, der die Wach-
zimmer, Teeküchen, Speise-, Wäsche- und Personenaufzüge, Bade-
zimmer, zwei (chirurg. und gynäkol.) Operationszimmer mit Vor-
bereitungsräumen und Laboratorium enthält.
In jeder Etage befinden sich ausserdem je zwei Loggien und
ein grosser, gedeckter Balkon, die für den Aufenthalt von Rekon-
valeszenten bestimmt sind.
Das Souterrain birgt neben der Küche und den Wirtschafts-
räumen eine Waschanlage mit Dampfbetrieb, eine eigene elektrische
Zentrale (Gleichstrom) und die Zentralheizungs-Kesselräume (System
Bechem u. Post). — Sprachrohre und Telephon ermöglichen eine
bequeme Verbindung der einzelnen Stockwerke.
Aufnahme finden im Josephsspital Kranke jeden Alters und
Geschlechts ohne Unterschied der Konfession, sofern sie nicht an
ansteckenden und Geisteskrankheiten leiden. Vornehmlich werden
operative (chirurg. und gynäk.) Kranke daselbst behandelt und ver-
pflegt. Etwa 90 Kranke können in den vorhandenen 38 Kranken-
zimmern untergebracht werden. Dieselben sind hoch, luftig und
geräumig angelegt, sowie mit eigener Ventilationsanlage versehen.
Der Kubikinhalt der Zimmer pro Patient bewegt sich zwischen 22
(Kinder) und 42 (L Kl.) cbm (Norm 35) nach Art, Klasse und Zahl
der Kranken.
In der L Klasse erhält jeder Kranke ein Zimmer für sich, in
der H. teilen sich zwei Kranke in ein Zimmer, während in der
in. Klasse 5 — 6 Kranke in je einem Saale untergebracht sind.
134 Krankenanstalten.
Die Verwaltung liegt in den Händen der jeweiligen Oberin,
welcher ca. 30 Schwestern und das nötige männliche und weibliche
Dienstpersonal zur Seite stehen.
Die ärztliche Behandlung untersteht zwei dirigierenden Ärzten,
den Herren Dr. Wehmer für die gynäkologische Abteilung (zugleich
Chefarzt des Spitals) und Dr. Hackenbruch für die chirurgische
Station.
Ausserdem sind noch mehrere Hilfsärzte tätig, von denen zwei
im Hause wohnen.
Der Preis für die Verpflegung beträgt:
in der I. Klasse . . . 8—10 M.
„ , n. „ ... 4- 6
, , HI. , ... 2- 2,50 „
Für Aufiiahme und Verpflegung von Mitgliedern der Kranken-
kassen sind besondere Vereinbarungen getroffen.
f. Die Augenheilanstalt zu Wiesbaden.
Dirigierender Arzt: Geh. Sauitätsrat Prof. Dr. H. Pagenstecher.
Die Augenheilanstalt wurde im Jahre 1854 vom Hofrat Dr. med.
Alexander Pagen stech er gegründet. Nach dessen Tode im Jahre
1879 übernahm sein Bruder, der jetzt dirigierende Arzt die ärztliche
Leitung.
Da das alte Gebäude den Anforderungen der modernen Hygiene
nicht mehr entsprach, wurde in den Jahren 1903 — 1905 ein Neubau
aufgeführt; die Pläne hierzu hatte der dirigierende Arzt entworfen.
Die neue Anstalt steht in der Kapellenstrasse, frei in einem Villen-
viertel in der Nähe des Waldes. Der Bau ist in Backsteinen auf-
geführt und mit Vei-putz bekleidet, Fenster- und Türeinfassungen sind
aus Sandsteinen, der Unterbau und das Fundament aus Bruchsteinen.
Die bebaute Fläche beträgt 20 ar 85 qm. Der Garten ist 35 ar
28 qm gross.
Im üntergeschoss liegen die Räume der Poliklinik, das Ver-
waltungs- und Direktorzimmer, der Speisesaal und die Küchenräume.
Im Erdgeschoss ist die Männerabteilung (6 Zimmer, 30 Betten),
sowie die Wohnung des I. Assistenten.
Im ersten Obergeschoss sind die Frauen und Kinder (7 Räume
und 45 Betten) untergebracht.
Im zweiten Obergeschoss liegen 1 1 Zimmer für Kranke I. Klasse
und die Wohnung des II. Assistenten.
Krankenanstalten. 135
Die Krankenzimmer liegen fast sämtlich nach Südwest. Auf
jedes Bett kommt mehr als 1,5 qm Fensterfläche und 35 cbm
Luftraum. Die Bodenfläche pro Bett tibersteigt 7,5 qm.
Die Anstalt hat 2 Treppenhäuser, die Gänge sind 3,5 m breit
und durchziehen das ganze Haus. In der Mitte erbreitern sich
dieselben auf allen Stockwerken zu einem 5 m breiten und 11,5 m
langen Raum, der durch 3 grosse Fenster erhellt wird und in dem
sich die Kranken tagstiber aufhalten. Die Böden in den Kranken-
zimmern sind mit Linoleum belegt. Speisezimmer, Wartezimmer,
Gänge, Klosetts und Tagesräume haben Terrazzoboden. Die Kranken-
zimmer haben Doppelfenster, die unteren Scheiben sind nur mit einem
Schlüssel zu öffnen, die Oberlichter sind auch hinter den Vorhängen
leicht aufzuklappen und ist so stets für Erneuerung der Luft gesorgt.
Als Beleuchtung ist überall Gas und elektrisches Licht vorgesehen,
in den Tagesräumen, den Esszimmem und der Küche wird Gas ge-
brannt; die Krankensäle werden durch elektrische Lampen erhellt.
Diese besonderen Modelle sind nach den Angaben von Dr. Adolf
Pagenstecher eigens konstruiert. In einem nach oben offenen
Porzellantrichter, der innen weiss und aussen grün ist, hängt die
elektrische Birne. Das Licht wird so an die Decke geworfen und
von dort reflektiert. Auf diese Weise fällt nie direktes Licht ins Auge.
In allen Stockwerken findet sich Warm- und Kaltwasserleitung
und genügend Bäder. Im Baderaum sind 5 Waschbecken mit
fliessendem Wasser für die Patienten IL Klasse.
Die Niederdruckdampfheizung wird durch 2 Kessel besorgt, von
denen in der Übergangszeit nur einer brennt. Die Heisswasserleitung
wird von einem besonderen kleinen Kessel aus betrieben. Das Spül-
wasser für die Küche wird vom Herd aus erhitzt. Je ein Personen-,
Wäsche- und Speiseaufzug, sämtlich elektrisch betrieben, gehen durch
das ganze Haus. Ein grosser Garten ermöglicht den Aufenthalt
im Freien.
Ausser dem dirigierenden Arzt sind an der Anstalt 4 Arzte tätig;
5 Schwestern, 1 Wärterin und 1 Wärter besorgen die Krankenpflege.
Im Jahre 1907 wurden 3290 Kranke ambulant und 901 stationär
behandelt (durchschnittlich 70 stationär).
Jeder Augenkranke ohne Rücksicht auf Konfession, Nationalität
und Zahlungsfähigkeit wird aufgenommen, sobald der dirigierende
Arzt oder dessen Stellvertreter es für nötig hält.
Der Tagessatz beträgt für die IL Klasse 2 M., für Kinder unter
12 Jahren 1,10 M., ausschliesslich Arznei und Verbandmittel.
\?A Kjankenanatalten.
Die aritliche Behandlung^ Operation und Pflege ist in der
IL Kütsse unentgeltlich. Ist ein Kranker zahlungsunfähig, so erhält
er eine Freistelle. In der L Klasse betragt der Tagessatz je nach
Lage des Zimmers und Anzahl der Betten 5 — S M. Arztliche Be-
handlung Lst hier l>esonders zu honorieren.
g. RöDigliehe Wilbelmsheilanstalt zu Wiesbaden.
Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. PapenhaiiseiL
Die Aastalt wurde durch Seine Majestät König Wilhelm L
für seine in den Feldzügen 1864 und 1866 verwundeten und erkrankten
Krieger ias Leben gerufen. Die Grundsteinlegung erfolgte in Aller-
höchstseinem Beisein am 14. August 1868. Während des Krieges
1870 71 vorübergehend als Reservelazarett benutzt, erfolgte die Er-
öffnung am 1. Mai 1871. Später wurde die Anstalt zu einon Müitär-
kurhaus erweitert, dessen Unterhaltung aus dem Reichsmilitärfonds
erfolgt.
Die ärztliche Leitung sowie die Gesamtverwaltung der Wilhelms-
Heilanstalt liegen dem Chefarzt ob. Zur militärischen Leitung, ins-
besondere zur Handhabung der Disziplin und Regelung der persön-
lichen Angelegenheiten der Kurgäste ist ihm ein inaktiver Stabsoffizier
beigeordnet. An sonstigem Personal ist vorhanden:
1. 1 Stabsarzt,
2. 2 Ober- oder Assistenzärzte,
S, 1 Lazarett -Verwaltungs- Inspektor,
4. 1 Unterinspektor,
5. 1 Aufsichtsunteroffizier (Halbinvalide),
6. 7 Sanitätsunteroffiziere,
7. 10 Zimmerburschen,
8. 10 Militärkrankenwärter,
9. 1 Geschäftszimmerordonnanz,
10. 1 Pförtner,
11. 1 Maschinist,
12. 1 Bademeister.
Die Verpflegung der Offiziere, Mannschaften, sowie des Personals
der Anstalt ist einem in der Anstalt wohnenden Wirtschafter über-
tragen. In der Anstalt sind Wohnräume für 31 Offiziere und 97
Mannschaften. Ausserdem kann der Chefarzt aktiven und inaktiven
Offizieren usw. die Benutzung der Kurmittel der Anstalt gegen
Bezahlung (50 Pfg. pro Tag) genehmigen, sofern es ohne Beein-
trächtigung der sonstigen Militärkurgäste zulässig erscheint.
Krankenanstalten. 137
Die Gesamtzahl der vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 in der
Anstalt behandelten Offiziere betrug 1030, die der Mannschaften 568.
Heilmittel:
1. Thermalbäder: 21 Badezellen. Einrichtung zur Verabreichung
von Thermalduschen. Die Anstalt verfügt über drei Quellen,
welche durchschnittlich 100 — 115 Liter in der Minute liefern.
Eine vierte, beim Bau der Anstalt erschlossene Quelle eignet
sich besonders zur Trinkkur.
2. Abteilung für Kaltwasserbehandlung : 2 Bassins für Vollbäder,,
ferner Wannen für Halb- und Sitzbäder, Regen-, Strahl-,
Fächer-, Staub-, Ring-, Sitzsprudelduschen usw. Druck und
Temperatur des Duschewassers kann von einer Zentralstelle
aus genau bemessen werden.
3. Römisch-irische und russische Bäder mit ausgedehnten Dusche-
vorrichtungen und Ruhekojen.
4. Abteilung für Fango-Behandlung.
5. Elektrisches Lichtbad.
6. Taller man n-Apparat für therapeutische Verwendung hoher
Lufttemperaturen. Die Heizung geschieht mittels hoch-
gespannten elektrischen Stromes (115 Volt) und zwar auf
120— 145^0.
7. Inhalatorium: Zur Einatmung zerstäubten Thermalwassers
sind an einem Inhalationstisch verschiedene Apparate vor-
handen für Mund und Nase. Die Zerstäubung geschieht
durch komprimierte Luft aus dem Windkessel des Maschinen-
hauses.
8. Manuelle Massage in zwei Massagezimmern von gründlich
geschulten Sanitätsfeldwebeln unter ärztlicher Aufsicht.
Turngeräte (Leiter, Ringe) im Massagezimmer. Ausserdem
Nerven-Massage nach Cornelius durch Arzt.
9. Für die elektrische Behandlung stehen drei Induktionsapparate
und ein Apparat für Galvanisation, Faradisation und Elektro-
lyse für Kaustik und Körperhöhlenbeleuchtung zur Verfügung.
Ferner Vibrations-Massage.
10. Röntgenzimmer.
11. Laboratorium für Urin-, Sputum- und Blut-Untersuchungen.
12. Kaiser Wilhelms -Saal für medico- mechanische Behandlung.
Reichhaltige Apparate meist nach dem System Zander und
Kruckenberg. Der Antrieb der Apparate für passive Be-
wegungen erfolgt durch einen Elektromotor.
138 Krankenanstalten.
h. Polikliniken.
Ausser den stark besuchten Polikliniken der hiesigen grösseren
Anstalten, städtisches Krankenhaus (über 7000 Patienten), Josephs-
hospital, Paulinenstift, Augenheilanstalt (siehe oben) besteht eine
allgemeine Poliklinik, Helenenstrasse 19, in welcher 10 Spezial-
ärzte unentgeltliche Beratung und Behandlung unbemittelter Kranke
gewähren, nach Möglichkeit auch Arznei und Verbandmittel. M. 1000
städtischer Zuschuss und freiwillige Beiträge. Jahresfrequenz 1907:
3921 Kranke. Jahresausgabe ca. M. 2800.
Die Elisabethenanstalt, Luisenstrasse 39, Stiftung des
früher Herzoglich Nassauischen, jetzt Grossherzoglich Luxemburgischen
Fürstenhauses; unentgeltliche Beratung, Behandlung und Arznei-
lieferung an Kinder der Minderbemittelten aus Wiesbaden und Um-
gegend. 2 Arzte (dirigierender Arzt: Hofrat Dr. Koch). Jährliche
Frequenz etwa 4000. Stationäre Behandlung erforderlichen Falles
im Paulinenstift.
Die „Fürsorgestelle für Lungenkranke", 1904 ein-
gerichtet und unterhalten durch den Heilstättenverein und Verein
für Bekämpfung der Schwindsuchtsgefahr (städtischer Zuschuss
M. 1000), Dotzheimerstrasse 9; keine eigentliche Behandlung, nur
Beratung, Unterstützung durch Nahrungsmittel, geeignete Pflege,
Desinfektion , Vermittlung der Heilstätten - Behandlung , Sputum-
untersuchung etc. (dirigierender Arzt: Dr. Mäckler), Kontrolle und
Hausbesuche durch Pflegeschwester. 1907: 163 Kranke, 31105 Liter
Milch, 485 Hausbesuche.
i. Die Nassauisehe Heilstätte für Lungenkranke bei Naurod.
Durch den Nassauischen Heilstätten -Verein zu Wiesbaden 1905
gegründete Anstalt auf 5 ha grossem Waldgelände, nordöstlich von
Wiesbaden, 280 m Höhenlage, 2 Wegstunden entfernt, Bahnverbindung.
54 m langes, dreistöckiges Hauptgebäude, 50 nach Süden liegende
Zimmer, Isolierräume, Laboratorium, Desinfektionsanstalt etc., mit
reichlichen Nebengebäuden, eigenem alleinstehenden Arzthaus, zur
Behandlung chronischer Lungenkrankheiten, Tuberkulose im Anfangs-
stadium, nach den bekannten Grundsätzen für Heilstättenbehandlung.
3 Ärzte (dirigierender Arzt: Dr. Stöhr). Aufnahme von Patienten
des Mittelstandes beiderlei Geschlechtes. Tagespreis 4 — 7,50 M.,
Getränke, Medizin etc. extra.
Krankenanstalten. 139
k. Die Lungenheilstätte zu Ruppertshain
bei Eppstein im Taunus.
Durch Wohltätigkeitsverein gegründete Anstalt für unbemittelte
Lungenkranke beiderlei Geschlechtes, vorzugsweise Krankenkassen-
mitglieder aus dem Regierungsbezirk Wiesbaden (Frankfurt und Wies-
baden) für ca. 140 Kranke (90 männliche, 50 weibliche) bestimmt;
Tagessatz M. 3—3,75.
1. Das „Theodorhaus'^ zu Eppenhain
bei Eppstein im Taunus.
Private Stiftung (Frau v. Knoop) zur Aufnahme von blutarmen,
erholungsbedürftigen Arbeiterinnen, Näherinnen aus Wiesbaden für
«inen vierwöchentlichen Aufenthalt während 5 Sommermonate — an-
steckende, tuberkulöse und besonderer Pflege bedürftige sind aus-
geschlossen. Leitung und Aufsicht durch verheirateten Lehrer. Auf-
enthalt völlig unentgeltlich. Ländliches Gebäude und 75 ar Gelände
für jeweils 15 Zöglinge, in mittlerer, 420 m Höhenlage, erfrischende
•Gebirgsluft.
m. Die Walderholungsstätte
des Vaterländischen Frauenvereins zu Wiesbaden.
Unter Leitung durch die Zentralkommission der Wiesbadener
Krankenkassen. 1 Stunde westlich von Wiesbaden im Walde gelegene
Anstalt (Station Chausseehaus), zum Tagesaufenthalt wähi-end der
Sommermonate, für erholungsbedürftige, leichtkranke, männliche
Patienten, vorzugsweise Kassenmitglieder.
Unterhalten durch Vaterländischen Frauenverein, Landes -Ver-
sicherungsanstalt, Stadt Wiesbaden (jährlich M. 1000), Private und
Kassenbeiträge. Arztliche Aufsicht. Wirtschaftliche Führung und
Pflege durch Schwester vom Roten Kreuz. Frequenz 1907: 185 Kranke
mit 4363 Verpflegungstagen ; durchschnittliche Aufenthaltsdauer
21 Tage. Jahresrechnung mit rund M. 9000 Ausgabe.
140 Fürsorge für Gebärende.
IL Fürsorge für Gebärende.
Arme, unterstandslose, ausserehelich niederkommende Personen
finden jederzeit im städtischen Krankenhaus Unterkunft; Geburts-
station mit 209 Entbindungen 1906/07. Soweit solche Personen noch
reisefähig sind, eventuell schon vom sechsten Schwangerschaftsmonat
an, können sie kostenlos auch in der Universitätsklinik in Marburg
Aufnahme finden.
Auch in dem neu gegründeten, durch barmherzige Schwestern
geleiteten Johannisstift, Platter Strasse 60, können solche
Schwangere Aufnahme, Beschäftigung und Pfiege bis zum Termin
ihrer Niederkunft finden.
Das Wo chn e rinnen asyl, Schöne Aussicht 18, eigenes modern
gebautes Haus, Stiftung eines privaten Vereins, aus freiwilligen Bei-^
trägen und seitens der Stadt gewährten zinslosen Darlehen von
M. 30000, sowie einem städtischen Zuschuss von M. 600 unterhalten
und eingerichtet, bietet verheirateten unbescholtenen Frauen Gelegen-^
heit, bei ungünstigen häuslichen Verhältnissen ihre Niederkunft unter
geschulter Pfiege und ärztlichem Beistande abzuwarten. Arme und
Bedürftige völlig kostenlos. Minderbemittelte gegen mäßiges Entgelt.
Entlassung erfolgt durchschnittlich am 10. Tag nach der Entbindung.
Das Asyl, das den modern hygienischen Anforderungen ent-
spricht, enthält Entbindungs-, Operationszimmer, Sterilisationsraumy
Baderaum und 5 Wöchnerinnenzimmer mit 13 Betten ; dasselbe wird von
Schwestern vom Roten Kreuz geleitet (dirigierender Arzt: Dr. Fuchs).
Wanderkörbe. Für die Geburts- und Wochenbettshygiene
von grossem Werte ist die hier bestehende Einrichtung von „Wander-
körben", d. h. Behälter mit allen zur Entbindung notwendigen
Gegenständen ; sie enthalten 1 Eimer, 1 Bettpfanne, 2 Waschschüsseln,
1 Betttuch, 1 Gummiunterlage, 2 Holzwollkissen, 1 Frauenhemd^
3 Handtücher, Seife, Bürste, aseptische Gaze und Watte etc. Sie
stehen jederzeit auf der Sanitätswache der Feuerwehr und im
städtischen Krankenhaus zur leihweisen Verfügung. Arme unentgelt-
lich. Minderbemittelte gegen Ersatz des Verbrauches. Armenverwaltung
sorgt für Reinigung, Desinfektion und Ersatz des Verbrauchten.
Die Gesundheitskommission. 141
Hebammen praktizieren in Wiesbaden etwa 39 unter Kontrolle und
Prüfung durch den Königlichen Kreisarzt, bisher alle 3 Jahre, voraus-
sichtlich in Zukunft jedes Jahr. Dieselben haben im Jahre 1907 bei
2279 Geburten Hilfe geleistet; bei 302 Geburten war ärztliche Hilfe
•erforderlich ; es erkrankten 20 Wöchnerinnen, darunter 9 an Puerperal-
fieber; es starben in der Geburt 1 Gebärende und im Wochenbett 6
(darunter 2 an Puerperalfieber).
III. Die Gesundheitskommission.
Die städtische Gesundheitskommission (Reichsgesetz vom
16. September 1899) besteht aus 2 Magistratsmitgliedern, darunter
der Stadtbaurat, 4 Stadtverordneten (2 Arzte, 1 Chemiker und
1 Bausachverständiger), dem städtischen Schulinspektor und dem
Königlichen Kreisarzt und Kreis- Assistenzarzt ; letztere Beide mit
beratender Stimme.
Im Jahre 1906/07 kamen in den Sitzungen derselben zur Be-
sprechung : Die Handhabung der Wohnungsaufsicht, Erweiterung der
Schularzt-Einrichtung, Abänderung der Dienstanweisung der Schul-
ärzte, Einführung der Schulzahnpflege, Beschaffung von Jugend-
spielplätzen, das Schulneubauprojekt im Distrikt Kleinfeldchen, Ver-
besserung der sanitären Verhältnisse an den Gemarkungsgrenzen,
Abänderung der Pohzeiverordnung über die Verbringung der Leicheti
in die Leichenhalle u. a. m.
142 Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung.
IV. Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung^
a. HeilpersonaL
Die Zahl der zur Praxis angemeldeten in Deutschland appro-
bierten Arzte betrug 1907 265, die Zahl der Zahnärzte 25, der
approbierten Heilgehilfen 25, Heilgehilfinnen 5, der Tierärzte 9.
Im Ausland approbierte Arzte und Arztinnen 2, Zahnärzte 2»
Der Medizinal-Abteilung der Königlichen Regierung steht vor
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. A. Pfeiffer; Kreisarzt ist
Geh. Medizinalrat Dr. Gleitsmann, Kreisassistenzarzt: Professor
Dr. Frank.
Sanitätspolizeiliche Untersuchungen wurden durch die letzteren
vorgenommen: wegen unerlaubter Ausübung des Heilberufes 21^
wegen unerlaubten Verkaufes von Heilmitteln, Giften etc. 59. Begut-
achtungen öfiFentlicher Gebäude, Plätze etc. 81, von Apotheken 15^
von Nahrungsmitteln 57, von Infektionskranken 58, von Kranken-
häusern, Entbindungsanstalten etc. 36, von Schulen 3, von gewerb-
lichen Anlagen, Badehäusem etc. 49.
b. Pflegepersonal.
Geprüfte Kranken-Pflegerinnen und -Pfleger für
Privatpflege stellen in Wiesbaden vor allem die festen kirchlichen
Organisationen: das Diakonissen-Mutterhaus Paulinenstiftung, das
Diakonissenheim, Emser Strasse 29, das Diakonenheim des Vater-
ländischen Frauenvereins, Philippsbergstrasse 8, das Krankenhaus
der Barmherzigen Brüder, Schulberg 7 und das Institut der Barmherzigen
Schwestern, Friedrichstrasse 24.
Der Wiesbadener Verein vom Roten Kreuz, Schöne Aussicht 21^
stellt eine grosse Anzahl ausgebildeter Pflegeschwestem für die
Privatpflege.
Auch durch die Geschäftsstelle des „Arbeitsnachweises für Frauen *"
im Rathause können Pflegerinnen nachgewiesen werden.
Die zahlreichen nicht inkorporierten Pflegerinnen und Pfleger
werden durch das von den ärztlichen Organisationen eingerichtete
„Ärztliche Bureau", Dotzheimer Strasse 4, den Patienten jederzeit
nachgewiesen. Eintragung der Pflegepersonen unentgeltlich, aber
Sanitäts wache. 143
nur auf Empfehlung durch 2 Arzte; von den Patienten sind 2 M..
Vermittlungsgebühr zu entrichten. Zahl der zur Verfügung stehenden
Pflegerinnen durchschnittlich 50, der Pfleger 20.
Es bestehen in Wiesbaden z. Zt. 3 Vereine von z. T. staatlich,
geprüften Masseuren und Masseusen mit etwa 34 männhchen
und 24 weiblichen Mitgliedern; ein Teil ist auch in B[rankenpflege
ausgebildet. Vermittlung wenn nicht direkt, so durch das ärztliche
Bureau. Preise für Hilfeleistungen in Tarifen festgelegt.
An nicht approbierten Zahntechnikern sind etwa 30 gemeldete
Nicht approbierte Personen haben sich zur Ausübung der Heil-
kunde angemeldet 25.
e. Arzneiversorgung.
Es bestehen in Wiesbaden z. Zt. 12 konzessionierte Apotheken..
Die Drogenhandlungen, welche Geheimmittel und Gifte führen^
werden jährlich durch den Kreisarzt revidiert. Von 41 untersuchten
Handlungen gelangten 2 wegen Übertretungen der bestehenden Vor-
schriften zur Bestrafung.
V. Sanitäts wache.
Von Branddirektor Stahl.
Allgemeines.
Die Sanitäts wache wurde am 13. November 1903 durch Stadt-
verordnetenbeschluss gegründet. Zu diesem Zweck wurden in die
Feuerwehr noch 3 Mann und eine zweirädrige Bahre eingestellt.
Schon nach kurzer Zeit erwies sich dieses Transportmittel als unzu-
reichend, weshalb ein grosser, zweispänniger Unfallwagen mit zwei
übereinanderliegenden Bahren beschafft und die erforderliche Be-
spannung bereit gestellt wurde.
Immer mehr Meldungen von Unfällen und das mangelhafte
Transportsystem für Erkrankte führten schliesslich zu dem Beschluss,.
das gesamte Krankentransportwesen der Berufsfeuerwehr zu über-
tragen, nachdem die Sanitätswache rasch in den Kreisen der Bürger-
schaft beliebt geworden war.
144 Sanitätswache.
Am 1. Mai 1906 wurde dann auch der ganze Betrieb von der
Feuerwehr übernommen, und zu diesem Zweck wurden weitere 2 Mann
und 2 Krankenwagen sowie das zweite Paar Pferde bewilligt.
Die Mannschaften der Sanitätswache sind Feuerwehrleute und
wie alle übrigen durch ärztliche Unterweisung im Samariterdienst
ausgebildet worden. Ein Teil der Feuerwehrleute ist ausserdem im
istädt. Krankenhause zu praktischen Hilfeleistungen verwendet worden.
Infolge der sich stetig mehrenden Inanspruchnahme wurde 1907
ein vierter Krankenwagen beschafft, so dass zur Zeit ein solcher
speziell zum Transport Verunglückter, einer für Infektionskranke
und zwei für andere Kranke vorhanden sind. (Tafel 42.)
Sauerstoff koff'er sind vorhanden.
Die Wagen werden je nach Bedarf täglich 1 — 2 mal mittelst
Formalinapparat desinfiziert. Die Mannschaften haben einen besonderen
Wacht- und Ankleideraum mit den erforderlichen Kleidungsstücken,
Waschgelegenheit, Bad etc.
Bei starkem Betriebe werden je nach Bedarf Reservepferde
eingestellt ; auch Mannschaften des Reservezuges abgegeben und diese
wieder mit dienstfreien durch Weckeranruf ersetzt.
Hilfeleistungen.
Es fanden statt:
1906: 372 Unfalltransporte,
509 gewöhnliche Transpoi-te,
50 von Infektioftskranken.
Verbände wurden 28 angelegt.
1907: 396 Unfalltransporte,
827 gewöhnliche Transporte,
120 von Infektionskranken.
Verbände wurden 64 angelegt.
Kosten.
5 Mann, ä 1200 M. jährlich 6000 M.
4 Pferde und 2 Fahrer 5600 „
Bekleidung 250 „
Verbandszeug etc 250 „
Unterhalt der Wagen 500 „
Sa. . . 12600 M.
Tafel 42.
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Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische, Taubstumme und Blinde. 145
Tarif.
Je eine Stunde Transport I. Klasse . . . 10, — M.
» » » n ■'"'■• » ... Dj jf
TTT 9
Transport eines Verunglückten .... 6,50 „
Die Kosten werden aber auch in vielen Fällen niedergeschlagen.
VI. Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische,
Taubstumme und Blinde.
Wiesbaden besitzt keine eigenen Anstalten zur Unterbringung
der genannten Hilfsbedürftigen und ist genötigt, die staatlichen bezw.
unter Aufsicht und Leitung des Bezirksverbandes und der Provinzial-
regierung stehenden Anstalten, sowie private und Stiftungsanstalten
in Anspruch zu nehmen.
Es kommen hierbei in Betracht die Irrenanstalten Eichberg im
Rheingau, Weilmünster im Taunus; die Idiotenanstalt in Idstein,
Scheuern und Montabaur; für Epileptiker Valentinshaus in Kiedrich
und Bethel; für Krüppel die Anstalt Hephata in Treysa; für Taub-
stumme die Anstalt in Camberg.
In Wiesbaden befindet sich nur eine Blindenanstalt, Vereins-
anstalt mit Unterstützung des Bezirksverbandes. Auf ca. 87 ar grossem
Gelände an der Walkmühlstrasse; sie beherbergt im ganzen zur Zeit
65 Zöglinge ; hiervon sind 49 zur Schule und Ausbildung eingewiesen.
16 erwachsene weifcliche Blinde im sogenannten Blindenheim zu
dauernder Unterkunft und Beschäftigung.
Die Anstalt wird, dem steigenden Bedürfnisse entsprechend,
durch einen grossen im Bau begriffenen Neubau vergrössert, nach
dessen Fertigstellung 90 — 100 Pfleglinge Unterkunft finden können.
An Pflegekosten werden erhoben für Kinder 200 — 300 M. ; für
Erwachsene 200 — 400 M. Für Nichtangehörige des diesseitigen Bezirks-
verbandes erhöhen sich diese Sätze auf 400 — 500 M.
10
146
Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide.
1810,
1249,
62,
121,
53,
159,
64,
132,
77.
Anstalten 327,
3. Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide.
Der Fürsorge der städtischen Armenverwaltung fielen
anheim 1906/07 an unterstützten Familien und einzelstehenden
erwachsenen Personen 3727, an Kindern (ausser Waisen) 490.
Von den ersteren waren untergebracht
in offener Armenpflege
im städt. Krankenhause
in der Augenheilanstalt
in Irrenanstalten . .
im Versorgungshaus .
im Armen- Arbeitshaus
in Familienpflege . .
in andern Gemeinden
in verschiedenen Anstalten
Von den 490 Kindern befanden sich m Anstalten öZi, m
Privatpflege 107 und auswärts 56.
Von den insgesamt 4217 unterstützten Personen wurden vorüber-
gehend unterstützt 3050, dauernd 1167.
Die Gesamtaufwendungen der Armenverwaltung hierfür, ein-
schliesslich Verwaltungskosten, betrugen 364928 M.
Die private Wohltätigkeit und Armenpflege wird durch eine
grosse Zahl von Werktätigen Vereinen geübt : dem Armenverein, dem
Wiesbadener und Vaterländischen Frauenverein, dem Elisabethenverein,
dem altkatholischen Frauenverein, Verein vom heiligen Vinzenz, dem
kirchlichen evangelischen Hilfsverein, israelitischen Unterstützungs-
verein, Kaufinännischen Verein usw.
Der Fürsorge für Arbeitsinvalide, Sieche dient das Ver-
sorgungshaus für alte Leute, Schiersteiner Strasse, eine Privat-
stiftung (Zimmermann), in welcher über 50 Jahre alte Personen
beiderlei Geschlechtes, sofern sie noch so rüstig sind, dass sie keiner
besonderen Pflege und fremder Hilfe bedürfen, Unterkunft finden.
Es bietet Raum für etwa 80 Pfründner in 18 Zimmer zu 4 und
2 Betten, gegen einen jährlichen Pflegesatz von 140 M. Die Anstalt
ist finanziell gut fundiert; ärztliche Aufsicht. Fast ^/,q der Insassen
werden durch die städt. Armen Verwaltung eingewiesen.
Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide. 147
Das Damenheim Kreidelstift, Walkmühlstrasse, ebenfalls
private Stiftung (Kreidel) ist bestimmt, wenig bemittelten alten
einzelstehenden Damen der besseren Stände ein dauerndes Heim zu
bieten ; Pflegesatz 60 — 90 M. monatlich. Etwa 30 Einzelzimmer.
Auch im Paulinenstift, Hospiz zum heiligen Geist und katholischen
Brüderhaus finden Altersschwache und Sieche lebenslängliche Pflege.
Das städtische Armen-Arbeitshaus, Mainzer Landstrasse,
städt. Anstalt auf Stiftungen und Zuschüssen fundiert; 85,61 ar grosses
Gelände mit Schlafsälen, Arbeitsräumen, Wirtschaftsräumen etc.,
Krankenzimmer, Baderäume, Desinfektionsraum etc., zur Aufnahme
von ca. 120 Personen beiderlei Geschlechts eingerichtet.
Es dient zur Aufnahme von Altersschwachen, keiner besonderen
Pflege bedürftigen Siechen und zeitweiser Unterbringung von Arbeits-
und Wohnungslosen. Beschäftigung in Haus- und Gartenarbeit und
angegliedertem landwirtschaftlichem Betrieb. Arztliche Aufsicht. Bei
ca. 0,75 M. täglichen Pflegekosten Jahresausgabe von 25670 M.
Für die ärztliche Versorgung erkrankter Armen ist die
Stadt in 12 Armenbezirke eingeteilt, für welche 5 Armenärzte,
Stadtärzte, nebenamtlich, ohne Pensionsberechtigung, angestellt sind.
900 M. Anfangsgehalt, alle 2 Jahre steigend bis 1350 M. ; ausserdem
ca. 200 M. für Wahrnehmung der Leichenschau verstorbener Armer.
1906/07 wurden behandelt 4235 Krankheitsfälle mit 6399 Besuchen
und 6220 Konsultationen.
Die Suppenanstalt des Wiesbadener Frauenvereins
gewährt während der Wintermonate Armen und Bedürftigen gegen
ein geringes Entgelt von 0,30 M. ein einfaches nahrhaftes Mittagessen»
sowie Kafl'ee und Milch.
In vier Volks-Kaffeehallen des Vereins vom blauen Kreuz und
des Vereins gegen Missbrauch geistiger Getränke, werden durch-
schnittlich an 500 Personen gegen billigen Preis alkoholfreie Getränke
und Nahrungsmittel verabreicht. Jahresaufwendung ca. 1000 M.
10*
148 Fürsorge für Gefangene.
4. Fürsorge für Gefangene.
In dem neuen grossen Gebäude der Königl. Polizei -Direktion,
Friedrichstrasse, sind zur vorübergehenden Unterbringung der PoHzei-
gefangenen Zellen eingerichtet für 58 Männer und 23 Frauen.
Männer: Frauen:
Bestand am 1. Januar 1907 . 15 3
Zugang im Laufe des Jahres . 3090 342
Abgang im Laufe des Jahres . 3081 342
Bestand am 31. Dezember 1907 24 3
Es erkrankten unter diesen 8 Männer und 4 Frauen.
Das Justizgefängnis, Albrechtstrasse, ist eingerichtet für 210
Männer und 41 Frauen.
Männer : Frauen :
Bestand am 1. Januar 1907 . 214 20
Zugang im Laufe des Jahres . 2283 609
Abgang im Laufe des Jahres . 2290 608
Bestand am 31. Dezember 1907 207 21
Hiervon wurden krank gemeldet 790 Männer und 263 Frauen. Die
Mehrzahl derselben sind Krankmeldungen zu Täuschungsversuchen
und leichtere Erkrankungen. Am 31. Dezember 1907 betrug der
Krankenstand 27 Männer und 6 Frauen. Die tatsächlich Erkrankten
finden erforderlichen Falles Aufnahme im städt. Krankenhaus.
H. Verhütungs- und Desinfektionswesen.
I. Die städtische Schlacht- und Viehhof- Anlage.
Von Direktor Thon.
Die städt. Schlacht- und Viehhofanlage wurde in den Jahren
1882—1884 gebaut und am 16. April 1884 dem Betrieb übergeben.
Das Gelände, auf welchem dieselbe errichtet, umfasst eine Grösse
von 2,8 ha. Die Schlachthof anläge bestand ursprünglich aus einem
Verwaltungsgebäude, in welchem sich die Bureaus, die Wohnungen
der Beamten und die Restauration befinden, den drei Schlachthallen
(für Grossvieh, Schweine und Kleinvieh), dem Maschinenhaus, der
Kuttelei, dem Kühlhaus und einem Remisenbau.
Die Viehhofanlage bestand aus einem Grossviehstall, einem
Kleinviehstall, einer Zuchtviehmarkthalle, sowie einem Marktplatz.
Auf einem abgesonderten Gelände befand sich die Sanitätsanstalt.
Ein Bohrbrunnen von 236 m Tiefe versorgte die Anlage mit Nutz-
wasser. Die Kosten der ursprünglichen Anlage betrugen ca. 740000 M.
Im ersten Betriebsjahr wurden 6179 Stück Grossvieh, 17070
Schweine und 20526 Stück Kleinvieh geschlachtet. Sämtliche mit
der Bahn ankommende Tiere mussten an dem ehemaligen Ludwigs-
bahnhof ausgeladen und zu Fuss oder per Wagen nach dem Schlachthof
transportiert werden. Um diesem Übelstande zu steuern wurde im
Jahre 1900 von dem Ludwigsbahnhof zum Schlachthof ein Anschluss- •
gleis mit Ausladerampe gebaut. Im Jahre 1898 und den folgenden
Jahren wurden verschiedene Neu- resp. Erweiterungsbauten in der
Anlage vorgenommen.
Das Kühl- und Maschinenhaus wurde teils neu- teils umgebaut.
Das Ganze wird von einem Wasserturm gekrönt. In dem obersten
Stockwerk des Turmes befinden sich vier Kaltwasserreservoires und
ein Heisswasserreservoir von je 60 cbm Inhalt. Im zweiten Stock-
werk befindet sich das Trichinenschauamt, im Mittelstock befinden
sich die Baderäume, zwei Wannen- und vier Brausebäder, welche mit
Kalt- und Warmwasser gespeist werden. Im unteren Geschoss sind
die Eisschränke zur Aufbewahrung des in dem nebenanliegenden
150 I^i® städtische Schlacht- und Viehhof -Anlage.
Baume erzeugten Eises aufgestellt. Es können täglich bis 300 Zentner
Eis in Blöcken von 50 Pfiind ausgestossen und abgegeben werden.
Im Maschinenbaus wurden 2 ^Maschinen aufgestellt, eine liegende
Tandemmaschine von 250 P. S. und eine Reservemaschine von
50 F. S. Zwei Dynamos von je 126 Ampere laden die Akkumu-
latoren und versorgen die ganze Anlage mit elektrischem Licht.
Die Grossvieh-, Schweine- und Kleinvieh-Schlachthalle wurden
durch Transportgeleise mit dem Vorkühlhaus verbunden, in der Gross-
viehhalle wurden Patentwinden und Spreizen angebracht, sodass die
ausgeschlachteten Tiere sofort nach dem Schlachten nach dem Vor-
kühlhaus geschafft werden können, wodurch die Hallen bedeutend
an Raum gewinnen. Die Kühlung des Kühlhauses erfolgt durch
kalte Luft, welche in die an der Decke angebrachten Holzluftschächte
aus den Luftkühlem mittelst Ventilatoren eingeführt wird. Ein
neuer Brunnen von 100 m Tiefe wurde in der Nähe des Kesselhauses
gebohrt.
Im Jahre 1902 wurde der Schlachtzwang auch auf Pferde aus-
gedehnt und die ursprünghche Sanitätsanstalt als Pferdeschlachthaus
eingerichtet; ebenso wurde der Remisenbau in eine Verkaufshalle
für eingebrachtes Fleisch umgebaut. Da die Stallungen den An-
forderungen nicht mehr genügten, wurden die Kleinviehstallungen
zu Grossviehställen umgebaut und eine neue Kleinviehmarkthalle, die
zugleich als Stallung dient, erbaut. Dieselbe ist 56 m lang, 30 m
breit und 13 m hoch. Mittelst einer Transportbahn werden die
Schlachttiere nach den Schlachthallen geschafft. In der Halle
befinden sich 32 Buchten für Schweine und 29 Buchten für Kälber
und Hammel. Die Ausladerampe schloss sich der Halle dicht an,
sodass das mit der Bahn ankommende Kleinvieh direkt in dieselbe
eingetrieben werden konnte.
Durch die Neuanlage des Bahnhofes wurde im Jahre 1905 der
Bau einer neuen Viehrampe auf der westlichen Seite der Anlage
erforderlich. Die Länge der Rampe beträgt 106 m, die Breite lim.
Auf der Rampe befinden sich 1 1 mit Eisenrohren umwehrte Buchten,
in welchen die Tiere bei ihrer Ankunft^durch die Tierärzte untersucht
werden.
Da die beiden Brunnen verschlammten und trotz Aufwendung
beträchtlicher Mittel nur noch einen verschwindend kleinen Teil des
Bedarfes an Nutzwasser lieferten, sodass jährlich für ca. 23000 M.
Wasser aus der städt. Leitung entnommen werden musste, sah sich
die Verwaltung vor die Notwendigkeit gestellt, einen neuen Brunnen
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,^—1
Tafel 43.
[Tr]TWliiTi'i'i'Fnm^^
Die städtische Schlacht- und Viehhof -Anlage. 151
anzulegen. Nach verschiedenen Bohrversuchen wurde in der Nähe
des Pferdeschlachthauses mit dem Bau eines Schachtbrunnens begonnen.
Der Brunnen hat eine Tiefe von 10,62 m und einen Durchmesser von
2,50 m. Zur Förderung des reichlich vorhandenen Wassers dienen zwei
Zentrifugalpumpen von ca. 20 cbm stündlicher Leistung. Der ganze
Bedarf an Nutzwasser kann jetzt aus diesem Brunnen gedeckt werden.
Da es sich herausgestellt hat, dass dieses Wasser wegen seines Kalk-
gehaltes zur Kesselspeisung nicht geeignet ist, wird zur Zeit eine
Wasserreinigung gebaut, deren Kosten sich auf ca. 10000 M. belaufen.
Der östliche Teil des Kühlhauses wurde um ein Stockwerk
erhöht und in diesem Raum die städt. Säuglingsmilchanstalt ein-
gerichtet, welche im April 1907 in Betrieb genommen wurde. In
derselben wurden im abgelaufenen Jahr 47200 Liter Vollmilch und
ca. 24 Zentner Zucker verarbeitet.
Durch die Zunahme der Schlachtungen — im letzten Betriebs-
jahre 9260 Stück Grossvieh, 42821 Schweine und 29000 Stück Klein-
vieh — genügen die Schlachthallen, hauptsächlich die Schweine- und
Kleinviehschlachthallen nicht mehr den Anforderungen und schweben
zur Zeit Verhandlungen betr. die Vergrösserung bezw. Neuanlage
von weiteren Schlachthallen.
Die Grösse (Grundfläche) der einzelnen in der Schlachthofanlage
errichteten Gebäude (Tafel 43) ist aus der nachfolgenden Zusammen-
stellung ersichtlich.
Verwaltungsgebäude 515,60 qm,
Fleischmarkt mit Portierwohnhaus . 493,00 „
Kühlhaus etc 1885,86 „
Schlachthallen 1569,57 „
Kuttelei etc 347,59 „
Stall für österr. Vieh und Häutelager 767,56 „
Grossviehstall 1176,10 ,
Stall und Sanitätsanstalt .... 412,92 „
Kleinviehmarkthalle 1913,35 „
Pferdeschlachthaus 152,52 ^
Portierhäuschen (3 Stück) ... 41,58 ^
Brunnenhäuschen 49,28 „
Zusammen . 9324,93 qm.
Die Kosten der Gesamtanlage einschliesslich Grund und Boden
belaufen sich zur Zeit auf ca. 3000000 M.
152 Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs.
2. Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs.
Der eigentliche Marktverkehr (städt. Marktordnung vom
1. Dezember 1901) für Gemüse, Obst usw. findet auf dem offenen
ca. 2143 qm grossen Marktplatz neben dem Rathaus und einigen
kleineren anderen Plätzen statt.
Der grosse unter dem Marktplatz befindliche Marktkeller bietet
den Händlern in sanitärer Hinsicht gute einwandfreie Lagerräume
für aufzubewahrende, nicht verkaufte Waren, gegen einen bilHgen
Preis. Dadurch wird dem Aufbewahren in einzelnen Häusern mit
ungeeigneten Räumen entgegengewirkt. Auch wird für die übrigen
Verkaufsplätze seitens der Akziseverwaltung nur solchen Händlern
Erlaubnis erteilt, welche entweder den Marktkeller benutzen oder zu
Hause einwandfreie Aufbewahrungsräume nachweisen.
Zum Schutze des Publikums bestehen Polizei -Vorschriften vom
2. Dezember 1902, welche den 'Gebrauch von bedrucktem oder be-
schriebenem Papier zum Einwickeln der Waren, das Betasten derselben,
das Mitbringen von Hunden an die Verkaufsstände etc. verbieten;
auch bestehen über den Transport und das Auslegen von Fleischteilen
besondere Bestimmungen, desgleichen für die Abgabe minderwertigen
Fleisches auf der Freibank.
Die Polizeiverordnung über den Verkehr mit Milch (vom
November 1903) enthält Bestimmungen über: die Anzeigepflicht, die
Bezeichnung und Beschaffenheit der Verkaufsware, über die Rein-
haltung der Kühe und der Melkenden, über die Beschaffenheit der
Aufljewahrungsräume, der Stand-, Transport- und Messgefässe, der
Transportwagen etc. Sondervorschriften für Kindermilch, Gesundheits-
milch u. dergl. (jährliche Tuberkulinimpfung der Kühe!).
Über den Milchhandel und -verbrauch sind bestimmte Zahlen
nicht zu ermitteln. Die grössere Menge Haushaltungsmilch wird aus
dem angrenzenden Landbezirke eingeführt und auch für diese
Bezugsquellen bestehen sanitätspolizeiliche Vorschriften. In Wies-
baden selbst sind ausser vereinzelten landwirtschaftlichen Betrieben
5 grössere „Milchkuranstalten" mit eigener Stallhaltung, vorzugsweise
zur Lieferung von „Kur- und Kindermilch", letztere in verschiedenen
Mischungen und Zubereitungen.
Impfwesen. 155
Die chemische Untersuchung der Nahrungsmittel^
laut Reichs-Nahrungsmittelgesetz vom Mai 1879, geschieht durch das^
Laboratorium Fresenius dahier.
Milchproben werden durch Polizeiorgane im Sommer 5 mal
wöchentlich, im Winter 4 mal dem Marktverkehr entnommen und zur
Untersuchung gebracht.
1907/08 wurden in dem genannten Laboratorium untersucht:
Milchproben 160, davon beanstandet 8;
an sonstigen Nahrungsmitteln : Butter, Fleischwaren, Gewürzen, Frucht-
säften etc. 157 Proben;
von 30 Butterproben wurden beanstandet 1
„ 6 Margarineproben „ „ —
„ 20 Schmalzproben „ „ —
„ 28 Hackfleischproben „ „ 4
„ 18 Wurstproben „ „ 2
„ 8 Bierproben „ , —
Auf privates Ersuchen erfolgten Untersuchungen von 12 Milch-
und 267 Weinproben. Von den ersteren wurde 1 beanstandet.
3. Impfwesen.
Die Vornahme der öffentlichen Impfungen ist in Wiesbaden den
fünf Stadtärzten (Armenärzten) übertragen. Als Impflokal dient
z. Z. das Gebäude des früheren Hessischen Ludwigsbahnhofes; das-
selbe genügt nur bescheidenen Ansprüchen in hygienischer Hinsicht.
Bei rund 105000 Einwohnern waren im Jahre 1907 impfpflichtig
für die Erstimpfung insgesamt 3530 Kinder, hiervon sind teils
vorgeimpft, teils verzogen und verstorben 764 in Abzug zu bringen;,
von den verbleibenden 2766 wurden 1249 öffentlich und 925 privatim
geimpft; 592 wurden z. Z. befreit bezw. der Impfung entzogen.
Wiederimpflinge waren nach Abzug der bereits vorgeimpften
vorhanden 1762, hiervon wurden öffentlich geimpft 1322, privatim
357 und von der Impfung befreit und entzogen 83.
Die Lymphe wird aus der Kgl. L3miphanstalt in Cassel bezogen.
Als Honorar erhalten die Impfärzte je M. 200. — und der älteste
Arzt für Geschäftsführung etc. weitere M. 50. — .
154 Überwachung der Prostitution. — Bestattungswesen und Friedhöfe.
4. Überwachung der Prostitution.
Die Zahl der eingeschriebenen Dirnen schwankt zwischen 40
und 90. Jede derselben wird zweimal wöchentlich durch den Kreis-
arzt in besonderen Räumen des Polizeigebäudes untersucht.
Bei jeder dritten Untersuchung findet mikroskopische Unter-
suchung statt. (Bei 2893 Gesamt -Untersuchungen 1110.)
Es wurden 1907 krank befunden 27 (-=27,8 ^Iq der Untersuchten)
und sofort dem Hospitale zugeführt.
Seitens der Stadtärzte erfolgte die Anzeige von 38 Syphilis-
und 42 Gonorrhoeerkrankungen.
5. Bestattungswesen und Friedhöfe.
Für die Friedhofsangelegenheiten der Stadt Wiesbaden besteht
eine besondere Friedhofsdeputation, aus 2 Mitgliedern des Magistrats,
2 Stadtverordneten und dem Vorsteher der Strassenbauabteilung.
Das Personal der Friedhofsverwaltung besteht aus 2 Aufsehern
(städtischen Beamten) und 12 Leichenbestattern und Totengräbern (im
Tagelohn beschäftigt).
Laut Polizeiverordnung vom 4. September 1903 darf die Leichen-
schau nur von approbierten Ärzten ausgeübt werden.
Laut Polizeiverordnung vom 27. Juni 1904 sind die Leichen
sämtlicher in Wiesbaden verstorbener Personen spätestens innerhalb
24 Stunden nach dem Tode mittels städtischen Leichenwagens in
die Leichenhalle zu verbringen. Ein längeres Belassen der Leichen
in Wohnhäusern ist nur dann gestattet, wenn von einem approbierten
Arzte bescheinigt wird, dass gesundheitliche Bedenken nicht im Wege
stehen. Bei Todesfällen von anzeigepflichtigen Infektionskrankheiten
ist keinerlei Ausnahme gestattet.
Gebühr für die Einstellung von Leichen wird bei hiesigen Ein-
wohnern nicht erhoben, für Leichen von Ortsfremden sind 25 Pfg.
pro Stunde zu entrichten.
Bestattungswesen und Friedhöfe.
155
Der Leichentransport erfolgt mittels Leichenwagens (besonderer
Kinderleichenwagen). Es wurden verbracht Erwachsene 934 (46 nach
auswärts und 37 von auswärts), Kinder 176.
Von dem Rechte des Tragens der Leichen von Kindern (unter
2 Jahre alt) wurde in 405 Fällen Gebrauch gemacht.
Die Begräbnistosten sind durch besonderen Tarif geregelt.
Die Zahl, Fläche und Benutzung der in Gebrauch befindlichen
Friedhöfe ergibt folgende Tabelle:
Friedhöfe
Zahl
F
h
lach
a
e
qm
Beerdigte Leichen
Kinder Er-
unter l-U wach-
1 Jahr Jahren gene
Stadt. Friedhöfe (paritätisch) . .
Jüdische Friedhöfe
Griechisch-katholischer Friedhof .
2
3
1
21
1
24
51
89
444
5
154
3
888
24
4
Zusammen . .
6
4
22
' 16
75
11
89
89
449
157
916
Hiervon ausser der Bauzone gelegen
1522
Die Beisetzung der Leichen geschieht auf dem städt. Friedhofe
in unentgeltlichen Reihengräbem, wenn nicht Kaufgräber bezw. Grüfte
erworben sind. Die Preise für die letzteren schwanken zwischen
150, 300, 500 und 1200 M.; ausser den Kosten der Gruftmauerung.
1906/07 wurden für 96260 M. Grabstellen verkauft.
Die Belegungsfrist für die Reihengräber ist durch Nassauische
Verordnung auf 20 — 25 Jahre festgelegt, unterliegt aber den jeweiligen
genaueren Bestimmungen durch den Regierungs-Präsidenten.
Die Benutzungsdauer für Kaufgräber beträgt 50 Jahre, nach
•deren Ablauf neue Vereinbarungen zu treffen sind.
Es wurden 1906/07 beigesetzt:
in Reihengräbern für Erwachsene . . . 606 Leichen,
„ i, y, Kinder 590 „
„ Kaufgräbern und Grüften 180 „
„ schon belegten Gräbern 110 „
Auf dem neuen Friedhof an der Platterstrasse befinden sich
zwei Urnenhallen zur Aschenbeisetzung.
Die kleinere, vom Verein für Feuerbestattung 1895 erbaut,
bietet Platz für 60 Urnen und ist voll belegt.
Die grössere ist von der Stadtgemeinde erbaut und bietet Platz
für 512 Urnenkammern; sie ist seit 1902 in Benutzung.
156 Bestattongswesen und Friedhöfe.
Die Preise für einen Umenplatz, je nach Lage und Dauer^
schwanken zwischen 100 und 300 M.
Im Jahre 1906/07 erfolgten 63 Äschenbeisetzungen; insgesamt
bis Ende März 1907: 361. Die Feuerbestattung hier Verstorbener
erfolgt meist in den zunächst gelegenen Krematorien: Mainz, Heidelberg»
OfFenbach.
Kreisärztliche Zeugnisse für Feuerbestattung wurden erteilt 1907:
im Stadtkreis 103, im Landkreis 4.
Der Rechnungsabschluss der Friedhofsverwaltung schliesst ab
mit 75742 M. in Einnahme und 88441 M. in Ausgabe.
Dem wachsenden Bedtirfiiisse entsprechend, war die Stadt
gezwungen, neues Gelände für einen Friedhof zu erwerben. Es sind
hierfür im Süden, zwischen Frankfurter Strasse und Mainzer Land-
strasse ca. 255 000 qm angekauft worden (Tafel 44).
Die Anlage ist soweit gediehen, dass mit der Belegung baldigst
begonnen werden kann. Die Leichenhalle mit Zellen, Sektions-
räumen etc. ist fertiggestellt.
Durch Regierungs-Verfügung ist die Gräbergrösse für diesen
neuen Friedhof etwas grösser als bisher üblich festgelegt worden^
und zwar:
für Erwachsene 2,50 : 1,20 m = 3,00 qm,
„ Kinder von 5—15 Jahren 2,00:1,10 „ =2,20 „
unter 5 Jahren . . 1,50 : 0,80 „ = 1,20 „
bei durchschnittlich 0,50 bezw. 0,30 m Zwischenraum und 1,80 bezw.
1,40 m Tiefe.
Nach diesen Maßen würde der neue Friedhof für etwa 25550
Gräber für Erwachsene, 1870 für Kinder über 5 Jahre und 10900 für
Kinder unter 5 Jahren Raum bieten und für etwa 25 Jahre ausreichen.
Die Gesamtkosten sind zu über 2 Millionen Mark veranschlagt.
Die Wiederbelegung der Reihengräber richtet sich nach der
Bodenbeschaffenheit und dem Verlaufe des Verwesungsprozesses. Der
letztere war bei einer versuchsweise erfolgten Ausgrabung auf dem
neuen Friedhofe der Platterstrasse nach etwa 25 jähriger Belegdauer
noch nicht soweit fortgeschritten, dass seitens der Kgl. Regierung
die Erlaubnis zur Neubelegung erteilt werden konnte.
Säd-f'
Tafel 44.
riedhof.
öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 157
6. Öffentliches Desinfektionswesen und
die Desinfektionsanstalt.
Von Oberingenieur Frensch.
Die Ausführung der Desinfektionen geschieht nach Maßgabe
der Bestimmungen des Gesetzes betreflPend die Bekämpfung über-
tragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 durch die Desinfektions-
Abteilung des städtischen Kanalbauamtes, das zu diesem Zweck über
einen Oberdesinfektor und sechs Desinfektoren verfügt, die sämtlich in
der Desinfektorenschule zu Frankfurt a. M. ausgebildet und staatlich
geprüft sind.
Die vortrefflichen Gesundheitsverhältnisse Wiesbadens, ins-
besondere der nahezu völlige Mangel an ansteckenden Krankheiten,
hätten an und für sich die Bereitstellung einer so verhältnismäßig
grossen Anzahl an Desinfektoren nicht erforderlich gemacht, wenn
man nicht bei der Bedeutung Wiesbadens als internationaler Kurstadt
Wert darauf gelegt hätte, dem Auftreten aller nur denkbaren Möglich-
keiten begegnen zu können.
Die städtischen Desinfektoren — mit Ausnahme des in der
öffentlichen Desinfektionsanstalt ständig anwesenden Desinfektors —
sind darum auch nur verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen
und werden, wenn keine Desinfektionen vorliegen, anderweit beschäftigt.
Die Anmeldung von Desinfektionen bei Privaten erfolgt in der
Regel durch den Haushaltungsvorstand, und bei zwangsweiser An-
ordnung der Desinfektion durch die Königliche Polizeidirektion nach
vorheriger Anhörung des Kreisarztes..
Nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die im Jahre
1906/07 ausgeführten Desinfektionen.
Für diejenigen Personen und Haushaltungs vorstände, die von
der Armenverwaltung dauernd unterstützt oder nach deren Gutachten
als unbemittelt zu betrachten sind, wird die Desinfektion ganz bezw.
teilweise gebührenfrei ausgeführt. Die erwachsenen Kosten werden
aus der Kasse der Armenverwaltung vergütet. Diese Vergütungen
werden nicht als Armenunterstützungen betrachtet.
158
öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt.
Typhus
Diphtherie
Scharlach
Masern
Tuberkulose
Lungenentzündung .
Krebs
Sonstige Krankheiten
Zusammen
Im Jahre 1906/07 betrugen die Gesamtausgaben
für Desinfektionen 2020,80 M^
wovon auf Unterhaltung der Betriebsgeräte und Neu-
beschaffung 255,20 „
entfallen, sodass 1765,60 M
für die Ausführung der Desinfektionen in Betracht komanen.
Hiemach wurde für eine Desinfektion im Durchschnitt verausgabt:
1765,60 , ,^^^
— 1-?~ — = rund 10 M.
1 /o
Die Einnahme stellte sich insgesamt auf 2184 M.
Die Desinfektion in den Wohnungen erfolgt unter Verwendung^
von Spray- und Verdampfungsapparaten, vermittelst derer Formal-
dehyd durch Zerstäuben mit Wasserdampf aus der etwa 35 prozentigen
Formaldehyd enthaltenden käufhchen wässerigen Formaldehydlösung
entwickelt wird.
Die Einwirkungsdauer der Formaldehyddämpfe in den gut
abgedichteten und verschlossenen Räumen dauert 7 Stunden, nach
welcher Zeit sämtliche Ansteckungskeime abgetötet sind. Zur Un-
schädlichmachung der zur Verwendung gekommenen Formaldehyd-
dämpfe, die auf die Schleimhäute der Luftwege, der Nase und der
Augen stark reizend wirken, werden nach Ablauf der 7 Stunden
etwa eine Stunde lang die Dämpfe einer 25 prozentigen Ammoniak-
lösung in den Raum eingeleitet, worauf dieser ohne weiteres wieder
benutzt werden kann.
Da die Desinfektion mit Formaldehyddämpfen nur solche Krank-
heitskeime abtötet, die den Oberflächen der in Betracht kommenden
öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 159^
Gregenstände anhaften, so werden Bettwerk und sonstige, eine Tiefen-
einwirkung der Desinfektion erfordernde .Gegenstände in den Dampf-
Desinfektionsapparaten der öffentlichen Desinfektionsanstalt behandelt.
Das letztere geschieht auch mit derartigen Gegenständen aus dem
städtischen Krankenhause sowie bei den dort vorkommenden und die
Desinfektion erforderlich machenden Krankheitsfällen, die übrigens
in vorstehender tabellarischer Zusammenstellung nicht enthalten sind.
Die Desinfektion in der Anstalt wird gewöhnlich mittelst ge-
spannten strömenden Wasserdampfes von 103® C. ausgeführt. Für
empfindliche Gegenstände, die diesem Hitzegrad nicht ausgesetzt
werden dürfen, wie Pelzwerk, Lederzeug, bessere Kleidungsstücke
und dergleichen, finden unter Vakuum erzeugte Formaldehyd- Wasser-
dämpfe von 75 bis 80® C. Verwendung.
Da die früher vorhandenen Einrichtungen zur Dampfdesinfektion
den jetzigen Anforderungen nicht mehr in vollem Umfange genügten,,
ist im Gelände des städtischen Krankenhauses, neben dem Kesselhaus,
eine neue öffentliche Desinfektionsanstalt hergestellt und Ende 1907
in Betrieb genommen worden. Bei der Anlage der Anstalt ist die
Teilung in eine „unreine" Seite für mit Krankheitskeimen behaftete
Gegenstände, und in eine „reine" Seite für die desinfizierten Sachen
sowie für den Aufenthalt des Personals dienend, streng durchgeführt
worden. Sowohl zwischen „reinem" und „unreinem" Hof als auch
zwischen „reinem" und „unreinem" Desinfektionsraum ist wie die um-
stehende Abbildung zeigt, die Trennung mittelst durchgehender
Mauern hergestellt. In der Anstalt haben zwei Desinfektionsapparate
von grossen Abmessungen Aufstellung gefunden, wovon der eine erst
neuerdings beschafft und so eingerichtet ist, dass er den neuesten
wissenschaftlichen Forschungen und Anforderungen auf dem Gebiete
des Desinfektionswesens entspricht. Der vorhandene Raum genügt
noch zur Aufstellung eines dritten, vorläufig aber noch nicht erforder-
lichen Apparates.
Die Apparate sind in der Trennwand zwischen „unreinem" und
„reinem" Raum so eingebaut, dass sie in ersterem beschickt und in
letzterem entladen werden können. Sämtliche Ventile, Abstellvor-
richtungen usw. zur In- und Ausserbetriebsetzung der Apparate sind
vom „reinen" Raum aus bedienbar. Durch diese Anordnung, die
von den in anderen Orten bestehenden derartigen Anlagen abweicht,
wird erreicht, dass zur Bedienung der Apparate nur ein Desinfektor
erforderlich ist, während hierzu andernfalls deren zwei nötig wären..
160 öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt.
Grün, IniFektionsspital. 161
Die Wände und Decken der Apparate - Räume sowie der an-
schliessenden Bade-, Umkleide- usw. Räume sind mit weissen, glasierten
Steinen ausgekleidet und der Fussboden ist mit Platten belegt, sodass
eine gründliche Säuberung der Räume täglich durch Abspritzen mit
Wasser vorgenommen werden kann. Grosse Oberlichte in der Decke,
sowie Fenster in zwei gegenüberliegenden Seitenwänden der sehr
hohen und luftigen Apparate-Räume sorgen für ausreichendes Licht.
Die Räume sind in zweckmäßiger Weise mit wirksamen Entlüftungs-
vorrichtungen versehen.
An die eigentlichen Desinfektionsräume schliessen sich die vom
„reinen" Hof aus zugänglichen, aus Wagenschuppen, Chemikalien-
raum, Aufbewahrungsraum, Trockenraum und Waschküche bestehenden
Nebenräume an.
In der Waschküche, wo sich ein grosser Dampf- Kochkessel
befindet, werden die beim Abholen und Fortschaffen der Desinfektions-
güter zum Verpacken erforderlichen Tücher und Hüllen, Anzüge der
Desinfektoren usw., nachdem sie im Apparat desinfiziei*t sind, gereinigt
und im anstossenden Trockenraum getrocknet und gebügelt.
Die neue Desinfektionsanstalt vereinigt auf einem verhältnis-
mäßig kleinen Flächenraum, der durch die beschränkten Platz-
verhältnisse auf dem Krankenhausgelände bedingt war, alle der Neuzeit
entsprechenden Einrichtungen in äusserst zweckmäßiger Weise und
dürfte zur Zeit als eine der am besten eingerichteten öffentlichen
Desinfektionsanstalten gelten.
Die Herstellungskosten der Anstalt haben einschliessKch der
Beschaffung eines neuen Desinfektionsapparates etwa 30 000 M.
betragen.
7. Infektionsspital.
Von Stadtbauinspektor Grün.
Ausserhalb der Stadt, an der Frankfurterstrasse, ist ein kleines
Sonderkrankenhaus für epidemische Krankheiten errichtet worden.
11
162
Grün, Infektionsspital.
Dasselbe enthält über den Wirtschafts- und Personalräumen eine
Quarantänestation mit 4 Betten. Die Anstalt kann im Bedarfsfall
durch transportable Krankenbaracken erweitert werden (vergl. nach-
stehende Abbildung).
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J. Bevölkerungsverhältnisse,
Von Dr. Rahlson,
Leiter des Statistischen Amts der Stadt.
Wiesbaden ist mit seinen am 1. Dezember 1905 gezählten
100953 Einwohnern wohl die jüngste und kleinste, schwerlich aber
die letzte der deutschen Grossstädte. Welche ihrer deutschen
Schwestern vermag gleich wie sie eine die Einwohnerzahl (im
Jahre 1907 105000) überragende Passantenziffer von rund 110000
aufzuweisen und welche andere deutsche Grossstadt kann ausserdem
etwa 2/3 ihrer Einwohnerzahl jährlich als Kurgäste (rund 70000) in
ihren Mauern aufnehmen, darf sich also eines Gesamtfremdenverkehrs
von fast dem Doppelten der ständig Ansässigen rühmen? Wohl
hört man behaupten, Wiesbaden verdanke seine hohe Fremdenziffer
hauptsächlich den glanzvollen Kaisertagen mit ihren einzigartigen
Maifestspielen. Nun denn — sie sind es: glanzvoll und einzigartig,
und wir freuen und rühmen uns dessen gern und sind die letzten,
die ihre Zugkraft unterschätzen und sie missen möchten. Aber bot
Wiesbaden vorher seinen Fremden nichts? Weshalb kamen bereits
im Jahre 1867^), also über dreissig Jahre vor den Kaisertagen, 53000
Fremde nach Wiesbaden, auch damals schon fast das Doppelte der
Einwohnerzahl (30000) ausmachend?
Bildet die Stadt darnach für die — sei es zur Linderung körper-
licher, sei es zur Überwindung seelischer Schicksalsschläge — einen
vorübergehenden Aufenthalts- und Erholungsplatz Suchenden einen
starken Anziehungspunkt, so nicht minder für die nach getaner Lebens-
arbeit — sei es der eigenen, sei es der der Altvordern — nach einem
dauernden Ruhesitz Ausschau Haltenden. Daher konnte es konmien,
dass Wiesbaden im 19. Jahrhundert einen ungeahnt schnellen Auf-
schwung nahm, ohne auch nur ein einziges Mal eingemeindet zu haben.
Und dabei hat es noch seine Vororte mit in die Höhe zu reissen, d. h.
einen Teil von eigenem Fleisch und Blut abzugeben vermocht^).
J) Für das Jahr 1867 liegt erstmalig eine verbürgte Fremdenziffer vor.
i5) Vergl. Heft 1 der „Beiträge zur Wiesbadener Statistik^ Seite 5—8.
11*
164
Rahlson, Bevölkerongsverhältnisse.
Im Jahre 1807 noch wenig über 3000 Einwohner, war bereits nach
sechzehn Jahren, im Jahre 1823, die erste Verdopplung vollzogen;
nach weiteren siebzehn Jahren (1840) die zweite, nach vierundzwanzig
Jahren (1864) die dritte, nach fünfzehn Jahren (1879) die vierte und
nach fünfundzwanzig Jahren (1904) die fünfte.
Jahr
Einwohner
1807
3071
1850
13992
1871
35450
1880
50238
1890
64670
1900
86111
1905
100953
1907
105595
Aus den vorstehenden Zahlen wird ersichtlich, dass Wiesbaden
seit dem Jahre 1807 einen über 100000 Köpfe betragenden Zuwachs
zu verzeichnen hat. Wie sich die in den Jahren 1818 — 1907, also in
einem Zeitraum von 80 Jahren, 91353 Personen ausmachende Zu-
nahme im einzelnen aus Geburten- und Wanderungsüberschuss
zusammensetzt, ist in der folgenden Übersicht dargestellt.
Geburten -
Wanderungs-
Gesamt-
Geburten- 'Wanderungs-
Zeitraum
Übers
chuss
Zunahme
Überscbuss
a) absolut
b) prozentual
1818-1820
160
362
1
522
30,65
69,35
1821-1830
646
1897 i
2 543
25,40
74,60
1831-1840
550
3178
1 3 728
14,75
85,25
1841-1850
910
1473 ,
2 383
38,19
61,81
1851-1860
798
3 573 1
4 371
18,26
81,74
1861-1870
2182
11151 ■
13 333
16,37
83,63
1871—1880
5 203
9 585
1 14 788
35,18
64,82
1881—1890
3 740
9 690 '
! 13 430
27,85
72,15
1891-1900
6 699
12 951
' 19 650
34,09
65,91
1901-1907
5 491
11114 !
16 605
33,07
66,93
1818-1907
26 379
64 974
91353
28,88
71,12
64974 Personen, also 71 ^/o, entfallen auf Zugewanderte und nur
26379 (29 ^/o) kommen auf den natürlichen Geburtenüberschuss. In
Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 165
den Jahren 1818 — 1820 betrug der Wanderungsüberschuss 69 ^/q der
Gesamtzunahme, stieg in dem darauffolgenden Jahrzehnt auf 74 ^/^ und
erreichte in den Jahren 1831 — 1840 mit 85 ^/q eine Höhe, die bisher
nicht wieder festgestellt werden konnte. 1841 — 1850 waren es nur
62 ^/o; es ist dies die niedrigste Ziffer. 1851 — 1860 betrug der
Wanderungsgewinn wieder 82 ^/^ , stieg im darauffolgenden Jahrzehnt
auf 84®/o, um in dem nächsten Dezennium wieder auf 65 '^/q zu
sinken. In den Jahren 1881 — 1890 ist ein erneuter Aufschwung auf
72 ^/q zu verzeichnen, der im letzten Jahrzehnt des vergangenen
Jahrhunderts auf 66 ^/q sank und sich in den ersten Jahren des
20. Jahrhunderts mit 67 ^/^ nur wenig darüber erhob.
45360 von den am 1. Dezember 1905 vorhandenen 100953 Ein-
wohnern waren männlichen und 55 593 weiblichen Geschlechts, so dass
das letztere um 10233 überwog. Dieser starke Anteil des weiblichen
Geschlechts mit 55 ^/^ der Gesamtsumme ist bereits seit dem Jahre
1871 (53,4 ^/o) vorhanden; mit jenen 55 ^/^ steht Wiesbaden an der
Spitze unter den 58 grössten deutschen Städten. Es folgen Schöneberg
mit 54,5 ^/o, Breslau mit 54,4%, Charlottenburg mit 54,2% u. s. f.
In dem benachbarten Frankfurt a. M. sind es 51,4 und in der Reichs-
hauptstadt 51,7 ^/q. Der Grund für dieses starke Überwiegen des
weiblichen Geschlechts dürfte einmal in der grossen Dienstbotenzahl
liegen, die einschliesslich des weiblichen Hotel- und Pensionen-
personals etwa 8000 beträgt, und ferner darin, dass Wiesbaden mit
Vorliebe von einzelstehenden Frauen als Ruheplatz aufgesucht wird.
Die Altersgruppen sind seit dem Jahre 1895 ohne wesentliche
Verschiebungen geblieben. Sowohl bei dem männlichen wie bei dem
weiblichen Geschlecht steht an erster Stelle die Altersgruppe von
15 bis 30 Jahren mit 32 bezw. 34 ^/q. Die erste Altersgruppe von
bis 15 Jahren ist bei dem männlichen 28 und bei dem weiblichen
mit als Folge der stets geringeren Zahl der Mädchengeburten nur
23 °/q. Die nächststärkste Gruppe ist die von 30 bis 45 Jahren mit
22 ^Iq bei beiden Geschlechtern. Hieran schliesst sich mit 12 bezw.
13^/q die Gruppe von 45 bis 60 Jahre und endlich mit 7 bezw. 8 ^/q
die der über 60 Jahre Alten.
Scheidet man die ganze Bevölkerung in zwei Hauptgruppen von
unter und über 20 Jahre alt, so ergeben sich für die erste Gruppe
35244 und für die zweite Gruppe 65 709 Einwohner.
Wie die umstehende Tabelle zeigt, sind insgesamt 35 815, also
über Vs der Gesamteinwohnerschaft (35,48 ^/o), in Wiesbaden gebürtig.
166
Rahiso n, Bevölkerungsverhältnisse.
Die BeYÖlkerang nach Alter und Gebttrtlgkeit
am 1.
Dezember 1905.
Ein wohner
Geboren in
unter 2U Jahre
über 20 Jahre
insgesamt
m.
w.
zus.
m. i w. zus.
in. w. 1 zus.
a) Wiesbaden . . .
11601
11873
I
123474
5164
1
6877
12341
17065
18750 35816
b) Sonst i. d. Prov.
'
Hess.-Nass. . .
2045
2723
4768
9287
12368*
21655
11332
15091 II 26423
c) i. jetz. Preuss.
1
|l
1,
Staat
1034
1351
1 2385
5796
6997 1| 12793
6830
8348 1 15178
1. In Preussen . .
(14680)
(15947)1(30627)
(20547)
(26242)' (46789)
(35227)
(42189^^77416)
2. Anderedeutsche
1
1
Bundesstaaten .
1643
1963
3606
6796
89431 15739
8439
10906
19345
3. Deutsche
1
II
Schutzgebiete .
2
2
4
—
- ;, —
2
2" 4
4. Ausserdeutsche
1
j 1
europ. Staaten .
323
457
780
1194
1556 II 2750
1517
2013 1
3530
5. Ausser europ.
;
1
Staaten
94
133
1 227
80
350/ 430
174 ' 483
657
6. Auf See ....
—
—
1
1
- 'i 1
r —
1
7. Greburtsland un-
;i
bekannt
—
-
—
— il —
— ! — 1 —
Überhaupt .
16742
18502
135244
28618
37091 j
65709
45360
55593 1
100953
Unter 20 Jahre alt sind davon 23474, die von allen unter
20 Jahre alten Einwohnern 66,6 ^/o bilden. Die über 20 Jahre alten
in Wiesbaden Gebürtigen hingegen betragen nur 18,78 ^/^ aller über
20 Jahre alten Einwohner. Während bei den unter 20 Jahre alten
Eingeborenen das männliche und weibliche Geschlecht in gleicher
Stärke vertreten ist, überwiegt bei den über 20 Jahre alten 12341
Eingeborenen das weibliche Geschlecht um über 1200.
Der Gebürtigkeit nach befinden sich in Wiesbaden 77416
Preussen, 19345 Angehörige anderer deutscher Bundesstaaten; 3530
Einwohner sind in ausserdeutschen europäischen, 657 in aussereuro-
päischen Staaten, vier in deutschen Schutzgebieten und einer war
auf See geboren. Von den 77 416 Preussen wiederum sind, wie
erwähnt, 35815 geborene Wiesbadener und zwar verteilen sie
sich fast gleichmäßig auf die beiden Geschlechter. 26423 stammen
aus der Provinz Hessen-Nassau, hier überwiegt das weibliche Ge-
schlecht (15091) das männliche (11332) erheblich. Der Rest von
15178 aus anderen Teilen des preussischen Staates vei^teilt sich zu
6830 auf das männliche und zu 8348 auf das weibliche Geschlecht.
Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 167
Bei beiden Geschlechtem sind gleichmäßig fast 60 ^/(, ledig und
zwar 26885 männliche und 33173 weibliche. Verheiratet sind bei
den Männern 38 ^/q, bei den Frauen nur 31 ^/o- Verwitwet sind
dort 3, hier hingegen 9^/o und geschieden 0,2 bezw. 0,4 ^/q.
Die Wiesbadener Bevölkerung gehört zu ^/j der evangelischen
und zu Vs der katholischen Konfession an mit 63,20 bezw. 32,49 ^Z^;
1,47 ^/o sind andere Christen, 2,63 ^/^ Israeliten und 0,21 ^/^^ sonstige.
Ausser 97267 deutschen Reichsangehörigen wurden am
1. Dezember 1906 in Wiesbaden 3383 Reichsausländer, das sind
3,65 ^Iq der Gesamtsumme, gezählt. Unter den letzteren waren 749
Österreicher, 736 Russen, 502 Engländer, 395 Nordamerikaner, 287
Holländer, 272 Schweizer, 214 Italiener und 115 Franzosen u. s. f.
Ein nicht unerheblicher Teil dieser der Staatsangehörigkeit und meist
auch der Gebtirtigkeit nach Fremden sind, da Wiesbaden auch Winter-
kurort, nur vorübergehend anwesend.
Die wichtigsten Ergebnisse aus der Bevölkerungsbewegung sind
in der Tabelle auf Seite 168 niedergelegt.
Die Geburtenziffer hat hiernach mit 23,5 auf 1000 Einwohner
im Jahre 1907 einen Tiefstand erreicht, wie nie zuvor. Ein Rück-
gang, der eine Folge des schnellen Anwachsens der Bevölkerungs-
zahl ist.
Auch die Sterbefälle weisen eine ständige Abnahme auf.
Mit einer Sterblichkeitsziffer von 15,78 auf 1000 Einwohner steht
Wiesbaden unter den deutschen Grossstädten mit an günstigster Stelle.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass Wiesbaden einen Ring von
Vororten mit insgesamt etwa 50000 Einwohnern hat und von diesen
in ernsteren Krankheitsfällen wegen seiner zahlreichen grossen
Krankenanstalten aufgesucht wird. So waren im Jahre 1907 unter
den 185 ortsfremd Gestorbenen 49 aus dem Landkreise Wiesbaden.
Ohne die Ortsfremden, deren Zahl im Jahre 1906 164 betrug, lautet
die Sterbeziffer auf 1000 der mittleren Einwohnerzahl im Jahre 1906
nur 14,04 und im Jahre 1907 nur 14,01.
Der Unterschied der Bevölkerungsbewegung in der Grossstadt und
in den Vororten wird aus der ersten Tabelle auf Seite 169 ersichtlich,
die die Bewegung in den Vororten, in der Stadt und in der mit den
Vororten vereinigten Stadt zeigt. Berücksichtigt sind hier die Vororte
Biebrich, Bierstadt, Dotzheim, Erbenheim, Schierstein, Sonnenberg
und in den Jahren 1906 und 1907 auch Rambach.
168 Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse.
Oebarten und SterbefWe in den Jahren 1820— 1907.
(U
burt en
Sterb
efälle
Geburten
Sterbe-
fälle
Sterbefälle
von
1
(einschl.
Tot-
geburten)
(ausschl.
Kindern
Jahr
j davon
ins-
gesamt
darunter
TT" 1
Tot-
geburten)
unter
1 Jahr auf
ins-
'Lebend-
Tot-
(ohne
Kmder
100
gesamt
Tot-
unter
Lebend-
Geburten
geburten)
1 Jahr
auf 1000 Einwohner
geborene
1820
232
222
10
156
43,92
29,53
1830
301
284
365
17
196
37,85
24,64
.
1840
380
15
287
32,62
24,64
1850
485
459
26
419
34,78
30,04
1860
521
1 501
20
398
28,27
21,33
.
1870
1141
i 1094
47
780
188
35,63
23,40
17,18
1880
1543
1489
54
944
248
31,14
18,97
16,66
1881
1494
1446
48
981
278
29,44
19,33
19,28
1882
1490
1416
74
1072
242
28,79
20,71
17,09
1883
1406
1331
75
937
220
26,64
17,75
16,53
1884
1419
1346
73
1010
259
26,36
18,76
19,24
1885
1477
1407
70
1291
269
26,90
23,51
19,12
1886
1490
1426
64
1033
273
26,46
18,34
19,14
1887
1573
1510
63
1042
259
27,08
17,94
17,15
1888
1594
1528
66
1152
264
26,61
19,23
17,28
1889
1608
1554
54
1071
274
26,03
17,34
17,63
1890
1738
1670
68
1305
290
27,29
20,49
17,37
1891
1842
1 1790
52
1223
292
28,09
18,65
16,31
1892
1889
1840
49
1325
336
28,03
18,66
18,26
1893
1985
1907
78
1455
359
28,67
21,01
18,83
1894
2037
1966
71
1226
304
28,62
17,31
15,46
1895
2082
1991
91
1317
383
28,47
17,94
19,24
1896
2061
1975
86
1273
293
27,36
16,90
14,84
1897
2133
2061
72
1296
339
27,34
16,61
16,45
1898
2290
1 2226
64
1397
412
28,39
17,32
18,51
1899
2145
! 2068
77
1307
300
25,91
15,79
14,59
1900
2284
; 2208
76
1514
369
26,86
17,81
16,71
1901
2403
2325
78
1402
328
27,33
15,95
14,11
1902
2389
2308
81
1509
338
26,33
16,63
14,64
1903
2335
2263
72
1601
396
25,02
17,15
17,50
1904
2509
2439
70
1642
350
25,97
17,00
14,35
1905
2535
2444
91
1708
383
25,40
17,11
15,67
1906
2568
2468
100
1601
372
25,10
• 15,65
15,07
1907
2460
' 2356
1
104
1649
356
23,54
15,78
15,11
R a h 1 s o n , Bevölkerungsverhältnisse.
169
Auch für Wiesbaden gilt darnach der Satz, dass durch eine
Eingemeindung die Geburts- und Sterbeziffern günstig beeinflusst
werden. Ob die Verhältnisse, ^bald die eingemeindeten Teile völlig
grossstädtischen Charakter angenommen haben, wieder die alten sein
werden, muss die Zukunft lehren.
1
In
In
In
1
Jahr]
den sieben
Vororten
zusammen
1
1
G
den sieben
Vororten
zusammen
1
1
G
' 'S
den sieben
Vororten
zusammen
G
entfielen auf 1000 Einwohner
Geburten (einschliesslich
Totgeburten)
starben von
1000 Einwohnern
entfielen auf 100 Lebend-
geborene Sterbefälle im
ersten Lebensjahre
1900
38,58
26,86
29,94
17,20
17,85
17,65
16,11
16,80
16,51
1901
41,04
27,33
30,97
15,07
15,95
15,71
12,25
14,11
13,45
1902 37,09
26,33
29,22
15,17
16,63
16,24
15,40
14,95
14,90
1903'' 36,92 25,02
28,25
17,48
17,15
17,24
16,40
17,28 19,95
190411 37,98
25,97
29,26
15,54 17,00
16,60
16,27
14,22
15,04
1905'! 36,08
25,40
28,35
16,67 i 17,11
16,99
14,96
15,63
15,42
1906 1 37,57
25,10
28,66
13,66 i 15,65
15,06
11,60
15,07
13,75
1907
36,69
23,54
26,98
13,63
15,78
14,98
13,58
15,11
14,52
Die bereits erwähnte Säuglingssterblichkeit ist nachstehend nach
Monaten berechnet; während der Jahresdurchschnitt im allgemeinen
etwa 15 Sterbefälle von Kindern unter 1 Jahr auf 100 Lebend-
geborene beträgt, steigert sich diese Ziffer in den Sommermonaten
Juni bis September ganz erheblich.
Sterbefälle Ton Kindern nnter 1 Jahr auf 100 Lebendgeborene.
Monat
1893
1894
1895
1896
1897
1898
1
1899 1900
1
Januar
Februar
März . .
April .
Mai . .
Juni . .
Juli . .
August
Septemb
Oktober
Novemb<
Dezembe
er . .
jr . .
r . .
. 17,28
9,42
. 10,50
. 16,77
. 21,89
. 29,75
. 40,48
. 19,61
. 13,75
. 12,75
. 20,36
. 10,88
11,24
15,38
16,97
8,75
12,88
16,67
29,09
20,26
12,87
12,79
13,29
15,61
12,58
9,66
17,03
19,50
15,23
27,81
32,42
19,19
29,30
17,82
16,67
13,86
10,17
12,06
7,98
9,79
17,80
27,97
25,93
19,43
20,69
7,10
8,72
11,04
15,03
8,70
14,11
11,05
14,79
22,99
22,75
29,12
13,68
15,43
11,95
15,49
8,59
12,20
17,59
14,36
15,82
14,06
13,99
40,28
41,86
15,20
17,22
8,94
16,77
10,13
12,43
12,71
7,06
13,56
25,77
23,93
18,56
10,67
9,20
11,76
16,17
14,59
12,44
7,58
11,94
23,31
35,35
26,15-
18,85
12,2a
8,77
12,35
Jahr . .
. 18,82
15,46
19,24
14,84
16,45
18,51
14,51
16,71
170 Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse.
Noch: Sterbefälle von Kindern unter 1 Jahr auf 100 Lebendgeborene.
Monat
1901
1902
1903
1904
1905
1906
t907
1908
Januar . . .
Februar. . .
März ....
April ....
Mai
Juni
Juli
August . . .
September .
Oktober . .
November .
Dezember .
. . 13,53
. . 8,79
. . 8,29
. . 11,89
. . 13,17
. . 17,86
. . 28,06
. . 26,70
. . 10,61
. . 7,65
. . 11,32
. 10,00
15,66
16,93
10,64
14,43
9,66
9,47
22,22
26,16
18,52
9,95
8,24
15,31
13,11
17,37
15,43
17,19
8,76
18,56
26,61
32,23
18,64
16,11
9,09
12,02
11,11
6,39
11,06
12,02
8,64
11,79
32,70
32,74
12,95
12,37
9,94
11,05
10,10
11,22
8,93
8,54
11,71
13,51
44,93
32,58
13,22
10,55
6,15
11,06
9,86
13,86
14,36
11,95
7,23
13,21
13,41
30,94
28,86
19,25
8,65
13,02
8,74
9,62
8,56
11,49
12,86
4,44
14,22
27,94
33,69
22,97
15,34
12,50
13,51
10,00
12,66
11,17
16,98
11,43
17,14
Jahr
. 14,11
14,64
17,50
14,35
15,67
15,07
15,11
Die verschiedenartige Gestaltung der Sterblichkeitsziffer der
•ehelichen und unehelichen Kinder wird für das Jahr 1907 an den
folgenden Zahlen gezeigt:
Die Sterblichkeit der ehelichen und aaehelichen Kinder unter 1 Jahr.
Todesursache
Ehelich
Unehelich
Insgesamt
Auf 100 Lebend-
geborene entfallen
Sterbefälle
1
m. w.
zus.
m.
w. jzus.
m.
w.
1
jzus.
ehel.
unehel.i zus.
1
Angeborene Lebens-
schwäche ....
1
1
28 24
52
5
3
8
33I 27
60
2,51
2,80
2,55
Lungenentzündung .
19' 12
1
31
3
7
10
22j 19
41
1,50
3,50
1,74
Krankheiten d.Nerven-
systems(ausschl. Ge-
hirnschlag ....
1
1 ;
22 15!
1 1
37
4
1
5
26
16
«
1,79
1,74
1,78
Magen- und Darm-
katarrh
61
41
102
22
10
32
83
51
134
4,92
11,19
5,69
Anders benannte
Todesursachen . .
38 29
67
10
2
12
48
31
1 79
3,24
4,20
3,35
Summe .
168
121
289
44
23
67
212
144
|356
1
13,96
23,43
15,11
Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse.
171
Während von 100 ehelichen Lebendgeburten 14 eheliche Kinder
sterben, sind es bei den unehelichen 23. Unter den einzelnen Todes-
ursachen macht sich dieser Unterschied am stärksten bei dem Magen-
und Darmkatarrh geltend, der dort 5, hier ll®/o der Opfer fordert.
Ahnlich ist es bei der Lungenentzündung, dort 1,5, hier 3,5 ^/q.
Der Anteil der unehelichen sowie der Totgeburten an der
Oesamtzahl der Geburten geht für die Jahre 1880 bis 1907 aus der
nächsten Tabelle hervor. Wesentliche Schwankungen sind darin
nicht enthalten. Im Jahre 1907 sind es dort 12,1, hier 4,4 vom 100.
Auf 100 sämtl. Lebendgeburten kamen
Jahr
Uneheliche
1
Lebendgeburten |
1
uneheliche
Lebendgeburten
Totgeburten
1880
157
10,54
3,63
1881
141
9,75
3,32
1882
140
1 9,89
5,23
1883
187
10,29
5,63
1884
108
8,02
5,42
1885
119
8,46
4,98
1886
121
8,49
4,49
1887
129
8,54
4,17
1888
143
9,36
4,32
1889
158
10,17
3,47
1890
175
10,48
4,07
1891
168
9,11
2,91
1892
161
8,75
2,66
1893
198
10,38
4,09
1894
171
1 8,70
3,61
1895
190
1 9,54
4,57
1896
187
; 9,47
4,35
1897
239
11,60
3,49
1898
248
' 11,14
2,88
1899
242
11,70
3,72
1900
219
9,92
3,44
1901
235
10,11
3,35
1902
251
10,88
3,51
1903
257
11,36
8,18
1904
308
1 12,63
2,87
1905
245
10,02
8,72
1906
255
10,38
4,05
1907
286
; 12,14
4,41
172
R a h 1 s o n , Bevölkerungsverhältnisse.
Nachstehend sind die gesamten Sterbefälle für die Jahre 1880
bis 1907 nach den wichtigsten Todesursachen geschieden und auf
1000 Einwohner der mittleren Bevölkerung berechnet.
SterbefäUe nach Todesarsaehen.
Sterbefälle
Todes-
1
ursachen
1880 1885 1890 1895 1900 1905jl907
1880 1885 1890 1895 1900 1905
190T
absolut
auf 1000 Einwohner
Übertragb.
Krankh. . .
25
143
49
46
84
93
57
0,50
2,60 0,77
0,63! 0,99
0,93
0,54
davon:
!
Masern . .
3
68
6
—
11
10
2
0,06
1,24 0,09
- ' 0,13
0,10
0,0^
Scharlach .
9
3
~
2
4
27
2
0,18 0,05 -
0,03. 0,05
0,27 0,02
Diphtherie
i 1
1
u. Krupp .
4
10
25
19
16
9
27
0,08
0,18 0,39
0,26
0,19
0,09
0,26
Keuchhust.
1
2
7
6
13
13
5
0,02
0,04 0,11
0,08
0,15
0,13
0,05^
Grippe
(Influenza)
.
.
^
.
31
20
15
• 1 •
. ; 0,36
0,20
0,14
Kindbett-
1
1
fieber . . .
2
1
4
1
3
3
1
0,04
0,02 0,06
0,01
0,04
0,03
0,01
Typhus . .
6
59
7
18
6
11
5
0,12
1,07 0,11
0,25
0,07
0,11
0,05-
Lungen-
schwinds. .
172
213
188
153
149
165
152
3,47
3,88 2,95
2,09' 1,75
1,65
1,45
Lungenentz.
91
141
152
141
180
173
150
1,84
2,57 2,39
1,93 2,12
1,73
1,44
Hirnschlag .
66
77
81
75
67
49
51
1,33
1,40 1,27
l,03j 0,79
0,49
0,49^
Krebs u. and.
Neubild. . .
41
47
59
60
86
124
135
0,83
0,85 0,93
0,82 1,01
1,24
1,29
Magen- und
Darmkatarrh,
1
i
Brech-
1
durchfall .
45
35
43
104
104
150
118
0,91
0,64' 0,68
1,42
1,22
1,50: 1,13-
Gewalts.Tod
25
19
23
27
37
61
67
0,50
0,35 0,36
0,37
0,44
0,61
0,64
davon :
Selbstmord
14
11
14
11
19
33
37
0,28 0,20| 0,22
0,15 0,22
1
0,33
0,35
Alle übrigen
i
Krankh. . .
479
616
710
711
807
893
919
9,67 11,22 11,14
9,72 9,49
8,95 8,79»
Überhaupt
944
1291
1305
1317
1514
1708
1649
19,05
23,51 '20,49
18,01
17,81
17,11
15,78
Einen erfreulichen Rückgang zeigt die Lungenschwindsucht von
3,5 ^/oo im Jahre 1880 auf 1,5 ^/qq im Jahre 1907. Dagegen ist der
Krebs sowohl absolut wie pro Mille der Bevölkerung in stetigem
Steigen begriffen.
K. Wohnungsverhältnisse.
Von Dr. Baklson,
Leiter des Statistischen Amts der Stadt.
Das Gesamtareal der Stadt Wiesbaden betrug am 1. April 1908
3607 ha, wovon 1586 ha auf Waldungen, 25 ha auf Parkanlagen und
232 ha auf Wege, Strassen u. dergl. entfallen, 22 ha nehmen die
Begräbnisplätze ein, 40ha Eisenbahnen und 36 ha Exerzierplätze;
9 ha sind Wasserflächen; 1280 ha stehen der Bebauung noch oifen
und 377 ha sind bereits bebaut. Da zu dem gleichen Zeitpunkt in
Wiesbaden rund 106000 Einwohner waren, so entfallen auf 1 ha
des Gesamtareals 29 Einwohner und auf 1 ha des bebauten Bau-
terrains 281 Einwohner. Diese Ziffer lautete im Jahre 1880 256, im
Jahre 1900 278 und im Jahre 1905 284.
Einen Vergleich mit 46 anderen deutschen Städten gestattet
folgende Tabelle:
Wohndichtigkeit in 40 deutschen Städten im Jahre 1905.
Einw.
Einw.
Einw.
Stadt
auf 1ha
Hof-
raum
Stadt
auf 1ha
Hof-
raum
Stadt
auf 1ha
Hof-
raum
1. Zwickau . . .
124
17.
Dortmund . .
257
33.
Posen . . .
352
2. Braunschweig.
153
18.
Düsseldorf .
260
34.
Duisburg . .
353
3. M.-Gladbach .
184
19.
Halle a. S. .
262
35.
Aachen . .
362
4. Potsdam . .
195
20.
Mannheim
265
36.
Altona . . .
365
5. Nürnberg . .
196
21.
Chemnitz . .
267
37.
Stettin . . .
366
6. Bochum . . .
211
22.
Magdeburg .
277
38.
Görlitz . . .
375
7. Freiburg i. B. .
219
23.
Frankfurt a.M.
280
39.
Hamburg . .
378
8. Erfurt . . .
220
24.
Danzig . . .
282
40.
Charlotten-
9. Mülhausen i. E.
228
25.
Wiesbaden .
284
burg . . .
408
10. Lübeck . . .
228
26.
Barmen . .
293
41.
Breslau . .
430
11. Gelsenkirchen.
235
27.
Liegnitz . .
300
42.
Königsberg
12. Darmstadt . .
238
28.
Essen . . .
307
i. Pr. . . .
447
13. Karlsruhe . .
243
29.
Cassel . . .
308
43.
Metz . . .
478
14. Spandau . .
246
30.
Elberfeld . .
313
44.
Schöneberg .
G23
15. Krefeld . . .
250
31.
Cöln a. Rh. .
321
45.
Mainz . . .
698
16. Strassburg i. E.
254
32.
Kiel ....
328
46.
Berlin . . .
738
174 Eahlson, Wohnungsverhältnisse.
Danach steht Wiesbaden mit nur 284 Köpfen auf 1 ha bebaute
Fläche weit unter dem 334 betragenden Durchschnitt sämtlicher
Städte. Die Höchstziflfern erreichen Berlin mit 733, Mainz mit 698
und Schöneberg mit 623, die niedrigsten Ziffern Zwickau und Braun-
schweig mit 124 bezw. 153 Einwohnern auf 1 ha bebaute Fläche-
Auf ein bewohntes Grundstück entfielen am 1. Dezember 1905
23 Bewohner. In der Innenstadt beträgt die Behausungsziffer nur 22,.
ein im Verhältnis zur geschlossenen Bebauungsart niedriger Stand,,
der teils auf die im Werden begriffene Citybildung, das ist die im
Stadtinnem sich vollziehende Verdrängung der Wohnhäuser durch
Geschäftshäuser, teils auf die noch vorhandenen kleinen Häuser zurück-
zuführen ist. In den Hauptwohnvierteln' West- und Dotzheimer-Bezirk
entfallen 37 und 34, in den Villenvierteln dagegen nur etwa
10 Bewohner auf 1 bewohntes Grundstück. Dem zur Befriedigung
des Wohnbedürfoisses notwendigen Spielraum für Um- und Zuzüge,,
der im allgemeinen mit 3^/^ leerstehender Wohnungen vom Gesamt-
bestand als genügend erachtet wird, ist in Wiesbaden reichlich
Rechnung getragen. Nach der im Oktober 1907 durchgeführten
Wohnungszählung stehen von 26680 vorhandenen Wohnungen 2022,
also 7,6 ^/o leer. Über die Lage, Grösse und Preise dieser Wohnungen
liegen die Ergebnisse noch nicht vor.
Infolge des erwähnten schnellen Anwachsens der Bevölkerungszahl
trat vorübergehend mangels geeigneter lokaler Verkehrsmittel eine^
Verteuerung des Wohnungsmarktes und gleichzeitig Mangel an ge-
eigneten kleineren Wohnungen ein. So mussten in einigen älteren
Strassen des Stadtinnern Zustände in die Erscheinung treten, die eine
Abstellung forderten. Bei Betrachtung dieser Verhältnisse, insbesondere
aber bei einem Vergleich mit anderen Städten darf nicht ausser Acht
gelassen werden, dass derselbe Raum, der in einem grossen kasernenartig
gebauten Häusermeer der Grossstadt gänzlich ungenügend, ja gesundheits-
schädlich ist, dort völlig einwandsfrei sein wird, wo für die ungehinderte
Zufuhr frischer Berg- und Waldesluffc gesorgt werden kann. Dass
diese Aufgabe mit Erfolg durchgeführt ist, wurde bereits auf Seite 96
und 97 dieser Schrift an der Anlage der Mauritiusstrasse, der Durch-
führung der Langgasse bis zur Taunusstrasse usw. gezeigt. Trotz
dieser günstigen Luffcverhältnisse unserer Stadt haben es sich die
städtischen Kollegien nicht nehmen lassen, für Wiesbaden als eine
der ersten preussischen Städte eine Wohnungsinspektion einzu-
führen. Diese, durch Gemeindebeschluss vom 16. Mai 1902 angeordnet,
wird durch einen bausachverständigen Gemeindebeamten unter Teil-
Rahlson, Wohnungsverhältnisse. 175*
nähme und Aufsicht der städtischen Gesundheitskommission (siehe
Seite 141) ausgeübt. Die Dienstanweisung verlangt eine Kontrolle
der bestehenden polizeilichen Vorschriften über Beschaffenheit und
Benutzung der Wohnungen, Beobachtung aller in hygienischer, sitt-
licher und sozialer Hinsicht etwa bestehenden Misstände sowohl auf
behördliche Anweisungen wie auf privates Ersuchen seitens der
Mieter oder Vermieter, Einwirkung und Ratschläge zur Beseitigung
dieser Mängel usw. Zur Besichtigung gelangten 1906/07 etwa 200
Wohnungen. Vorgefundene Misstände wurden in 120 Fällen voll-
ständig, in 8 teilweise beseitigt, 17 mal waren Schäden in Klosett-
und Kanalanlagen durch das Kanalbauamt abzustellen; 5 mal wurden
Desinfektionen vorgenommen.
Ungenügende Raum Verhältnisse gaben in 15 Fällen Veranlassung
zur Beschaffung von anderen Wohnungen. Zwangsräumung erfolgte
vorübergehend 12 und dauernd 14 mal.
In einer Hinsicht bedarf allerdings die Wohnungsinspektion
noch der Erweiterung, nämlich hinsichtlich der Überwachung des
annähernd 3000 Schlafgänger umfassenden Schlafstellenwesens, das
eine Fülle hygienischer und sittlicher Schäden mit sich bringt.
Ein weiterer wesentlicher Faktor in der Wohnungsfürsorge liegt
in der zielbewussten Ausgestaltung der lokalen Verkehrsverhältnisse.
Das in den Händen einer Aktiengesellschaft liegende Strassenbahn-
netz hat bereits eine Länge von 44 km, davon liegen 23 km innerhalb
der Stadt. Dazu kommt noch eine städtische Linie mit einer Gesamt-
länge von 3,2 km (2 km davon innerhalb der Stadt). Der Bau einer
zweiten städtischen Linie wird demnächst in Angriff genommen.
Der Einheitstarif von 10 Pfennig besteht noch nicht.
Auch die Errichtung von städtischen Arbeiterwohnhäusern ist
mit Erfolg in Angriff genommen worden. Von den 64 in zwei Häuser-
blocks mit 11 00 qm Baufläche vorhandenen Wohnungen (56 von 2
und 8 von 3 Zimmern nebst Nebenräumen) sind 49 (42 bezw. 7)>
vermietet. Ausserdem stehen den Bewohnern vor und hinter den
Häusern 49 Hausgärten von durchschnittlich 75 bis 85 qm, sowie in
nächster Nähe der Häuser 11 Teilungen Ackerland von etwa je
480 qm Grösse zur Verfügung.
Aber nicht nur den Bewohnern ihrer Arbeiterhäuser gibt die
Stadt Gelegenheit zur Betätigung und Erholung in freier Luft bei
Feld- und Gartenarbeit, sondern auch den übrigen Einwohnern ist
durch die Errichtung sogenannter Schrebergärten hierzu die Möglich-
176 Rahlson, Wohnungsverhältnisse.
keit geboten. Zur Zeit bestehen in den äusseren Stadtbezirken
63 solcher Gärten von je 150 bis 250 qm Flächenraum, die zu einem
jährlichen Preis von 12 bis 30 Mark einschliesslich Wassergeld ver-
pachtet werden.
Nach alledem hat die Wiesbadener Stadtverwaltung ein oflfenes
Auge für die Bedürfnisse der Allgemeinheit, insbesondere soweit sie
«ich auf die öffentliche Gesundheitspflege beziehen. Die vorstehenden
Arbeiten dürften den Beweis erbracht haben, dass die einzelnen Ver-
waltungszweige nicht ohne Erfolg jeder in seiner Art an dem Ge-
deihen der Stadt mitarbeiten. Nicht nur flir die mannigfaltigen Be-
dürfiiisse der Wohlhabenden und Kurgäste ist gesorgt, sondern auch
die gesamte Bürgerschaft hat sich einer treuen Fürsorge seitens der
städtischen Verwaltung zu ei-freuen.
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